Koenzens Netzauge

Wer die Verschlüsselung schwächt, gefährdet den Vertrauensraum Europa

Europa kämpft um eine einheitliche Linie. Ein Scheitern bei der Verschlüsselungsfrage würde den gesamten Vertrauensraum Europa massiv schädigen. Und hätte dramatische Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Kolumne.

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Crypto Wars – der Kampf um die Verschlüsselung. Quelle: dpa

Es ist eines dieser Themen, die in Zeiten terroristischer Bedrohungen auch in der EU regelmäßig Hochkonjunktur genießen: der Zugriff staatlicher Stellen auf die verschlüsselte Kommunikation der eigenen Bürger. Mit dem Totschlagargument der Inneren Sicherheit werden Bedenken von Datenschützern, Bürgerrechtlern und auch IT-Sicherheitsexperten pauschal vom Tisch gewischt. Die dramatischen Folgen staatlicher Hintertüren für freiheitliche Grundrechte, eine funktionierende Demokratie sowie den Schutz der für uns alle so wichtigen Wirtschaft werden schlichtweg negiert – zumindest von einem Teil der EU-Mitgliedsländer.

Ganz vorne an der Front der Verschlüsselungsgegner stehen aktuell Großbritannien und Frankreich. Jenseits des Ärmelkanals wird derzeit ein neues Netzüberwachungsgesetz vorbereitet, das sogar von UN-Vertretern offen kritisiert wird.

Zustimmung zur Aussage: "Ich sehe meine Privatsphäre durch die Nutzung digitaler Technologien bedroht"

Konkret sieht die im November 2015 erstmals durch die britische Innenministerin Theresa May vorgestellte Investigatory Power Bill neben umfangreichen Speicherpflichten durch die Provider auch verpflichtende Hintertüren für Verschlüsselungstechnik vor.

Unsere französischen Freunde wiederum haben eine lange Anti-Kryptographie-Historie. Phasenweise war die Nutzung von Verschlüsselung im Land an der Seine sogar vollständig verboten. Und auch nach den jüngsten Terroranschlägen gibt es Forderungen aus Sicherheitskreisen, verpflichtende Hintertüren zumindest für VoIP-Telefonate einzuführen.

Zwangs-Hintertüren als Gefahr für die Demokratie

Besonders die massenhafte, anlasslose Speicherung von Daten und die angedachten Zwangs-Hintertüren haben die Gegner des britischen Netzüberwachungsgesetzes auf den Plan gerufen. In ungewohnter Einigkeit wehren sich IT-Konzerne und Bürgerrechtler gleichermaßen gegen die Gesetzesinitiative. Selbst die Vereinten Nationen haben sich zu Wort gemeldet und ihre massiven Bedenken in einer Eingabe an das britische Parlament geäußert. Ein bemerkenswerter Vorgang, wie wir ihn sonst eher im Zusammenhang mit totalitären Systemen kennen.

Die Bedenken gehen weit: von der Zerstörung des einzig wirksamen Sicherheitsmechanismus im Internet – der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – bis hin zu einer realen Gefahr für die Meinungsfreiheit, den Schutz der Privatsphäre und die Pressefreiheit. Kurz: der Gefährdung der Demokratie.

Die größten Hacker-Angriffe aller Zeiten
Telekom-Router gehackt Quelle: REUTERS
Yahoos Hackerangriff Quelle: dpa
Ashley Madison Quelle: AP
Ebay Quelle: AP
Mega-Hackerangriff auf JPMorganDie US-Großbank JPMorgan meldete im Oktober 2014, sie sei Opfer eines massiven Hackerangriffs geworden. Rund 76 Millionen Haushalte und sieben Millionen Unternehmen seien betroffen, teilte das Geldhaus mit. Demnach wurden Kundendaten wie Namen, Adressen, Telefonnummern und Email-Adressen von den Servern des Kreditinstituts entwendet. Doch gebe es keine Hinweise auf einen Diebstahl von Kontonummern, Geburtsdaten, Passwörtern oder Sozialversicherungsnummern. Zudem liege im Zusammenhang mit dem Leck kein ungewöhnlicher Kundenbetrug vor. In Zusammenarbeit mit der Polizei gehe die Bank dem Fall nach. Ins Visier wurden laut dem Finanzinstitut nur Nutzer der Webseiten Chase.com und JPMorganOnline sowie der Anwendungen ChaseMobile und JPMorgan Mobile genommen. Entdeckt wurde die Cyberattacke Mitte August, sagte die Sprecherin von JPMorgan, Patricia Wexler. Dabei stellte sich heraus, dass die Sicherheitslücken schon seit Juni bestünden. Inzwischen seien die Zugriffswege jedoch identifiziert und geschlossen worden. Gefährdete Konten seien zudem deaktiviert und die Passwörter aller IT-Techniker geändert worden, versicherte Wexler. Ob JPMorgan weiß, wer hinter dem Hackerangriff steckt, wollte sie nicht sagen. Quelle: REUTERS
Angriff auf Apple und Facebook Quelle: dapd
 Twitter Quelle: dpa

Deutschland und die Niederlande als Bollwerk gegen Hintertüren

Den Verschlüsselungsgegnern stehen jedoch überzeugte Verschlüsselungsbefürworter entgegen. So hält die deutsche Politik am Grundsatz der Backdoor-Freiheit fest. Zwar kamen Anfang Januar 2015 unter dem Eindruck der ersten Terroranschläge von Paris auch hierzulande Forderungen nach staatlichen Hintertüren zu verschlüsselter Kommunikation auf. Doch die wurden glücklicherweise schon kurz darauf – nach massiven Protesten von Datenschützern, Netzaktivisten und auch der Wirtschaft – wieder verworfen.

Mehr noch: mit der „Charta zur Stärkung der vertrauenswürdigen Kommunikation“ wurde im vergangenen November ein offizieller Schlussstrich unter die hiesige Verschlüsselungsdebatte gezogen. Schließlich ist es ihr erklärtes Ziel, Deutschland zum „Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt“ zu machen und „vertrauenswürdige Kommunikation insbesondere durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ zu stärken. Mitinitiator ist niemand anderes als das Bundesinnenministerium.

Kampf um die Verschlüsselung

Vergangene Woche dann zogen die Niederlande nach. In einem Positionspapier hat sich die niederländische Regierung deutlich gegen staatliche Hintertüren in Verschlüsselungslösungen ausgesprochen und steht damit inhaltlich an der Seite Deutschlands. Zur Begründung heißt es, Hintertüren bärgen immer auch die Gefahr, dass sie nicht nur von berechtigten staatlichen Stellen genutzt, sondern auch von Kriminellen oder ausländischen Diensten missbraucht würden.

Techniken zur digitalen Selbstverteidigung
E-Mails verschlüsselnDie Technik für eine solche Verschlüsselung gibt es seit Jahren. Sie hat nur zwei Nachteile: Erstens macht es Mühe, sie zu benutzen, und zweitens muss der Empfänger dieselbe Technik einsetzen. Fakt ist, dass E-Mails grundsätzlich kein besonders sicheres Kommunikationsmedium sind, aber durch ihre weite Verbreitung unverzichtbar bleiben. Auch wenn es aufwendig klingt: Sie sollten darüber nachdenken, zumindest im Mailverkehr mit wichtigen Partnern beidseitige Verschlüsselung einzusetzen. Quelle: dpa
Verabschieden Sie sich aus sozialen NetzwerkenSoziale Netzwerke sind nicht sicher, können es nicht sein und wollen es wohl auch nicht. Deshalb muss sich jeder Nutzer darüber im Klaren sein, dass für die Nutzung von Facebook & Co. mit dem Verlust von Privatsphäre bezahlt wird. Viele Unternehmen fragen sich inzwischen: Brauchen wir das wirklich? Hier macht sich zunehmend Ernüchterung über den Nutzen sozialer Netzwerke breit. Quelle: dpa
Springen Sie aus der WolkeVermutlich sitzt die NSA zwar nicht in den Rechenzentren von Google oder Microsoft, aber sie könnte Internet-Service-Provider überwachen und damit auch Daten auf ihrem Weg in die Wolke beobachten. Unabhängig davon, was die NSA tatsächlich tut, wissen wir, dass Behörden auf Cloud-Server zugreifen können. Halten Sie Ihre Daten in einer Private Cloud oder gleich im eigenen Rechner. Zu aufwendig? Nicht zeitgemäß? Auf jeden Fall besser, als beklaut zu werden. Quelle: dpa
Schalten Sie alles Unnötige abWer Smartphones und Tablets benutzt, weiß, dass solche Geräte ständig im Hintergrund irgendwelche Kontakte und Kalender synchronisieren, Browser-Historien anlegen und viele mehr. Richtig gefährlich kann dieses ständige Sich-einwählen in Verbindung mit GPS-Daten sein. Google weiß nämlich, in welcher Bar Sie letzte Woche waren. Wichtig ist erstens, die GPS-Funktion immer wieder zu deaktivieren, zweitens in Google Maps sämtliche Funktionen, die Standorte melden und Standorte mit anderen teilen, zu deaktivieren. Quelle: dpa
Eine Methode, um Bewegungsprofile zu vermeiden, ist die Benutzung eines guten alten Navis statt eines Smartphones zur Orientierung. Navis lassen sich – anders als Telefone – auch vollkommen anonymisiert einsetzen. Quelle: REUTERS
Web-Browsing versteckenDer Einsatz eines Secure-socket layers (SSL) zur Datenverschlüsselung im Internet ist nicht völlig sicher, aber auf jeden Fall deutlich sicherer, als nichts zu tun. Eine Möglichkeit, SSL zu nutzen, ist die HTTPS Everywhere-Browsererweiterung der Electronic Frontier Foundation. Gibt es aber leider nur für Firefox und Chrome. Noch mehr Sicherheit bietet das Tor Browser Bundle, aber es kann das Surf-Erlebnis unter Umständen deutlich verlangsamen. Quelle: dpa
Keine Messages über externe ServerInstant Messaging über Google Hangouts, Skype und ähnliches landet zwangsläufig in den Händen Dritter, weil solche Nachrichten grundsätzlich nicht direkt, sondern über einen Server ausgeliefert werden. Quelle: REUTERS

Crypto Wars – eine Never-ending Story

Das Hin und Her in Sachen Hintertüren ist indes kein neues Phänomen, es gibt dafür gar einen Fachausdruck: Crypto Wars – der Kampf um die Verschlüsselung. Bereits in den Neunzigerjahren versuchten die USA, gegen Verschlüsselung von elektronischer Kommunikation vorzugehen. Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben scheiterte und war letztendlich verantwortlich dafür, dass eine bis heute weit verbreitete Verschlüsselungslösung erst entstand: PGP.

Seither gab es in den USA immer wieder Vorstöße zur Untergrabung verschlüsselter Kommunikation, unter anderem durch bewusst geschwächte Zufallszahlengeneratoren wie Dual_EC_DRBG, die jahrelang standardmäßig in US-Kryptographielösungen eingesetzt wurden.

Und auch die Zerrissenheit der Europäer in Sachen Hintertüren und Verschlüsselung spricht Bände. Dem Argument der vermeintlich größeren Inneren Sicherheit durch staatliche Zugriffsmöglichkeiten auf verschlüsselte Kommunikation stehen wesentliche Grundwerte unserer westlichen Gesellschaft gegenüber: die Meinungsfreiheit und der Schutz der Privatsphäre.

Europa ist ein beispielloser Vertrauensraum, der durch eine Schwächung von Verschlüsselung massiven Schaden nehmen würde. Unser Datenschutzverständnis ist wahrscheinlich einzigartig auf der Welt. Umso dramatischer ist die derzeitige Zerrissenheit Europas in einer so elementaren Frage, von der Wertegemeinschaft EU bleibt da nicht viel übrig.

Auch für die Wirtschaft ist die Debatte ein Unding. Für die Unternehmen ist die Möglichkeit der vertraulichen Kommunikation genau so grundlegend wie der Zugang zu digitalen Infrastrukturen selbst. Auch Industrie 4.0 kann nur gelingen, wenn die Digitalisierung industrieller Prozesse optimal gegen Abhören, Manipulation und Sabotage abgesichert werden kann.

Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist der einzig wirksame Schutzmechanismus im Netz. Für Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft. Für uns und unsere Demokratie. Sie darf nicht geschwächt werden.

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