




Eigentlich müssten die kommenden fünf Tage in Barcelona eine einzige große Mobilfunkparty werden, mit einer Branche im Siegesrausch. Die Vorzeichen, unter denen sich die Handybranche bis Donnerstag zum Mobile World Congress (MWC) trifft, sind sensationell. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Erstmals gab es im vergangenen Jahr so viele Mobilfunkanschlüsse wie Menschen auf der Erde. Knapp die Hälfte davon nutzt ein Smartphone, hat der schwedische Mobilfunkkonzern Ericsson in seinem aktuellen Mobility Report berechnet.
Allein in Deutschland wurden 2015 mehr als 26 Millionen Smartphones verkauft, so der Branchenverband Bitkom. Der Umsatz, den Handyproduzenten und Netzbetreiber verbuchten, lag mit 10,3 Milliarden Euro zum ersten Mal über der symbolischen Zehn-Milliarden-Grenze. Der Zuwachs: sagenhafte 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Doch so gut die Zahlen scheinen, und so sehr Aussteller und Geschäftskunden die positive Stimmung kultivieren. Wahre Euphorie wird beim Branchentreffen an der spanischen Mittelmeerküste kaum aufkommen. Die globale Mobilfunkindustrie steht vor dem Umbruch - und großen einem Problem.
Wo bleibt die echte Innovation?
Eine Sensation, die dem Geschäft neue Impulse verleihen könnte, ist nicht in Sicht. Hersteller wie Samsung und LG werden mit ihren Top-Smartphones S7 und G5 Marksteine setzen. Sie werden besser auflösende Displays, intelligentere Sensorik, smartere Verknüpfungen von Handy und vernetzter Alltagstechnik präsentieren.
Doch, „bei aller Ingenieurskunst und Fertigungsbrillanz ist nichts auch nur ansatzweise so Faszinierendes an Produktinnovation zu sehen, dass erkennbar wäre, was die Nachfrage der Konsumenten so kometenhaft weiter treiben könnte, wie bisher“, urteilt Julie Ask, Mobilfunkexpertin beim Marktforscher Forrester.
Die Themen des MWC
Samsung wird in Barcelona voraussichtlich sein neues Top-Smartphone präsentieren, das es mit Apples iPhone 6 aufnehmen soll. Aber auch andere Anbieter wie LG oder die chinesischen Rivalen Lenovo, Huawei und ZTE dürften mit frischen Modellen antreten.
Schon im vergangenen Jahr gab es in Barcelona unter anderem die Zahnbürste mit Internet-Anbindung, jetzt werden noch viel mehr vernetzte Geräte bis hin zu Autos zu sehen sein. Diese Vernetzung gilt als Grundlage für viele neue Geschäftsmodelle.
Die Geräteklasse der Mini-Computer, die man am Körper trägt, wächst schnell. Neben Fitness-Armbändern gibt es vor allem immer mehr Computer-Uhren. Ein Diskussionsthema ist der Umgang mit zum Teil sehr persönlichen Daten, die dabei entstehen.
Mit der wachsenden Smartphone-Nutzung und dem Internet der Dinge werden auch schnellere und leistungsstärkere Netze benötigt. Abhilfe soll der neue Datenfunk-Standard 5G schaffen. An seiner Ausgestaltung wird noch gearbeitet.
Nach Barcelona kommt zum zweiten Mal Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der für sein Projekt Internet.org wirbt. Es soll günstige Online-Anschlüsse in Entwicklungsländern fördern, die Mobilfunk-Anbieter waren bisher skeptisch.
Wenn es so etwas wie den Seismographen für den Faszinationsgrad der Handywelt gibt, ist es die Frequenz mit der Gerüchte über die jeweils nächste Generation von Apples iPhone durchs Netz rasen. Nun bleibt der kalifornische Technikkonzern dem MWC seit Jahren fern, um sich nicht mit der Konkurrenz die Aufmerksamkeit bei der Präsentation der Neuheiten teilen zu müssen. Gebrodelt hat die Gerüchteküche trotzdem. Alle neuen Messegadgets mussten sich unmittelbar dem Coolness-Check mit den angeblich bevorstehenden Apple-Innovationen stellen.
Wenig Raum für Enthusiasmus
Ganz anders in diesem Jahr. Nicht bloß, dass der Buschfunk rund um Apple vor der Messe ausnehmend still war. Auch die Leaks und Sensationsmeldungen vor den Unpacked-Events der etablierten MWC-Riesen ließen auffällig wenig Raum für Vor-Messe-Enthusiasmus.
Dass Samsungs Galaxy S7 womöglich wasserabweisend sei, oder das G5 von LG vielleicht wieder einen Wechselakku bekommt, sind interessante Gerüchte. Sie reichen aber kaum, bei den potenziellen Kunden einen massiven Wechseldruck zu erzeugen.
Das scheint auch die Mobilfunkbranche selbst zu ahnen. Zwar gab sich Vodafone-Deutschlandchef Hannes Amtesreiter, Mitte vergangener Woche vor Journalisten betont zuversichtlich. „Der Smartphone-Boom ist ungebrochen“, sagte Ametsreiter, der auch Mitglied des Bitkom-Präsidiums ist.
Doch weil die Hersteller mit sinkenden Durchschnittspreisen von 395 auf 370 Euro für ihre Geräte rechnen – traditionell ein Indikator für fehlende Innovationen, mit denen sich höhere Preise beim Kunden durchsetzen ließen – dürfte der Umsatz der Branche in diesem Jahr günstigstenfalls stagnieren. Zur Erinnerung: Von 2014 auf 2015 wuchs das Geschäft um 22 Prozent!
Da hilft es der Industrie auch nicht viel, dass speziell in den Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich mehr Nachrüstbedarf beim Umstieg von herkömmlichen Handys auf Smartphones besteht. Denn dort greifen die Kunden zu billigeren Geräten als in den wohlhabenden Märkten der Industriestaaten.
Das Geschäft in den Wachstumsländern machen aggressive, chinesischen Billiganbieter wie Xiaomi oder die Discountableger von Handygiganten wie Huawei, ZTE oder Lenovo. Dass Samsung an der Börse gegenüber dem 52-Wochen-Höchststand rund 20 Prozent eingebüßt hat, ist – auch – darauf zurückzuführen. Der Apple-Absturz um 30 Prozent erst recht.