WirtschaftsWoche Online: Mister Maresca, ihr langjähriger Vertriebspartner Apple hat mit Beats Electronics einen Ihrer wichtigsten Wettbewerber erworben und macht Bose nun stärker Konkurrenz. Was bedeutet das für Sie?
Bob Maresca: Unsere Beziehung zu Apple ist sicherlich komplexer geworden. Aber sie ist seit Jahrzehnten gewachsen. Unsere Unternehmen ähneln sich, weil wir beide auf Innovation setzen. Ich bin nicht besorgt.
Zur Person
Bob Maresca, der sein Alter als Privatsache betrachtet und für sich behält, führt seit September 2013 den US-Audiospezialisten mit rund 10 000 Mitarbeitern und einem geschätzten Umsatz von rund drei Milliarden Dollar. Nach dem Studium an den Elite-Unis MIT und Stanford arbeitete Maresca in der Forschung von Philips und Hewlett-Packard, bevor er 1986 zu Bose wechselte. Der Ingenieur hält sich im Hintergrund und gibt sehr selten Interviews.
Wirklich nicht? Wettbewerber wie Beats Electronics und Monster machen Ihnen an mehreren Fronten zu schaffen. So setzen sie auf prominente Musikstars in der Vermarktung. Bose nicht. Warum?
Wir werden unseren eigenen Weg finden. Der muss glaubwürdig sein. Wir sind auf hervorragenden Sound fokussierte Ingenieure, die darauf stolz sind. Aber mir ist bewusst, wie stark Mode unser Geschäft mittlerweile beeinflusst. Meine Frau und meine Tochter haben mich schon mehrfach damit aufgezogen, warum wir nur Kopfhörer in Schwarz und Silber anbieten. Nun, das haben wir geändert.
Ihre Konkurrenz spricht vor allem jüngere Kunden an. Bose kontert nun mit Einstiegsprodukten wie günstigen Bluetooth-Lautsprechern. Aber funktioniert das auch mit einer Marke, die auch Geräte für mehrere Tausend Dollar offeriert?
Kennen Sie jemanden, der Musik nicht mag? Sicher nicht. Warum also sollten wir uns nur auf eine Kundengruppe fokussieren? Wir werden niemals die billigsten in einer Produktkategorie sein. Aber unser Ziel ist es, für den jeweiligen Preis das beste Produkt zu offerieren.
Bose gehört heute mehrheitlich der Eliteuniversität Massachusetts Institute of Technology (MIT). Wie kam es dazu?
Unser Gründer Amar Bose, der im vergangenen Jahr starb, war viele Jahrzehnte Professor am MIT und ihm sehr verbunden. Er hat die Mehrheit der Aktien dem MIT geschenkt, mit der Auflage, dass diese niemals verkauft werden dürfen.
Regieren Ihnen nun die vielen Professoren des MIT munter ins Tagesgeschäft hinein?
Nein. Die Aktien sind nicht stimmberechtigt. Das wurde von Dr. Bose bewusst so verfügt. Er war überzeugt, dass eine akademische Institution kein Unternehmen führen sollte. Das ist weder ihre Aufgabe noch Expertise. Das MIT bekommt jährlich eine Dividende ausgeschüttet, um diese für Lehre und Forschung zu verwenden.
Die Geschichte des Hifi-Herstellers Bose
Amar Gopal Bose kommt in der US-Metropole Philadelphia als Sohn eines bengalischen Vaters und einer amerikanischen Mutter zur Welt. Er lernt Geige spielen und entwickelt dabei ein feines Gehör.
Als Teenager repariert Bose kaputte Radios im Keller seines Elternhauses, wechselt zur wichtigsten technischen Hochschule der USA und promoviert 1956 im legendären Forschungslabor für Elektronik. Zur Promotion gönnt sich Bose eine Hi-Fi-Anlage und weil ihm der Klang missfällt, forscht er zum Thema Akustik.
Statt sich nach einem etablierten Unternehmen für die Lizenzierung seiner Lautsprecherpatente umzusehen, macht sich Bose selbstständig: Tagsüber entwickelt er Geräte für das Militär und abends neue Lautsprecher.
Der 2201 Lautsprecher kommt 1966 auf den Markt und wird kein Erfolg, weil er zu teuer ist und unbeholfen vermarktet wird. Das ändert sich mit dem Modell 901 mit neuer Technik bei der Gestaltung der Lautsprecher und dem Einsatz von Psychoakustik, die Besonderheiten der menschlichen Wahrnehmung für ein volles Klangerlebnis nutzt.
Wegen des großen Erfolgs des 901-Lautsprechers bei Konzertveranstaltern folgt das größere Modell 800.
Bose baut als erster Autostereoanlagen nach den akustischen Anforderungen eines bestimmten Fahrzeugmodells.
Das Acoustic-Wave-System erreicht raumfüllenden Klang mit kleinen Geräten, deren Nachfolger innerhalb der kommenden zehn Jahre auf die Größe eines Kofferradios schrumpfen.
1987 folgt ein weiterer Meilenstein: Das Acoustimass 5 System schafft den Klang großer Lautsprecher auf kleinstem Raum, in dem es den Klang in zwei kleinen Hochtönern und einem zentralen Basslautsprecher erzeugt.
Auf einem Transatlantikflug ärgert sich Bose 1978, wie sehr Turbinenlärm den Klang der stört. Seine Idee, den Lärm durch ein Gegensignal zu dämpfen, wird 1989 serienreif mit den ersten Pilotenkopfhörern. Im Jahr 2000 folgt das erste Modell für Konsumenten und wird zum Liebling der Vielflieger.
Bose baut Geräte zur Materialprüfung und Lebensdauersimulation. Später im Jahr folgt eine elektromagnetische Auto-Federung ohne Federn oder Hydraulik. 2010 folgen elektrisch gefederte LKW-Sitze, die Fernfahrern Schutz vor schädlichen Fahrbahnvibrationen bieten, sowie eine elektronische Schalldämpfung für den Innenraum.
Das Digital Music System verschafft kleinen MP3-Spielern wie Ipods einen raumfüllenden Klang.
Das VideoWave Entertainment System ist ein hochauflösendes TV-Gerät mit Heimkinoklang aus einem 16-teiligen, in den Bildschirm integrierten Lautsprecher.
Der akkubetriebene SoundLink Lautsprecher Wireless verhilft allen bluetoothfähigen Geräten zu vollem Sound. 2013 folg ein handgroßes Gerät.
Wie hoch ist die, und wer legt sie fest?
Das ist vertraulich zwischen uns und dem MIT geregelt. Nur so viel: Die Mehrheit des Gewinns wird ins Unternehmen für Forschung und Produktentwicklung reinvestiert. Wir sind sehr glücklich, dass wir privat bleiben konnten und uns nicht alle 90 Tage von Aktionären fragen lassen müssen, wie der Gewinn verteilt wird. So können wir Projekte anpacken, die bei einem börsennotierten Unternehmen nicht möglich wären.
Zum Beispiel?
Kopfhörer mit aktiver Rauschunterdrückung, wie sie heute von Piloten oder Flugpassagieren gegen Lärm verwendet werden, würde es wahrscheinlich nicht geben, wenn wir an der Börse gewesen wären.
Das ist die Sparte, die Sie 1997 übernahmen, um sie zu retten.
Ich war damals seit elf Jahren Forscher bei Bose. Als mich Dr. Bose in sein Büro bestellte, dachte ich, dass er Forschungsergebnisse diskutieren wolle. Stattdessen forderte er mich auf, die Sparte mit der aktiven Rauschunterdrückung zu übernehmen und deren Probleme zu lösen. Ich war schockiert. Ich war mit meiner Position als Forscher sehr glücklich und hatte keine Erfahrung im Management.
Warum haben Sie trotzdem akzeptiert?
Man konnte Dr. Bose schlecht etwas abschlagen. Er war davon überzeugt, dass es die richtige Aufgabe für mich wäre. Ein paar Tage danach bekam ich einen Anruf von unserem Finanzchef, den ich noch nie persönlich getroffen hatte. Er lud mich auf eine Tasse Kaffee ein und sagte, Bob, wir beschäftigen uns seit 19 Jahren mit diesen rauschunterdrückenden Kopfhörern. Wir haben bereits 50 Millionen Dollar investiert und werden dieses Jahr weitere sechs Millionen Dollar verlieren. Jemand – und er schaute mich an – muss den Chef davon überzeugen, diese Sparte zu schließen.
Investitionen in neue Abenteuer
Was haben Sie getan?
Ich ging zu Dr. Bose und sagte, vielleicht sind Sie sich dessen nicht bewusst, aber nicht alle Manager sind so enthusiastisch für die rauschunterdrückenden Kopfhörer wie Sie. Er entgegnete: Ja, ja, ich weiß. Was hat es uns bislang gekostet? Ich antwortete: 50 Millionen Dollar. Seine Reaktion werde ich nie vergessen.
Und die war?
Er hob seine Stimme: 50 Millionen Dollar! Bob, wenn das ein börsennotiertes Unternehmen wäre, hätten die mich schon vor Jahren gefeuert! Seine Botschaft war klar. Dr. Bose war fest überzeugt, dass es ein nützliches Produkt war, es deshalb einen Markt dafür geben würde und wir den richtigen Weg noch finden würden.
Heute sind die Kopfhörer, die Umweltgeräusche herausfiltern, eines Ihrer wichtigsten Segmente. Was brachte den Durchbruch?
1998 haben wir tatsächlich weitere sechs Millionen Dollar verloren. Aber wir haben die Qualitätsprobleme gelöst und das Produkt kompakter und kosteneffektiver gemacht. Das Militär nutzte die Kopfhörer für Panzerbesatzungen und Piloten. 1999 haben wir gemeinsam mit American Airlines die ersten rauschunterdrückenden Kopfhörer für Konsumenten im Markt eingeführt. In dem Jahr machten wir den ersten Dollar Gewinn. Wir waren so stolz, dass wir diesen eingerahmt haben. Es hat dann noch fünf bis sechs Jahre gedauert, bis wir die Gesamtinvestitionen wieder drin hatten.
Ein anderes ambitioniertes Bose-Projekt war ein neues System zum Federn von Fahrzeugen. Was ist daraus geworden?
Deswegen bin ich 1986 zu Bose gewechselt. Wir haben die beste Fahrzeugfederung der Welt geschaffen. Mercedes hat uns das bestätigt, ebenso wie General Motors und Honda. Aber – es tut mir weh, das einzuräumen zu müssen – es war leider kein kommerzieller Erfolg.
So boomt der Markt für Kopfhörer
Quelle: Gfu
Verkauft: 8,9 Millionen Stück
Umsatz: 187 Millionen Euro
Verkauft: 9,9 Millionen Stück
Umsatz: 235 Millionen Euro
Verkauft: 11,1 Millionen Stück
Umsatz: 306 Millionen Euro
Verkauft: 11,1 Millionen Stück
Umsatz: 327 Millionen Euro
Verkauft: 11,3 Millionen Stück
Umsatz: 339 Millionen Euro
Wo lag das Problem?
Wir haben die schwerste, teuerste und am schwierigsten zu produzierende Fahrzeugfederung der Welt geschaffen. Die verwendeten Magnete sind sehr kostspielig, und der Stromverbrauch ist zu hoch.
Haben Sie die Technologie aufgegeben?
Nein. Statt einen ganzen Wagen zu federn, haben wir uns als Zwischenlösung auf den Fahrersitz fokussiert. Rund 10 000 Trucks sind bislang damit ausgestattet. Die Federung ist auch nicht billig, hat aber Sicherheitsvorteile, weil die Fahrer weniger durchgeschüttelt werden, sich so besser auf die Straße konzentrieren können und ihr Rücken nicht so belastet wird.
Wie viel hat Bose in das Abenteuer investiert?
Eine ganze Menge. Ich bin aber optimistisch, dass es sich ähnlich wie mit den rauschunterdrückenden Kopfhörern verhält. Es ist ein nützliches Produkt. Es gibt einen Markt. Wir haben nur noch nicht den Weg gefunden, es zu vernünftigen Kosten anzubieten.
Sie betonen immer die Vorteile, nicht an der Börse zu sein. Gibt es auch Nachteile?
Eine Herausforderung ist das Einsammeln von Kapital, um neue Vorhaben zu finanzieren. Wir müssen das aus eigenen Mitteln tun. Das begrenzt unser Wachstum. Wir können nicht einfach so unseren Umsatz in einem Jahr verdoppeln. Aber da wir keine Aktionäre befriedigen müssen, können wir eben auch langsamer wachsen. Solange wir uns mit unseren Produkten behaupten und Neues auf den Markt bringen, ist das in Ordnung.
Apple-Chef Steve Jobs hat seinem Nachfolger ans Herz gelegt, bei Entscheidungen nie zu fragen, was er wohl getan hätte. Wie war das bei Ihrem Gründer, der Bose sehr geprägt hat?
Ganz ähnlich. Vor ein paar Jahren wurde Dr. Bose bei einer Diskussionsrunde vor Mitarbeitern aufgefordert, seine Vision der Zukunft darzustellen. Er sagte: Tut mir leid, aber das werde ich nicht tun. Denn sonst besteht die Gefahr, dass ihr eure ganze Zeit verschwenden werdet, meine Vision der Zukunft umzusetzen, anstatt eure zu verwirklichen. Er war Lehrer. Sein Ziel war es, anderen beizubringen, selber zu denken.