
Der SAP-Mitgründer Klaus Tschira ist heute überraschend im Alter von 74 Jahren verstorben. Das hat die Klaus Tschira Stiftung mit Sitz in Heidelberg auf ihrer Webseite bekannt gegeben; ein SAP-Sprecher bestätigte die Nachricht auf Anfrage der „WirtschaftsWoche“. Tschira hat im Jahr 1972 gemeinsam mit Dietmar Hopp, Hasso Plattner, Hans-Werner Hector und Claus Wellenreuther das Unternehmen Systemanalyse und Programmentwicklung in Weinheim gegründet - den Vorläufer des heutigen Software-Riesen SAP mit Sitz in Walldorf.
Bis 1998 arbeitete Tschira operativ im Unternehmen, wechselte dann in den Aufsichtsrat, aus dem er 2007 ausschied. Neben Hopp und Plattner war der studierte Physiker einer der drei Ankerinvestoren von SAP; zuletzt hielt er über seine Stiftung gut 7,5 Prozent der Anteile.
Die Entwicklung von SAP
Gründung als SAP Systemanalyse und Programmentwicklung in Weinheim; 1976 Umbenennung in Systeme, Anwendungen und Produkte in der Datenverarbeitung; 1977 Umzug nach Walldorf.
Fertigstellung der ersten Finanzbuchhaltungssoftware namens System RF - Grundstein für das spätere Komplettpaket R/1 als umfassende betriebswirtschaftliche Standardsoftware.
Die 1979 erstmals angebotene Software R/2 boomt: Bis Jahresende setzt SAP 245 Millionen Mark um. Im Oktober geht das Unternehmen für umgerechnet 380 Euro je Aktie an die Börse.
Auf der Computermesse Cebit zeigt SAP erstmals die Software R/3, an der die Entwickler seit 1987 arbeiteten. Für den Mittelstand konzipiert, erweist sich R/3 als Megaseller für Konzerne.
Zur Untermauerung der Auslandsexpansion und zur Eroberung des US-Marktes notiert SAP im August an der New York Stock Exchange. Umsatz 4,3 Milliarden Euro.
SAP kauft für 4,8 Milliarden Euro den französischen Softwareanbieter Business Objects. 2010 folgt der Kauf des US-Softwarehauses Sybase für 4,6 Milliarden Euro. Die Basis für neues Wachstum ist geschaffen.
Nach weniger als einem Jahr muss Léo Apotheker als Chef seinen Hut nehmen. Oberkontrolleur Hasso Plattner beruft Jim Hagemann Snabe und Bill McDermott als Nachfolger.
Dem Chefduo Snabe und McDermott gelingt das beste Jahr der Unternehmensgeschichte. Ende 2011 kündigen sie die Übernahme des US-Anbieters SuccessFactors an. Damit schalten sie um auf neue Produkte im zukunftsträchtigen Mobil- und Cloud-Computing-Geschäft.
Mit der Milliardenübernahme des US-Anbieters Ariba verstärken die Co-Chefs Snabe und McDermott ihr neues Cloud-Geschäft weiter. Zugleich erhält SAP ein riesiges Internet-basiertes Beschaffungs-Netzwerk für Geschäftskunden.
Im Frühjahr gibt SAP bekannt, sich in eine europäische Aktiengesellschaft SE umwandeln zu wollen. In der Belegschaft weckt das Befürchtungen, der Konzern könne mittelfristig seinen Firmensitz weg von Walldorf verlagern.
Auf der Hauptversammlung im Mai wird McDermott alleiniger SAP-Chef. Sein bisheriger Kompagnon Snabe rückt in den Aufsichtsrat. McDermott will SAP noch schlanker und flexibler machen sowie das Unternehmen ganz auf die Cloud trimmen.
Im Gegensatz zu SAP-Aufsichtsrats-Chef Plattner und dem als Hoffenheim-Mäzen immer noch präsenten Hopp war Tschira in der Öffentlichkeit seit Jahren nicht mehr sehr präsent – und zog sozusagen als unsichtbarer Dritter im Hintergrund die Strippen. Tschira hatte sich von den drei Großaktionären emotional am meisten von SAP verabschiedet. Das machte er unter anderem im Jahr 2010 gegenüber der „WirtschaftsWoche“: Damals empfing er als großväterlicher „Elder Statesman der IT“ meinen Kollegen und mich zum Interview in seinem Stiftungsgebäude „Villa Bosch“, das hoch oben über Heidelberg thront. Dort spielte er offenherzig diverse mögliche Käufer für das von ihm mitgegründete Unternehmen durch – und heizte so die damals kursierende Übernahmedebatte bei SAP ordentlich an.
Mit seiner im Jahr 1995 gegründeten Stiftung förderte Physiker Tschira vor allem die Naturwissenschaften, die Informatik und die Mathematik. Zudem bewies er als Investor bis zuletzt ein Herz für Startups, die er mit Geld und Know-how förderte – auch wenn er jenen Begriff ablehnte: „Das Wort Investor mag ich überhaupt nicht“, so Tschira 2010 im „WiWo“-Interview. „Die meisten Investoren, von denen man in der Zeitung lesen kann, haben gar kein eigenes Geld, sondern verjubeln das von anderen – und lassen sich dafür Investor taufen.“
Ganz anders also als er, der sonst so zurückhaltende Förderer und Mäzen. Immerhin: Dank der Stiftung und Tschiras SAP-Anteile bleibt sein Engagement für junge Unternehmen auch in Zukunft bestehen.