Kampf um Daten Mit dem Lkw in die Cloud

Amazons Cloud-Sparte holt Daten auf Wunsch direkt bei den Firmen ab – zur Not auch mit dem Lastwagen. Eine Milliardenwette im Geschäft um das „Rohöl des 21. Jahrhunderts“.

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Der 30 Tonnen schwere Laster bei der Messe in Las Vegas: Drei Monate dauert es, ihn aufzuladen. Quelle: Axel Postinett

Las Vegas Es ist fast eine Randnotiz: „Wir brauchen eine größere Kiste“, sagt Andy Jassy beinahe nebenbei, als der Vorstandschef von Amazons Cloud-Sparte AWS am Mittwoch bei einer Produktvorstellung in Las Vegas vom großen Erfolg der mobilen „Snowball“-Datenfestplatten spricht. Auf diese können Kunden 50 Terabyte Daten aus ihren alten Servern laden und per Kurier zu AWS senden, damit sie dort in die Cloud geladen werden.

Der Erfolg war so überraschend, dass mit Hochdruck neue Kisten in der Größe eines Server-Computers nachgeordert wurden. Doch das reichte einfach nicht. Die Kunden wollten immer mehr. Jetzt wird die Kiste im Format eines überdimensionierten Schuhkartons mit doppelter Speicherkapazität und eingebauten Computerfähigkeiten aufgerüstet.

Und für alle, die noch mehr Speicherplatz brauchen, hat Amazon mit dem „AWS Snowmobile“ eine XXL-Lösung entwickelt: Ein 30 Tonnen schwerer Lkw mit einem knapp 14 Meter langen Container auf dem Auflieger, der Speicherplatz für 100 Petabyte an Daten bietet. Das sind umgerechnet eine Million 100-Gigabyte-Festplatten. Den High-Tech-Truck ließ Amazon am Mittwoch vorsichtig auf die Bühne des Sands Expo and Convention Centers rollen, um ihn erstmals der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Mit dem Daten-Fresser kommen AWS-Spezialisten auf den Firmenhof gefahren und schließen eine armdicke Datenleitung ans Firmennetzwerk an. Zusammen mit dem lokalen IT-Team wird dann der Datentransfer durchgeführt. Das „Rohöl des 21. Jahrhunderts“ fließt hoch verschlüsselt auf die größte mobile Festplatte, die derzeit über amerikanische Highways rollt. „Es dauert drei Monate, bis ein Schneemobil mit Daten gefüllt ist“, sagt Matt Wood, zuständig für Produktstrategie bei AWS. Und drei Monate, bis es am Zielort wieder „entladen“ ist.

Doch das ist gar nichts, verglichen mit den Zeiten, die ein Upload über normale Datenleitungen erfordert. Die Übertragung von einer Milliarde Gigabyte, ein Exabyte oder eine Flotte von zehn Schneemobilen, würde selbst mit einer superschnellen Internet-Verbindung mit zehn Gigabyte pro Sekunde 26 Jahre dauern. Zum Vergleich: Privathaushalte in den USA sind froh, wenn sie eine Geschwindigkeit von 25 Megabit pro Sekunde bekommen. „Sie glauben gar nicht, wie viele Unternehmen oder Organisationen heute über solche Datenbestände verfügen“, sagt Wood. „Und diese Unternehmen sind sicher, dass die Daten einen Wert darstellen.“ Darum folgt dem Truck auf Wunsch ein zweites Fahrzeug mit bewaffnetem Sicherheitspersonal bis zu AWS nach Seattle.

Für Holger Müller von Constellation Research im Silicon Valley ist der Daten-Lkw ein Zeichen für einen gerade stattfindenden gigantischen „Landgrab“, einer Landnahme wie man sie im Wilden Westen in den USA gesehen hat. Wer es mit seinem Planwagen als erster nach Kalifornien geschafft hatte, dem gehörte auch das Stück Land, auf dem er ihn abstellte und sein Haus baute.

Das Kalkül heute: Hat ein Unternehmen erst einmal eine Milliarde Gigabyte an Daten in eine Cloud geladen, bestellt es nicht gleich den Umzugswagen, um zur nächsten Cloud weiterzuziehen.


Ein Selfie mit der Riesenfestplatte

Solche gigantischen Datenschätze sorgen dafür, dass bei Cloud-Anbietern wie Amazon, Microsoft oder Google die digitalen Schornsteine in der Cloud-Factory rund um die Uhr rauchen. Sind die Daten erst einmal da, werden sie zerpflückt und nach allen Regeln der Kunst analysiert. Dafür stellen die Anbieter, natürlich gegen Bezahlung, die nötige Infrastruktur, Software und Rechenleistung zur Verfügung. Die Analysefirma IDC kalkuliert eine Verdreifachung des Marktes für IAAS (IT-Infrastruktur als Service) auf 43 Milliarden Dollar bis 2020. Daneben weiten die Anbieter ihre Dienstleistungen immer weiter aus.

Laut IDC nehmen die zehn größten Dienstleister, mit Amazons AWS mit weitem Abstand an der Spitze, 56 Prozent des Umsatzes ein. Die Analysten von Gartner Research schätzen, dass AWS mehr Umsatz einfährt als die 14 folgenden Konkurrenten zusammen. Der Markt ist jung, wächst stark und so gilt es, jetzt die Kunden an Land zu ziehen und zu binden, wie es zuvor IBM, Oracle oder SAP gemacht haben.

Die zu wirtschaftlichen Bedingungen fast unmögliche Übertragung solcher gigantischen Datenbestände ist für viele potenzielle Kunden auch der Grund, warum sie mit zusammengebissenen Zähnen derzeit ihren alten Datencentern treu bleiben oder sich andere Lösung überlegen, wie etwa hybride Clouds. Das ist praktisch die Zusammenlegung der alten Infrastruktur mit neuen Cloud-Elementen. Der Datenbank-Riese Oracle ist in diesem Gebiet aggressiv unterwegs.

Doch so einfach ist das nicht. Microsoft hatte auf seiner Hausmesse Build schon 2015 das Datenspeichermodell Azure Stack angekündigt. Dabei sollten im Prinzip Microsoft-Server an bestehende Datencenter angedockt werden und eine Mini-Azure-Cloud aufbauen. Doch von Erfolg gekrönt war der Dienst bisher nicht.

Amazon-AWS-Chef Andy Jassy gibt in Las Vegas auf der Hausmesse Reinvent jedenfalls zu, selbst eher danebengelegen zu haben, was den Bedarf an physischem Datentransport in die Cloud angeht. Er habe das Team fast schon „abgestraft“, weil sie seiner Meinung nach zu viele Snowballs gebaut hatten, gibt er scherzend zu. Doch praktisch sofort habe man die zehnfache Menge nachordern müssen. „Ich kann es gar nicht glauben, wie viele Daten wir so hochgeladen haben“, so Jassy.

Das Ganze wurde so populär, dass IT-Profis anfingen, „Snowball-Selfies“ online zu stellen – ihr eigenes Gesicht zusammen mit der Daten-Kiste. Eine Auswahl davon schafft es während der AWS-Konferenz auf die Großleinwand. Die „etwas anzüglichen“ habe er aber rausgelassen, schmunzelt Jassy.

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