Lenovo präsentiert Phab 2 Pro Mit Vollgas in die Snapchat-Zeit

Die Integration von Motorola hat Lenovo massive Probleme bereitet. Doch jetzt will der weltgrößte PC-Hersteller im Smartphone-Markt durchstarten. Mit dem Phab 2 Pro nehmen die Chinesen die Generation Snapchat ins Visier.

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Der Lenovo-Chef präsentierte das neue Phab2 Pro am Donnerstag in San Francisco. Quelle: AP

Es gibt keine Alternative, das ist Lenovo-Chef Yang Yuanqing völlig klar. Der PC-Markt schrumpft kontinuierlich. Im abgelaufenen Quartal konnten die Chinesen zwar wieder melden, dass sie weltweit Marktanteile gewonnen haben. Aber weil der Gesamtmarkt stärker geschrumpft ist, wurden unter dem Strich doch hunderttausende Computer weniger verkauft. Laut Gartner hatte Lenovo im ersten Quartal 2016 weltweit einen Marktanteil von 19,3 Prozent, nach 18,8 Prozent im Vorjahr. Die Zahl der verkauften Rechner fiel gleichzeitig um 7,2 Prozent.

Viele solcher „Erfolge“ kann sich Yang, seit 2004 an der Spitze des Konzerns, nicht mehr leisten. „Das Personal Computing wird überflüssig“, erklärte er am Donnerstag in San Francisco. Ersetzt werde es durch das „vernetzte Computing“. Und dort sieht er die neue Stärke des Giganten aus China.

Auf der Hausmesse Techworld stellte er das Smartphone Phab 2 Pro vor. Mit seinem 6,4-Zoll-Bildschirm ist es nur wenig kleiner als ein Tablet. Es verfügt über vier Kameras und erstellt dreidimensionale Bilder seiner Umgebung. Es erkennt Elemente und vermisst diese auf den Millimeter genau, ihren Standort, ihre Abstände. Erstmals weiß ein Smartphone, wo es sich befindet.

Was für den Menschen selbstverständlich ist, ist für einen Computer revolutionär. Am Donnerstag definierten Lenovo und Google, wo die Technik mit dem Namen „Tango“ entwickelt wurde, die Grenzen neu, in denen gelebte und erlebte Realität mit Hilfe von Technologie verschmelzen.

Das eröffnet faszinierende Möglichkeiten. Der digitale Dinosaurier im Klassenzimmer erscheint genau so groß, als wenn er wirklich auf dem Schreibtisch stünde. Und der T-Rex muss sich halt bücken, damit er nicht durch die Zimmerdecke stößt. Möbelstücke fügen sich harmonisch in echter Größe im Zimmer auf dem Bildschirm ein, oder eben nicht. Das weiß man dann schon vor dem Kauf. Der Lieblingsstar sitzt in Lebensgröße digital auf der Bettkante und wartet geduldig auf das Selfie mit dem Teenie-Fan.

Das Phab 2 Pro ist das Smartphone für die Generation Snapchat. Möglich werden nun auch schrittgenaue Navigationssysteme innerhalb von großen Gebäuden, etwa den gigantischen Einkaufszentren in Stadtteilgröße in Japan oder China.

Radikaler Transformationsprozess


Ab Herbst wird das Gerät in den USA für den Kampfpreis von 499 Dollar angeboten werden. Deutsche Preise stehen noch nicht fest. Ob die Technik Erfolg haben wird, werden aber letztlich die Apps entscheiden, die dann auf dem Markt sein werden.
Amazon hatte auch einmal daran gearbeitet, mit einem Smartphone Gegenstände zu erkennen. Doch die Kunden fürchteten, der Onlinehändler wollte nur ihre Kaufgewohnheiten ausspionieren und ihnen eine Registrierkasse in die Tasche schmuggeln. Amazons Fire-Phone wurde ein gigantischer Flop.

Lenovo befindet sich in einem radikalen Transformationsprozess. „Das Unternehmen ist in einem völlig anderen Zustand, verglichen mit nur 18 Monaten zuvor“, erklärt Lenovo-Topmanager Gianfranco Lanci im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Damals waren wir ein reinrassiger PC-Hersteller. Heute ruht das Geschäft auf drei Säulen.“ Das sind Endgeräte als Zugang zum Internet, Internet-Dienste und Infrastruktur wie Server und Speicher für die Cloud. Dabei werde in Zukunft letztlich alles mobil werden.

Marktanteile Smartphone Betriebssystem weltweit

Eine zweite große Ankündigung kann als Blaupause für diese Zukunft herhalten: Das Moto Z von Motorola mit 5,5- oder 5,2-Zoll-Bildschirm ist nicht nur ein schlankes und elegantes Android-Smartphone. Revolutionär ist ein Ökosystem aus Zusatzmodulen, das gleichzeitig eingeführt wird.

Sogenannte „Mods“ werden magnetisch an der Rückseite des Geräts befestigt und erweitern die Fähigkeiten. Es wird Zusatzbatterien geben oder leistungsstarke Lautsprecher, die Möglichkeiten sind unbegrenzt. „Mods“ für den Navigationsbetrieb im Auto oder Spiegelreflex-Module für Profi-Fotografen sollen in Vorbereitung sein.

Schwerfällige Integration von Motorola


In San Francisco gab es auch einen Laseraufsatz zu sehen, der eine Tastatur auf den Tisch projiziert oder ein Modul für den Betrieb mehrerer Bildschirme. Letztlich könnte das Gerät, mit dem richtigen Modul ausgestattet, einen kompletten Desktop-PC ersetzen.

Ganz so weit will Gartner-Analyst Mikako Kitagawa nicht gehen. „Es wird nicht direkt einen ausgewachsenen PC ersetzen“, sagt er. Trotzdem sei ein Erfolg des Moto-Z-Systems für das Unternehmen sehr wichtig: „Die Position im Smartphone-Markt wird einer der Kernfaktoren für den langfristigen Erfolg Lenovos sein“, ist er sicher.

Ein Erfolg ist aber alles andere als sicher: Ähnlich konzipierte Smartphones, zum Beispiel mit Einschub-oder Wechsel-Modulen, haben bislang wenig Erfolg im Markt gehabt. Ein Problem, welches Lenovo damit umgehen will, dass die „Mods“ einfach ohne Neustart oder Stecker anzubringen sind und über standardisierte 16 Kontakte Informationen austauschen.

Damit soll gewährleistet werden, dass ein Gerät noch in Jahren mit neuen Modulen arbeiten kann. Ashton Kutcher, Schauspieler, Investor und Lenovo-Promoter, ist zuversichtlich, als er die Bühne betritt und zum Moto Z verkündet: „Es ist einfach, sich in Kleinigkeiten zu verlieren. Aber das ist ein echter Game-Changer.“

Das muss es auch sein. Moto Z ist damit nicht nur ein neues Smartphone. Die Integration der 2014 von Google gekauften Firma aus Chicago in den Konzern aus China erwies sich schwerer als erwartet. Im Mai musste Konzernchef Yang einräumen, man habe die Probleme unterschätzt und zum ersten Mal in sechs Jahren einen Jahresverlust ausgewiesen. Im ersten Quartal lag der Gesamtumsatz um 19 Prozent unter Vorjahr.

Nur noch zehn Millionen Geräte verkauften die Chinesen, davon fünf Millionen Motorolas. Nach Donnerstag könnte sich das geändert haben. Gartner-Analyst Mikako Kitagawa: „Da waren eine Menge gute Nachrichten für Lenovo dabei.“ Lenovo-Manager Lanci sieht die Talsohle durchschritten: „Wir hatten Probleme mit verspäteten Modellen“, sagt er. „Das ist jetzt vorbei.“

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