Kritik an Softwarekonzern Wie ernst meint SAP den Rückzug aus Russland?

Der Softwarekonzern aus Walldorf hat russischen Cloudkunden in einem Schreiben mehrere Optionen für ihre Daten angeboten, weil die russischen Rechenzentren geschlossen werden. Quelle: dpa

SAP unterstützt die Sanktionen des Westens – und kündigte den Rückzug aus Russland an. Ein nun aufgetauchtes Schreiben von Ende März bot russischen Kunden den Transfer von Clouddaten an – und irritiert ukrainische Medien.

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Bei SAP sorgt der angekündigte Russlandrückzug für Unruhe. Am 24.03.2022 hatte der Softwarekonzern aus Walldorf angekündigt: „Wir stehen zu unserer Verpflichtung gegenüber der Ukraine, indem wir alle Verkäufe stoppen und den Cloud-Betrieb in Russland einstellen“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Wir setzen die internationalen Sanktionen vollständig um und stellen sowohl Technologie als auch humanitäre Hilfe bereit.“

Nur einen Tag vorher allerdings, am 23.03.2022, hatte das „SAP Executive Board“ – also der SAP-Vorstand – einen Brief an seine Kunden in Russland gerichtet, in dem er unter anderem einen kostenlosen Umzug der Daten auf Rechenzentren außerhalb von Russland anbietet. Die ukrainische Online-Zeitung „The Kyiv Independent“, die den Vorgang und das Schreiben gestern als erstes Medium veröffentlicht hat, wirft SAP daher Heuchelei bei dem angekündigten Rückzug aus Russland vor. Das Unternehmen agiere „scheinheilig“. Es unterlaufe die eigenen Versprechen, schreibt die Zeitung.

Deutschlands wertvollster Dax-Konzern gerät damit zwischen die Fronten des Ukrainekrieges. Wie viele Unternehmen verspricht SAP, die Sanktionen des Westens gegen Russland vollumfänglich zu unterstützen. Gleichwohl ergreift das Management konkrete Maßnahmen, um Daten zu sichern, die Geschäftsbeziehungen zu ihren russischen Kunden also nicht ganz abflauen zu lassen. Agiert SAP damit noch sanktionskompatibel – oder schon im Graubereich?

Das Agieren von SAP in Russland zeigt auch, wie heikel und sensibel Unternehmen jetzt und in Zukunft im russischen Markt agieren wollen. Einige Unternehmen wie der Gabelstaplerhersteller Kion ziehen sich für immer zurück, andere wie der Haushaltsgeräteproduzent Miele und Maschinenbauer DMG Mori fahren vorübergehend herunter. Eine dritte Gruppe wie der Landtechnikhersteller Claas und Konsumgüterriese Henkel produzieren zumindest teilweise weiter.

Diese Unternehmen wenden sich von Russland ab
LindeAngesichts der Sanktionen gegen Russland stehen beim Gasekonzern Linde Anlagenbau-Projekte im Volumen von bis zu zwei Milliarden Dollar zur Disposition. Per Ende März habe Linde Verträge in dieser Höhe, etwa für Anlagen zur Gasverflüssigung, in Russland in den Büchern gehabt, teilte der amerikanisch-deutsche Konzern am 28. April bei Vorlage der Quartalszahlen mit. Von Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine seien im ersten Quartal bereits Projekte im Volumen von rund 350 Millionen Dollar betroffen gewesen oder seien voraussichtlich betroffen. Linde hatte das Neugeschäft in Russland gestoppt und ist dabei, die Aktivitäten dort nach und nach zurückzufahren: Bestimmte Kunden würden nicht mehr beliefert, zumindest von einem Teil der Anlagen wolle man sich trennen. Für das zweite Halbjahr hat Linde keine Umsätze aus Russland mehr in seinen Planungen berücksichtigt. Quelle: dpa
BASFDer Chemiekonzern BASF stoppt wegen des Krieges in der Ukraine seine Aktivitäten in Russland und Belarus. Eine Ausnahme sei das Geschäft zur Unterstützung der Nahrungsmittelproduktion, teilte der Ludwigshafener Konzern am 27. April mit. Seit März schließt BASF bereits keine neuen Geschäfte mehr in den Ländern ab. Wegen der jüngsten Entwicklungen in dem Krieg und den von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland habe der Konzern nun entschieden, auch die bestehenden Aktivitäten in Russland und Belarus bis Anfang Juli einzustellen. Derzeit hat BASF 684 Beschäftigte in den beiden Ländern, diese sollen bis zum Jahresende weiter unterstützt werden. Die Geschäfte in Russland und Belarus machten im vergangenen Jahr rund ein Prozent des Konzernumsatzes aus, in der Ukraine waren es 0,2 Prozent.Mehr dazu lesen Sie hier: BASF stoppt Neugeschäft in Russland. Quelle: dpa
SAPDer Softwarekonzern gab am 19. April bekannt, den russischen Markt endgültig zu verlassen. Das Unternehmen kündigte zwei weitere Schritte „für den geordneten Ausstieg aus unserem Geschäft in Russland“ an. Hinsichtlich seiner Cloud-Dienste hatte SAP nicht von Sanktionen betroffene Unternehmen bereits vor die Wahl gestellt, Daten löschen zu lassen, diese in Eigenregie zu übernehmen oder sie in ein Rechenzentrum außerhalb von Russland zu überführen. SAP kündigte nun an, die Verträge russischer Firmen, die sich für eine Migration der Daten ins Ausland entschieden hätten, nach Ablauf der Abonnementlaufzeit nicht zu verlängern. Zudem beabsichtige SAP, den Support und die Wartung für Produkte, die auf lokalen Servern in Russland installiert sind (On-Premise), einzustellen. „Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen, wie sich diese Entscheidung umsetzen lässt“, teilte das Unternehmen mit. Das Hauptaugenmerk liege darauf, den rechtlichen Verpflichtungen gegenüber nicht-sanktionierten Kunden weiter nachzukommen. Bereits Anfang März hatte SAP erklärt, sich den Sanktionen anzuschließen und das Neugeschäft in Russland wie auch Belarus einzustellen. Das beinhaltete allerdings nicht Dienstleistungen gegenüber Bestandskunden wie Wartungen oder Cloud-Dienste, die zunächst weiter angeboten wurden. Medienberichten zufolge soll diese Entscheidung intern von Mitarbeitern kritisiert worden sein. Mehr dazu lesen Sie hier. SAP macht nicht öffentlich, wie groß das Geschäft in Russland ist. Aus dem Integrierten Bericht 2019 – den letzten verfügbaren Daten – geht hervor, dass die russische Tochtergesellschaft unkonsolidiert im Jahr knapp 483 Millionen Euro umsetzte. Quelle: imago images/photothek
HenkelDer Konsumgüterkonzern gibt sein Russland-Geschäft nun doch auf. Das Unternehmen hinter Marken wie Persil, Schwarzkopf und Fa kündigte am 19. April an, es habe angesichts der aktuellen Entwicklung des Ukraine-Krieges beschlossen, seine Aktivitäten in dem Land einzustellen. „Der Umsetzungsprozess wird nun vorbereitet.“ Henkel werde mit seinen Teams in Russland an den Details arbeiten, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten, hieß es. Währenddessen würden die 2500 Beschäftigten von Henkel in Russland weiterbeschäftigt und -bezahlt. Die mit der Entscheidung verbundenen finanziellen Auswirkungen des geplanten Ausstiegs für Henkel könnten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht näher quantifiziert werden. Henkel hatte mit dem Schritt lange gezögert. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar hatte der Konzern zwar entschieden, alle geplanten Investitionen in Russland zu stoppen sowie Werbung und Sponsoring einzustellen. Die dortige Produktion sollte jedoch weiterlaufen. Dafür gab es auf der Hauptversammlung Anfang April Kritik von Aktionären, die etwa einen Reputationsschaden für Henkel fürchteten. Quelle: REUTERS
Dr. OetkerAuch der Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker zieht sich wegen des Ukraine-Krieges komplett aus Russland zurück. Das Familienunternehmen teilte am 8. April mit, dass es alle Anteile an seiner Russlandtochter an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkaufe und damit sämtliche Aktivitäten in dem Land beende. Das Unternehmen hatte bereits direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine alle Exporte nach Russland, alle Investitionen in die russische Schwestergesellschaft sowie sämtliche nationalen Marketingaktivitäten gestoppt. Das von Dr. Oetker in der Stadt Belgorod betriebene Nährmittelwerk produzierte seitdem nach Unternehmensangaben nur noch Grundnahrungsmittel wie Hefe und Backpulver für die russische Bevölkerung. Quelle: imago images
IntelDer Chip-Hersteller Intel stellt ab dem 6.April alle Geschäfte in Russland ein. Es seien Vorkehrungen getroffen worden, dass das weltweite Geschäft dadurch so gering wie möglich beeinträchtigt werde, teilt der Chip-Hersteller mit. Quelle: dpa
DecathlonDer französische Sportausrüster Decathlon stellt sein Geschäft in Russland ein. Das teilte das Unternehmen am 29. März mit. Die Lieferbedingungen unter strikter Beachtung der internationalen Sanktionen ließen eine Fortsetzung der Aktivitäten nicht mehr zu, teilt der Konzern mit. Decathlon ist im Besitz der französischen Unternehmerfamilie Mulliez, der unter anderem auch die Supermarktkette Auchan gehört. Zuletzt war der Druck auf die Familie gewachsen, ihre Geschäfte in Russland einzustellen. Auchan erklärte jedoch kürzlich, dort präsent zu bleiben. Andernfalls würden ein Verlust von Vermögenswerten und juristische Probleme für Auchan-Manager befürchtet. Auchan hat rund 30.000 Angestellte in Russland, Decathlon etwa 2500. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte heimische Konzerne vor Reputationsschäden gewarnt, wenn sie in Russland bleiben. Quelle: imago images

In dem Schreiben betonte SAP, man sei bestrebt, seinen Cloudkunden ein höchstmögliches Servicelevel bieten zu wollen und arbeite an Notfallplänen für jene Kunden, die Clouddienste auf Rechenzentren in Russland nutzen. Wegen Lieferkettenproblemen sowie der Gefahr, Clouddienste und Support nicht weiter aufrechterhalten zu können, würde man seinen Kunden aktiv anbieten, ihre Daten außerhalb von Russland zu verlegen. Wie SAP weiter hervorgehoben hat, habe zu dem Zeitpunkt unter den gegebenen Umständen eine hohe Dringlichkeit zum Handeln bestanden – und man eine Rückmeldung bis spätestens Freitag, den 25. März 2022, erwartet. Den Krieg mit der Ukraine als Ursache erwähnt das Schreiben mit keinem Wort.

In der Folge offerierten die Walldorfer drei Handlungsoptionen: Zum einen könne der Kunde SAP beauftragen, die Cloud-Daten auf Rechenzentren außerhalb von Russland zu migrieren. Zum anderen könne der Kunde den Datentransfer verweigern und SAP beauftragen, eine Kopie der Daten an das Unternehmen zu schicken. Die dritte Möglichkeit: Widerspruch. Dann würde SAP die Daten des Kunden in den SAP-Rechenzentren in Russland löschen.

Russische Firmen dürfen Daten außerhalb des Landes nicht nutzen

Auf Anfrage der WirtschaftsWoche bestätigt das Unternehmen die Echtheit des Briefes. Es sei SAP aber mitnichten darum gegangen, Cloudkunden in Russland bei der Umgehung der Sanktionen zu helfen, indem man diesen ermögliche, Daten und Clouddienste von außerhalb Russlands zu nutzen. Schließlich sei es russischen Unternehmen aus regulatorischen Gründen gar nicht erlaubt, auf Clouddaten außerhalb des Landes zuzugreifen. Aus diesem Grund habe SAP bisher ein eigenes Rechenzentrum in Russland betrieben. Der entscheidende Punkt ist daher: Selbst wenn die Option zu Verlagerung der Daten außerhalb von Russland gewählt würde, könnten diese Kunden die Daten nicht mehr nutzen, sondern diese würden nur dort abgelegt.

„Wir stehen zu unserer Verpflichtung gegenüber der Ukraine, indem wir alle internationalen Sanktionen vollständig umsetzen, Verkäufe stoppen und den Cloud-Betrieb in Russland und Belarus einstellen“, so SAP in einer offiziellen Stellungnahme. „Allerdings gehören die Daten in den Rechenzentren nicht uns, sondern den Kunden. Aus rechtlichen Gründen haben wir daher Optionen erarbeitet, wie wir diese Daten übergeben können. Das gilt ebenfalls für unsere internationalen Kunden, die bisher auch auf dem russischen Markt tätig waren.“

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Möglicherweise ergibt sich daraus eben aber auch die Chance, derzeit ruhende Kundenbeziehungen nach einem möglichen Ende des Krieges und der Sanktionen wieder aufzunehmen. Die Walldorfer widersprechen: Laut Aussage von SAP gehe es rein um die technische Abwicklung der Cloudschließung in Russland, weil die Daten den Kunden gehören. Wie viele russische Kunden welche der drei Optionen ausgewählt haben, konnte SAP auf Anfrage nicht sagen – allerdings verweist ein Unternehmensinsider darauf, dass Russland kein Cloudmarkt sei; die überwiegende Mehrheit aller Kunden dort betreibt die Software auf eigenen Rechnern. Diese sind vom Schließen der SAP-Cloud ohnehin nicht betroffen.

Warum aber hat SAP den Krieg mit der Ukraine in dem Schreiben nicht explizit erwähnt? Man habe die Situation nicht weiter eskalieren wollen, heißt es beim Unternehmen.

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