Ex-Vorstandschefs von Yahoo haben eines gemeinsam. Sie werden erst gefeiert, dann vom eigenen Verwaltungsrat hintergangen, schließlich abgesetzt und zu guter Letzt als Fehlbesetzung verunglimpft. So erging es Tim Koogle, Terry Semel, Carol Bartz, Scott Thompson und Gründer Jerry Yang. Marissa Mayer, bis vorvergangene Woche noch Top-Managerin von Google, übernimmt einen zerrütteten Intrigantenstadl, der viele seiner Talente an die Konkurrenz verloren hat.
Obwohl erst 37 Jahre alt, genießt die selbstbewusste blonde Frau wegen ihrer Verdienste um die Suchmaschine als langjährige Produktchefin von Google großen Respekt nicht nur in der Internet-Branche.
Im April berief sie auch der Handelsgigant Wal-Mart in seinen Aufsichtsrat. Als erste Hochschwangere an der Spitze eines US-Konzerns schreibt sie Wirtschaftsgeschichte. Die von Massenentlassungen demotivierte Belegschaft von Yahoo steht vor einem tiefen Einschnitt – aber auch der Konzern Microsoft, mit dem sie die Such- und Vermarktungsallianz wohl neu verhandeln wird.
Stärken und Schwächen
Als an der Eliteuni Stanford geschulte Informatikerin mit Fachgebiet Künstliche Intelligenz glaubt Mayer an die Macht der Zahl – so wie ein besessenes Mathegenie, dargestellt vom Schauspieler Russell Crowe in dem Film „Beautiful Mind“. Sich auf Intuition zu verlassen sieht sie als intellektuelle Faulheit. Bei Google ließ Mayer wochenlang testen, wie Nutzer auf winzigste Veränderungen in Layout und Darstellung reagierten. Umstimmen lässt sie sich nur von Testreihen.
Wer mit Mayers Tempo und ihrem unbändigen Arbeitseifer mithalten kann, wird von ihr gefördert. Ihr Fokus auf kleinste Details, ihre an Fetischismus grenzende Liebe für Zahlen und ihre Ungeduld haben ihr den Ruf als schwierige Chefin eingetragen. Doch was bei Männern als durchsetzungsstark gilt, heißt bei Frauen schnell Zickigkeit. Das Misstrauen gegenüber Bauchgefühlen ist aber auch ihre größte Schwäche. Überraschungen unter ihrer Ägide waren rar. Innovationen wurden zugekauft. Dass Google soziale Netzwerke unterschätzte, wird auch ihr angekreidet.
Vorlieben
Elegante Kleidung spielt im Silicon Valley keine Rolle, für Mayer mit ihren Model-Maßen aber schon. Sie ist stets perfekt gekleidet, auch weil sie als bekanntestes Gesicht von Google ständig Fernseh-Interviews und Präsentationen auf wichtigen Konferenzen geben musste. Mayer liebt Ballett, begeistert sich für Design. Bei ihrem Outfit bevorzugt sie etablierte Modemacher wie Oscar de la Renta. Neben ihrem Job berät sie das San Francisco Museum of Modern Art. Mit Ehemann Zachary Bogue, einem erfolgreichen Immobilienmogul, teilt sie die Vorliebe für Partys. Solche Veranstaltungen, die sie in ihrem Haus in Palo Alto ausrichten, sind heiß begehrt. Auch Präsident Obama war schon dort, bei einer von Mayer organisierten Spendensammlung für die Demokraten.
Ziele und Visionen
Vorbilder
Wenn Apple-Gründer Steve Jobs in San Franciscos Moscone-Konferenzzentrum seine Anhänger mit seinen rhetorischen Fähigkeiten verzauberte, saß auch Mayer im Publikum und lauschte begeistert dem Altmeister. Vor allem mit Jobs’ fast zwanghafter Versessenheit auf Details konnte sie sich gut identifizieren. Erst als sich das Verhältnis zwischen Apple und Google merklich abkühlte, wurden ihre Besuche seltener.
Ihre Mitarbeiter nervte Mayer aber dennoch manchmal mit der Frage, wie wohl Steve Jobs entscheiden würde. Mit ihm fühlte sie sich seelenverwandt, weil die von Jobs dirigierten Produkte ähnlich wie die von Google das Leben von Millionen von Menschen beeinflussen. Mayer bewundert Jobs’ Kunst des Weglassens. „Es muss simpel und elegant sein“, begründete Mayer das karge Antlitz der Google-Startseite.
Von Jobs hat sie auch gelernt, wie wichtig die richtige Vermarktung eines Produktes ist. Doch die Magie ihres verstorbenen Meisters vermochte Mayer nie auf die GoogleDienste zu übertragen.
Freunde und Gegner
Die neue Yahoo-Chefin ist nicht nur mit den Google-Gründern Sergey Brin und Larry Page eng verbunden. Mit Page war sie sogar kurzzeitig liiert, die Beziehung galt lange als Tabu. Auch Ex-Google-Chef Eric Schmidt gilt als Förderer Mayers, auch wenn sie mehrmals mit ihm wegen Budgets aneinandergeriet. „Eine wahre Perfektionistin“, gratulierte Schmidt der Ex-Kollegin als einer der Ersten zur Beförderung.
Vorwürfe, dass Online-Unternehmen ihre Nutzer ausspionieren, nimmt Mayer persönlich. Für viele der beanstandeten Dienste wie Google Maps und Street View war sie zuständig. Kritiker wie den Anwalt David Boies, der Google als gefährlichen Monopolisten brandmarken will, versteht sie nicht. Sein Name ist tabu. Doch mit ihm wird sie künftig aneinanderrasseln, denn um Yahoo zu retten, muss sie Informationen über die Nutzer sammeln.
Ziele und Visionen
Mayer hat die Chance, eine Ikone des Silicon Valley zu retten. In der Internet-Branche ist sie bestens vernetzt, die Strategie des großen Yahoo-Konkurrenten Google kennt sie bis ins Kleinste, ebenso den Zukunftsmarkt im Internet: die lokale Online-Werbung. Ein harter Brocken wird für sie Microsoft.
Der Softwarekonzern betreibt die Yahoo-Suchmaschine, Yahoo erhält davon garantierte Zahlungen, verliert aber Marktanteil an Microsofts Suchmaschine Bing. Das muss Mayer stoppen, möglicherweise über eine stärkere Allianz mit Google. Yahoo ist so angeschlagen, dass jeder kleine Fortschritt als Erfolg gilt. Dass Mayer Google-Aktien besitzt, spielt keine Rolle. Im Silicon Valley ist dies bei Personalrochaden an der Tagesordnung.