Mobilfunk Japanische Warnung für Ralph Dommermuth

Die Telekom-Tochter 1&1-Drillisch baut erstmals ein eigenes Netz Quelle: imago images

Das Beispiel Rakuten Mobile zeigt dem Mobilfunkanbieter die Gefahren eines Einstiegs in einen reifen und gesättigten Telekommarkt. Begeht 1&1-Drillisch den gleichen Fehler?

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Als der japanische Amazon-Rivale Rakuten im Dezember 2017 verkündete, ein eigenes nationales Mobilfunknetz aufzubauen, fielen die Reaktionen ziemlich unfreundlich aus. An der Börse sackte die Aktie ab. „Warum jetzt?“, wunderte sich Fondsmanager Fumio Matsumoto von Dalton Capital. Das Brokerhaus Morgan Stanley MUFG kritisierte das „hohe Risiko“. In dieser Industrie habe kein Spätstarter jemals Erfolg gehabt, kommentierte Analyst Tetsuro Tsusaka. Die Kreditagentur Japan Credit Rating Agency warnte vor einer Herabstufung der Bonität.

Diese Auguren haben auf brutale Weise recht behalten. Heute steht die Aktie von Rakuten um fast die Hälfte niedriger als damals, die neue Mobilfunksparte schreibt tiefrote Zahlen. Der Zwerg Rakuten bleibt im Schatten der Sumo-Riesen NTT Docomo, KDDI und Softbank. Hohen Milliarden-Investitionen stehen nur wenige Kunden gegenüber. Der massive Misserfolg sollte Ralph Dommermuth von United Internet zu denken geben – seine Telekom-Tochter 1&1 Drillisch baut ebenfalls erstmals ein eigenes Netz – wenn auch ausschließlich mit 5G-Technik – und tritt damit gleichfalls in einen reifen und gesättigten Mobilfunkmarkt hinein.

Zwar hat Rakuten Mobile den Höhepunkt der Verluste wohl gerade überschritten, weil das Netz weitgehend steht und dadurch die bisherigen Roaming-Gebühren stark schrumpfen. Aber die Gewinnschwelle liegt in weiter Ferne. Die Kosten des 4G- und 5G-Netzes von Rakuten mit 44.000 Basisstationen schätzt der Marktforscher MoffettNathanson auf knapp sieben Milliarden Euro. Dabei musste der Konzern nicht einmal für die Lizenzen blechen, die sind in Japan anders als in Deutschland nämlich umsonst. Dennoch summierten sich die Verluste der Mobilfunktochter seit Anfang 2020 auf inzwischen 6,3 Milliarden Euro. Die Netzkapazität reicht für 25 Millionen Kunden, bisher nutzen es jedoch nur 5,5 Millionen.

Die bedrückende Bilanz überrascht die Branche nicht. Auf jeden Einwohner vom Baby bis zum Greis in Japan kommen anderthalb Mobilfunkanschlüsse. Marktführer NTT Docomo kontrolliert knapp 42 Prozent des Marktes, die Nummer zwei KDDI (Hauptmarke: au) kommt auf fast 31 Prozent, gefolgt von Softbank mit über 25 Prozent. Da bleibt für Rakuten nicht mehr viel Luft zum Atmen. Selbst wenn man das eigene Langfristziel von 12 bis 15 Millionen Kunden erreicht, würde dies nur einem einstelligen Marktanteil entsprechen.

In Deutschland sehen die Perspektiven für United Internet ähnlich düster aus. Von den 161 Millionen deutschen Anschlüssen, knapp zwei für jeden Einwohner, liegen knapp 65 Millionen bei Vodafone, 54 Millionen bei der Deutschen Telekom und 46 Millionen bei Telefonica. Die 11,2 Millionen Kunden von 1&1 Drillisch – nur sieben Prozent aller Anschlüsse – nutzen derzeit vor allem das Netz von Telefonica Deutschland. Dommermuth muss diese Bestandskunden dazu bringen, in sein neues 5G-Netz zu wechseln. Telefonica dürfte wiederum mit eigenen attraktiven Lockangeboten alles daran setzen, genau diese Kunden für sich zu behalten.

Rakuten hat einige Argumente im Köcher, warum man doch Erfolg haben wird. Bei genauerem Hinsehen erweisen sie sich jedoch als wenig stichhaltig. Die vermeintlich stärkste Begründung verweist auf die disruptive Netztechnik, mit der Rakuten die großen Rivalen alt aussehen lassen will. Statt das Netz komplett von einem etablierten Anbieter wie Ericsson zu kaufen, entsteht aus Standardhardware und Cloud Computing ein „virtuelles“ Netz. Die hauseigene Software „Rakuten Symphony“ basiert auf Open RAN – eine Abkürzung für Open Radio Access Network.

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Dieses Open-RAN-Netz kostet nach Angaben von Rakuten 40 Prozent weniger im Aufbau und 30 Prozent im Betrieb als herkömmliche Technik. Denn die Gesprächsdaten laufen von der Antenne über ein Glasfaserkabel direkt zu Servern in der Cloud, statt sie in einem Rechner vor Ort zu verarbeiten. Daher braucht man weniger Mitarbeiter für die Wartung der Funkstandorte. Ein Team von 100 Leuten kann ein solches nationales Netz warten und notwendige Software-Updates aus der Ferne aufspielen. Die entsprechenden Ersparnisse sollen einen rentablen Netzbetrieb auch bei kleineren Nutzerzahlen ermöglichen. Aus genau diesen Gründen lässt sich 1&1 Drillisch das eigene 5G-Netz von einer Rakuten-Tochter bauen.

Jedoch scheint Open RAN nicht die Wunderwaffe zu sein, wie es die Japaner behaupten. Die einzelnen Bausteine wie Antennen und Server lassen sich eben nicht einfach zusammenschalten, vor allem die Verbindung zu bestehenden Netzen scheint schwierig zu sein. Betreiber und Lieferanten verbringen manchmal Monate und sogar Jahre mit Abstimmung und Integration. Zum Beispiel kündigte Vodafone vor zwei Jahren an, in Großbritannien 2.500 Standorte von Huawei durch Open-RAN-Technik zu ersetzen. Aber bisher aktivierte man nur einen einzigen davon. Außerdem geht die Rechnung offenbar nur auf, wenn man die gleiche Spektrummenge wie die etablierten Anbieter besitzt. Als Neuling bekam Rakuten jedoch nur ein Viertel der 4G-Frequenzen von NTT Docomo, KDDI und Softbank. Daher musste man 60 Prozent mehr Basisstationen errichten, was den erhofften Kostenvorteil von Open-RAN schmälerte.

Auch das zweite Argument von Rakuten beruht auf den niedrigen Netzkosten. Dadurch könne man günstige Tarife anbieten und viele Kunden von der Konkurrenz abwerben. Diese Wette wäre normalerweise aufgegangen, weil der Mobilfunk in Japan vor fünf Jahren noch besonders teuer war. Inzwischen hat die Regierung jedoch die Anbieter gezwungen, ihre Tarife deutlich zu senken. Die drei Platzhirsche hoben jeweils eine eigene Billigmarke aus der Taufe und machten dabei Rakutens Niedrigpreisstrategie zunichte. Japanische Mobilfunknutzer haben keinen überzeugenden Grund mehr, zu Rakuten zu wechseln.

Diese Situation gleicht Deutschland, wo die Kunden ebenfalls einer Geiz-ist-geil-Mentalität frönen. Im Durchschnitt nehmen die Deutsche Telekom und Telefónica je Nutzer nur magere zehn Euro im Monat ein, bei Vodafone sind es mit 12,40 Euro auch nicht viel mehr. Trotz der hohen Margen in der Branche benötigen die Betreiber daher eine sehr hohe Millionenzahl an Kunden für einen rentablen Netzbetrieb. Nicht zufällig schrammte die deutsche Telefónica-Tochter O2 an der Insolvenz vorbei und erreichte die notwendige Größe erst durch die Übernahme des kleineren Rivalen Eplus. Dommermuth dürfte es ebenfalls schwer haben, die etablierte Konkurrenz zu unterbieten – zumal er 4G-Roaming-Gebühren an Telefónica zahlen muss, wo sein 5G-Netz nicht dicht genug ist oder nicht genug Kapazität hat.

Bisher gesteht der Gründer und CEO von Rakuten, Hiroshi Mikitani, keinen Fehlschlag ein. Bei der Vorlage der letzten Geschäftszahlen verwies er erneut auf die Synergieeffekte innerhalb des Rakuten-Ökosystems aus Einkaufsportal, Bank, Brokerhaus, Reiseagentur, Versicherung, E-Büchern samt Lesegerät und anderen Service-Leistungen. Die Rakuten-Nutzer erhalten jeweils geldwerte Punkte, die sie dann für andere Dienste verwenden dürfen. Doch 80 Prozent der neuen Mobilfunk-Abonnenten gehören bereits zu den 131 Millionen registrierten Rakuten-Kunden.

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Der Kapitalbedarf für das Netzprojekt hat die Rakuten-Gruppe schwer getroffen: Mikitani musste im Vorjahr für 1,7 Milliarden Euro neue Aktien ausgeben und versilbert gerade seine Bank- und Brokertöchter an der Börse. Der Konzernchef zahlt auch einen persönlichen Preis für seine Strategie. Seine Anteile von 25 Prozent sind gegenüber vor fünf Jahren nämlich nur noch knapp die Hälfte wert. Ebenso bekam Ralph Dommermuth die Skepsis der Börse schon zu spüren. Seit dem Zuschlag der Frequenzen 2019 verlor die Aktie von United Internet fast zwei Drittel an Wert, obwohl das 5G-Netz noch nicht einmal live geschaltet ist.

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