Mobilfunk 5G: Wie ein Sportwagen ohne Turbolader

Ein Arbeiter montiert eine Antenne an einem Mobilfunkmast. Quelle: dpa

Die deutschen Netzbetreiber liefern sich einen Wettlauf um den Ausbau ihrer 5G-Mobilfunknetze. Doch ihre Strategie hat entscheidende Schwächen.

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Der Gedanke scheint ebenso intelligent wie naheliegend: Beim Aufbau ihrer neuen 5G-Mobilfunknetze setzen die deutschen Netzbetreiber auf eine Technologie, die es ihnen nicht bloß erlaubt, vorhandene Sendetechnik in großen Teilen weiter zu verwenden. Vor allem ermöglicht sie es, in den Funkzellen mit der gleichen Hardware sowohl Kunden zu bedienen, deren Smartphones und Tablets noch den bisherigen 4G-Funk benutzen als auch solche, deren Geräte bereits die nächste Technikgeneration 5G beherrschen. 

Dynamic Spectrum Sharing heißt das smarte Verfahren im Branchenjargon – kurz DSS –, das das an einem Senderstandort verfügbare Frequenzspektrum dynamisch mal für 4G-, mal für 5G-Verbindungen nutzt. Entscheidend ist immer, welche Technik der Empfänger am anderen Ende der Funkstrecke beherrscht. Binnen Millisekunden passt sich das Netz dabei an den Bedarf der Kunden an.

Damit lösen die Netzbetreiber gleich zwei Probleme auf einmal. Erstens verwenden sie die begrenzten Funkkapazitäten möglichst flexibel, statt sie – wie in der Vergangenheit – für einen Übertragungsstandard exklusiv zu reservieren. Unter anderem deshalb werden alle Anbieter die veraltete 3G-Technik demnächst abschalten, um die dafür blockierten Frequenzen für die modernen, effizienteren 4G- und 5G-Netze frei zu bekommen. 

Und zweitens erlaubt es die DSS-Technologie, vorhandene 4G-Infrastruktur sehr kurzfristig auch für den 5G-Netzaufbau fit zu machen. Im prestigeträchtigen Wettrennen um die beste 5G-Abdeckung in der Republik ist DSS damit ein guter Hebel, mit dem die Netzbetreiber werbewirksam punkten können.

Vodafone nutzt den Kombifunk seit dieser Woche auf den Mobilfunkfrequenzen bei 700 und 1800 Megahertz – den sogenannten Lowband- und Midband-Frequenzen –, die Deutsche Telekom rüstet gerade Midband-Frequenzen bei 2100 Megahertz für den Einsatz mit DSS um. Die im vergangenen Jahr für knapp 6,6 Milliarden Euro ersteigerten Frequenzen bei 3500 bis 3600 Megahertz bauen die Netzbetreiber hingegen nur für 5G aus, da es kaum ältere 4G-Smartphones gibt, die in diesem Frequenzbereich funken können.

Die Krux mit passiven Antennen

So sinnvoll sie klingt, die DSS-Strategie hat auch eine unschöne Kehrseite: Denn in der Konstellation, wie Deutsche Telekom und Vodafone ihre Mobilfunkstandorte aktuell aufrüsten, erinnert das 5G-Angebot an einen Supersportwagen, bei dem der Turbolader ausgebaut ist und die letzten zwei Gänge gesperrt sind: Sieht zwar schick aus, ist auch schneller als bisher, aber so richtig ungebremst saust es sich damit nicht durchs Netz.

Grund dafür sind verschiedene technische Limitationen. Zum einen lassen sich 4G- und 5G-Signale zwar grundsätzlich über die gleichen Antennen übertragen. In vielen Fällen aber sind das sogenannte „passive“ 4G-Antennen. Die Telekom verwendet teils sogar vorhandene passive 3G-Antennen, die bisher für die 2100-Megahertz-Frequenzen genutzt wurden, für den 4G-5G-Parallelbetrieb weiter. 

Dieses Antennenrecycling ist zwar schnell und kostengünstig, hat aber das Manko, dass die alten, passiven Strahler für eine der wichtigsten Neuerungen des 5G-Standards noch gar nicht gerüstet sind: Die Möglichkeit nämlich, Funkverbindungen zu einzelnen Empfängern zielgerichtet aufzubauen. Dafür aber braucht es neue „aktive“ Antennen. Sie beherrschen eine Technik, die Fachleute Beamforming nennen, was bedeutet, dass die Mobilfunkwellen nicht mehr gleichmäßig in alle Richtungen abgestrahlt werden, sondern elektronisch – ähnlich dem Lichtstrahl einer Taschenlampe – auf einzelne Funknutzer gebündelt werden können. 

Mehr Fokus, weniger Strahlung

So lässt sich die Funkleistung in einer Zelle wesentlich effizienter nutzen. Damit werden die Verbindungen nicht bloß schneller. Weil sie auch stabiler sind, kann das Handy mit niedrigerer Sendeleistung und damit stromsparender arbeiten. Und an den Stellen in der Funkzelle, an denen gerade niemand telefoniert, ist die Strahlung auch noch deutlich geringer als bei bisherigen Netzgenerationen. 

Zumindest theoretisch, denn an jenen zigtausenden DSS-Standorten, die für die Low- und Midband-Frequenzen nur passive 4G-Antennen weiter verwenden, fehlt diese nützliche 5G-Funktion. Es wird noch Jahre dauern, bis die Netzbetreiber alle Standorte auf aktive Antennen umgerüstet haben und Beamforming bundesweit verfügbar ist.

Heute funktioniert es nur da, wo die Anbieter schon explizit 5G-Technik installieren, vor allem also dort, wo die Netzbetreiber die frisch ersteigerten Frequenzen bei 3500 bis 3600 Megahertz einsetzen, im sogenannten Highband. Bisher funkt das ungebremste Turbo-5G also allenfalls in Innenstädten oder an Orten mit besonders großer potenzieller Nutzerdichte, wie etwa Fußballstadien, an Einkaufszentren, Bahnhöfen, Flughäfen oder Ähnlichem. 

Und noch etwas unterscheidet die Leistungsfähigkeit der 5G-Bänder. Im Highband stehen den Netzbetreiber Frequenzblöcke von bis zu 90 Megahertz zur Verfügung. Damit lassen sich besonders große Datenmengen besonders schnell übertragen – so wie durch große Leitungen mehr Wasser fließt als durch einen kleinen Gartenschlauch. Im Low- und Midband sind die Frequenzblöcke fürs Senden oder Empfangen hingegen nur maximal 20 Megahertz groß und damit nicht mal ein Viertel so leistungsstark wie die Blöcke im Highband. Das begrenzt die Kapazitäten der kombinierten 4G/5G-Funkzellen also zusätzlich.

Flächendeckung nur im Frequenzmix 

Umgekehrt ist es allerdings so, dass auch 5G-Zellen im Highband mit einer ganz eigenen Schwachstelle zu kämpfen haben. Lowband-Zellen haben schon mal mehrere Kilometer Durchmesser und dringen mit dem 5G-Funk zudem auch durch Wände in Wohnungen. Highband-Frequenzen hingegen werden von Wänden verschluckt und reichen pro Zelle jeweils nur wenige Hundert Meter weit. Wer damit also die Bundesrepublik flächendeckend versorgen wollte, brauchte Zehntausende zusätzlicher Sendemasten.

Das aber wäre weder finanziell noch politisch durchsetzbar. Schon jetzt nämlich kämpfen die Netzbetreiber oft monatelang um Genehmigungen für neue Standorte. Teils weil die Kommunen so langsam arbeiten, immer häufiger aber verzögern auch Einsprachen von Anwohnern oder Mobilfunkkritikern den Genehmigungsprozess. Und das mitunter sogar um Jahre. 

In der Schweiz, die bei Netzqualität und -abdeckung als eines der europäischen Musterländer gilt und wo die Netzbetreiber beim 5G-Ausbau schon wesentlich weiter sind als in der Bundesrepublik, ist der Widerstand speziell gegen 5G inzwischen so eskaliert, dass der Ausbau neuer Standorte in einzelnen Kantonen komplett gestoppt wurde.

Und so setzen die Netzbetreiber nun auch im Alpenstaat notgedrungen auf den „Plan B“, den die deutschen Netzbetreiber bisher als „Plan A“ verfolgen: Den Ausbau im Frequenzmix und mithilfe kombinierter DSS-Standorte für 4G- und 5G-Mobilfunk. 

Das ist dann zwar vorerst eher 5G „light“, aber immer noch besser als nichts. Denn wo schon eine 4G-Antenne steht, braucht es für 5G zumindest keinen neuen Genehmigungsmarathon. 

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