Kapital schlägt Kreativität Wie sich das Silicon Valley verwandelt

Amerikas Digitalkonzerne wollten das Tor zur Zukunft öffnen. Langsam aber weicht die Kreativität des Aufbruchs der Konformität betriebswirtschaftlichen Erfolgs. Eine Reise durch eine Branche, die gerade gentrifiziert wird.

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Das Silicon Valley zwischen Innovation und Gentrifizierung, Start-ups und Unternehmen mit

Steve Grove, Direktor des Google News Lab, erklärt dem Publikum auf dem Google Campus in einem Halbkreis aus Sesseln in Google-Farben die neue Welt. Die, da ist sich Grove sicher, wird dank AMP noch einfacher und schneller. AMP steht für: Accelerated Mobile Pages, eine neue offene Software, mit der Internetseiten auf dem Smartphone schneller geladen werden. Man hat ja keine Zeit, auch keine Sekunden, um zu warten. Alles muss schnell gehen.

Ein quietschendes Geräusch durchbricht die Konzentration der Präsentation. Irgendwo hinter der Bühne saugt jemand Staub. Grove pausiert, setzt dann wieder an. Gegen das Sauggeräusch ist kein Anreden. Er geht zu der Seitentür, aus deren Ritzen der Lärm hervorquillt und ruft: „Hey, wir haben hier ein Meeting.“ Der Sauger bleibt hörbar unbeeindruckt. Wertvolle Minuten vergehen. Irgendwann muss der ja mal fertig werden.

Das Silicon Valley ist eine saubere Welt voller sauberer Produkte. Nichts rußt, nichts schmutzt. Alles glänzt. So sauber, dass die Wirklichkeit, in die viele der fleißigen Internetarbeiter abends zurückkehren, wie ein Drecksloch scheint. In den Straßen von San Francisco fliegen längst nicht mehr Michael Douglas und Karl Malden mit ihrem goldenen Ford Galaxie 500 über die Hügelkuppen. Dort kippen die aus der Kurve, die plötzlich nicht mehr zum Traum der Netzzukunft gehören. Morgens auf dem Weg zum Zug, der einen ins Valley bringt, liegen die Obdachlosen auf der Straße. Nicht irgendwie versteckt in einem Hauseingang, sondern mitten auf dem Gehweg.

Die heißesten Kandidaten 2016 aus dem Silicon Valley
Uber Quelle: REUTERS
Actifio Quelle: PR
AirBnB Quelle: REUTERS
CEO Tien Tzuo von Zuora Quelle: PR
Nutanix Quelle: Nutanix
Okta Quelle: Okta
GitHub Quelle: PR

Ein bizarres Bild: Geschäftsleute, in der Hand den Starbucks-Becher, stehen auf dem Bürgersteig und sprechen über den nächsten Deal, während neben ihnen ein Mensch am Boden liegt, das Gesicht in den Asphalt gedrückt. Die kurze Zuckung der Irritation, „ist der tot?“, verfliegt schnell: Wenn das sonst niemanden kümmert, schläft er wahrscheinlich nur.

An der Westküste der USA verändert sich nicht nur eine Stadt, die mal für Liberalität, Hippies und das gute Leben für alle stand. Es verändert sich eine Branche und alles, was mit ihr zu tun hat. Die Gentrifizierung hat das Silicon Valley im Griff.

Einfach gesagt, beschreibt der Begriff, wie sich ein Stadtteil, eine ganze Region durch den Zuzug von vermögenderen Menschen verwandelt. Je mehr Wohlhabende kommen, desto mehr ärmere Kreative ziehen weg. Die Sozialstruktur des Stadtteils verändert sich, der Immobilienmarkt zieht an. Irgendwann entsteht ein teures Pflaster für die Etablierten. Meistens ist das der Anfang vom Ende der Coolness. Wo die leben, die es geschafft haben, ist nicht mehr Aufbruch, da ist Bestandssicherung, Stillstand. So schafft Gentrifizierung nicht nur ein soziales Problem, sondern auch ein wirtschaftliches.

Die Regeln des Erfolgs

Das Silicon Valley war lange Jahre das glänzend polierte Messingschild am Eingang zur Zukunft der Menschheit. Wer es durch dieses Tor geschafft hatte, war Teil einer digitalen Elite, die der Welt aus dem Landstrich an der Westküste der USA heraus vormachte, wie Erfolg buchstabiert wird. „Google, Facebook, der Erfolg hat eigentlich immer zwei ,oo‘ im Namen“, sagt Torsten Kolind, Gründer einer Wettbewerbsplattform für Start-ups mit Namen Younoodle. Das Unternehmen überprüft jedes Jahr Tausende von Start-ups auf ihr Potenzial. Es gehe beim Vernetzen – oder Vernudeln – immer um zwei Dinge, so Kolind: „Die richtige Auswahl und die richtige Finanzierung.“ Das klingt leicht, aber genau um diese beiden tobt im Silicon Valley ein harter Kampf.

Es läuft nicht mehr so gut zwischen der Tech-Elite im Valley und San Francisco. Was einst eine große Liebe war, ist merklich abgekühlt. Ein Plus von 10.000 Menschen verzeichnet San Francisco Jahr für Jahr. Irgendwo müssen die wohnen. Das weiß der Markt und bietet das Einzimmerapartment für 3500 Dollar im Monat. Man kann nirgends in den USA teurer wohnen. Deshalb kann manch einer gar nicht mehr wohnen.

Gentrifizierung macht vor Unternehmen keinen Halt

Die Zahl der Gründungsinvestments ist zwischen Mitte der Achtzigerjahre und heute von gut 1300 auf fast 4500 angestiegen. Immer mehr junge Unternehmer konkurrieren um die Töpfe der Finanziers. Zwar ist genug Geld da, aber 2016 scheint gleichzeitig ein Jahr der Rekalibrierung zu werden. Schon vom dritten aufs vierte Quartal 2015 sind die Investments in Start-ups von 38,7 auf 27,3 Milliarden Dollar abgerutscht. „Es passiert etwas total Verrücktes im Silicon Valley“, verkündete der Finanzdienst Bloomberg zu Beginn des Jahres. „Alle Beteiligten fangen an, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen.“

Die ist für manch ein Internetunternehmen kein manischer Selbstläufer mehr, erfährt derzeit zum Beispiel Twitter. Vielleicht liegt der Fehler ja vor allem im Namen. Wer will schon zwei „t“, wenn Erfolg im Valley mit zwei „oo“ geschrieben wird? Eher steht Twitter als Beleg dafür, dass die Gentrifizierung auch Unternehmen erfassen kann. Geld und Glanz können blind machen. Dann gehen die Kreativen, dann stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr, dann kommt das Erstarren. Irgendwann wird es dann uncool.

In der Twitter-Zentrale in San Francisco sind in den großen Bürofluchten ganze Stuhlreihen unbesetzt. Twitter hat zwei harte Jahre hinter sich. Der Aktienkurs dümpelt rund 30 Prozent unter Ausgabewert, Führungskräfte geben sich die Klinke in die Hand, und die Zeiten rasanten Nutzerzuwachses sind längst vorbei. Es muss nun vorangehen. Dafür wäre es gut, zu wissen, wo vorne ist. Weiß das jemand bei Twitter? Del Harvey leitet das Team „Vertrauen und Sicherheit“. Von beidem könnte die Firma etwas mehr gebrauchen. Aber wie? „Wir wollen uns darauf konzentrieren, Twitter zu sein“, sagt Harvey.

Dazu müsste man wissen, was Twitter ist. Bei diesem Unternehmen müsste sich das in 140 Zeichen sagen lassen; schließlich lässt sich laut dieses Geschäftsmodells alles in 140 Zeichen sagen. Aber auch nach einer Stunde Gespräch scheint hinter vielen Worten keine Antwort auf. Vielleicht ist das Zeichen der Loyalität zum obersten Twitter-Chef, Jack Dorsey, der einmal gesagt hat, Twitter sei jeweils etwas anderes für verschiedene Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Vielleicht ist es aber auch schlicht das Eingeständnis, dass dem Unternehmen die DNA verloren gegangen ist, wenn es je eine hatte. Beim Blick in die Bürofluchten beschleicht einen fast physisch ein Gefühl der Erstarrung.

Del Harvey sagt derweil zum fünften Mal, mit jeder Veränderung im Unternehmen werde ihr Leben eine Spur härter. Ein Satz wie ein Irrläufer in einer Welt, die auf dem Treibsand der Veränderung aufgebaut ist.

Sehnsucht nach Beständigkeit

Bei Facebook herrscht Betriebsamkeit. Das neue Gebäude, gebaut von Frank Gehry und Rekordhalter als größtes Einraumbüro der Welt, beherbergt auf 40 000 Quadratmetern knapp 3000 Menschen. Auf dem Dachgarten kann man joggen, die Fahrräder hängen an den Wänden, und eine Großreinigung mitten im Großraumgebäude kümmert sich um die Wäsche. Facebook ist kein Arbeitsplatz, Facebook ist das Leben.

Über den Schreibtischen schweben silberne Luftballons mit der Jahreszahl der Betriebszugehörigkeit. Eine offene Atmosphäre und doch auch die eines Kindergeburtstags für Erwachsene, bei dem sich niemand traut, mal laut zu werden. Ein bisschen Kichern, ein bisschen Ausbrechen, aber schauen, dass dabei nichts schmutzig wird.

Das Gebäude ist die perfekte bauliche Umsetzung der Facebook-Timeline, durch die man durchgehen kann, umgeben auf allen Seiten von Tausenden lebender Postings. Das alles wirkt gesetzter als noch vor Jahren, als schleiche heimlich die Sehnsucht nach etwas Beständigkeit durch die Gänge der Internetunternehmen. Als habe man nach Jahren des sich täglich Neuerfindens doch mal etwas Ruhe verdient und das Recht, erwachsen zu werden, weniger rebellisch, weniger disruptiv.

Es ist auch schwer, die Welt des Internets immer wieder neu zu erfinden. Deshalb suchen viele Unternehmen das Heil künftigen Erfolgs in der Plattformstrategie – sie sammeln möglichst viele Angebote, auch externer Anbieter, bei sich. Am weitesten ist dabei wohl Amazon fortgeschritten.

Feedback als Geschenk

So hoffen sie, vom Netzwerkeffekt zu profitieren – der Erkenntnis, dass in einem Marktsegment Nutzer immer wieder denselben Anbieter wählen, weil das Angebot besser wird, je mehr Menschen es nutzen. „Das ist der einzige bewiesene Wettbewerbsvorteil, der wirklich funktioniert“, sagt Corey Ford, Managing Partner des Start-up-Inkubators Matter. „Man muss aus den Kunden eine Community machen.“ Das versuchen nun alle, es entsteht immer mehr vom selben.

„Wir können nicht davon leben, uns gegenseitig die Haare zu schneiden.“ Mit diesem Satz erklärte Gerhard Schröder 2002, dass eine Dienstleistungsgesellschaft ohne industrielles Fundament wirtschaftlich nicht überlebensfähig ist. Gleiches gilt, eine Umdrehung weiter gedacht, für die digitale Ökonomie. „Alle aggregieren hier Inhalte mithilfe von Algorithmen“, sagt Kent Lindstrom, COO von Nuzzel. „Irgendjemand muss diese Inhalte aber auch produzieren.“

Auch Nuzzel produziert nichts. Das Start-up stellt aus Twitter-Nachrichten individuelle Nachrichtenfeeds und Newsletter zusammen – gut gemacht, aber als Idee gar nicht mehr neu. Ob es wirtschaftlich funktioniert, muss sich trotz bekannter Investoren, wie Andreessen Horowitz, erst noch zeigen.

Im Inkubator Matter herrscht noch echte Aufbruchsstimmung. Je sechs Start-ups arbeiten hier für einige Monate gleichzeitig in einem Umfeld, das dem Mythos der Gründergarage alle Ehre macht. Die jungen Unternehmen werden gecoacht, bekommen eine Anschubfinanzierung über je 50.000 Dollar und sollen dann den Wirklichkeitstest bestehen. Wenn hier noch der Gründergeist durch die rohen Räume weht, liegt das vor allem am charismatischen Chef. Corey Ford hat verinnerlicht, was anderen Unternehmern im Valley verloren zu gehen scheint: Erfolg steht und fällt mit der Unternehmenskultur. „Oberstes Gebot ist bei uns die Autonomie des Gründers“, sagt Ford. „Wir sind hier, um Feedback zu allem zu geben. Aber dieses Feedback ist ein Angebot, ein Geschenk, niemand muss sich hier verändern oder anpassen.“

Häufig sind es nicht mehr die rebellischen Nerds aus den Garagen, die das Geschehen im Silicon Valley bestimmen. Es sind die wohlsituierten Investoren und Unternehmenschefs – wie im einst kreativen Stadtviertel eben, wo heute Anzugträger das Sagen haben. Ihr Denken spiegelt die Zentralperspektive unserer Zeit. Alle Linien des Gesamtbilds laufen auf einen Fluchtpunkt zu, und der heißt Erfolg. Die beiden wichtigsten Linien, Geld und Leistung, dominieren alles. So entsteht das zweidimensionale Bild einer gentrifizierten Branche. Der Mensch kommt irgendwann hinter dem Horizont des Erfolgs. Falls er es bis dahin schafft.

Leben als Obsession

Es gibt sie trotzdem noch, die jungen Wilden, die unbedingt ihre Erfolgsgeschichte schreiben wollen. Und manchmal kommen sie sogar aus Deutschland. Ali Jelveh, Deutscher mit iranischen Wurzeln und aufgewachsen in Hamburg, ist so einer. Sein schwarzes T-Shirt („I love my data“) ist ebenso Programm wie die orangefarbene Box, die er immer unter den Arm klemmt. Das ist nach seinen Angaben der einfachste Server der Welt – sozusagen die Materie gewordene Cloud mit lokaler Verschlüsselung und Datenhoheit. Das Unternehmen, Protonet, hat im Crowdfunding in 133 Stunden drei Millionen Euro eingesammelt und war 2013 deutsches Start-up des Jahres. Im Februar aber kam der wichtigste Schritt: Protonet wurde in den Y Combinator in Mountain View aufgenommen, den wichtigsten Inkubator der Technologiebranche weltweit.

Wenn Ali Jelveh über das Arbeiten im Valley spricht, klingt er fast weise. „Nichtfunktionieren ist hier der Normalzustand“, sagt er lächelnd. Umso mehr Energie braucht man, um den Schub zum Erfolg zu entwickeln. „Mein Leben ist Obsession für Technologie, denn Technologie kann Menschen unabhängig machen.“ Jelveh will auch mit seinem Unternehmen unabhängig bleiben. Wenn es gut läuft, kommt irgendwann der Börsengang. Auf keinen Fall will er einen Exit an Microsoft oder Google machen. Er weiß, warum. Das große Geld ist eine Verlockung, aber es ist oft auch der Anfang vom Ende der Start-up-Kultur.

Das entsprechende Motto des Silicon Valley – „fail fast and forward“, scheitere schnell und nach vorne gerichtet – hat seinen Preis. So sehr die deutsche Unternehmerkultur davon eine Portion gebrauchen könnte, so klar ist auch: Unternehmensgründungen in der Technologiebranche sind ein langer, harter Ritt. Mehr als 90 Prozent der Start-ups scheitern, die meisten davon nach etwa 20 Monaten und rund 1,3 Millionen Dollar Anschubfinanzierung. Deswegen gibt es viele aus der Reihe der Etablierten, Investoren, Inkubatoren, die die Zügel straff in der Hand halten. Wer sich so lenken lässt, hat die Chance, irgendwann ein Fixstern der digitalen Wirtschaft zu werden. Und das hat die Netzbranche dann wieder mit dem Stadtbild gemein: Erfolg entstammt nach diesen Maßstäben einer Gleichung aus Strebsamkeit und Konformität. Kreativ ist das nicht mehr. Aber schön sauber.

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