„Wir stellen ein“, heißt es auf der ersten Folie, die Twitter-Chef Elon Musk jüngst auf seinem Lieblingssprachrohr teilte. Die Folien seien von seinem Twitter-Unternehmensvortrag, schreibt er dazu. Nachdem der Unternehmer zunächst über die Hälfte aller Mitarbeiter gefeuert hatte, ist er nun also auf der Suche nach neuen Talenten, die ihn bei der Weiterentwicklung des Kurznachrichtendienstes unterstützen. Vor allem Softwareentwickler scheint Musk für das Projekt Twitter 2.0 händeringend zu suchen. Natürlich sollen diese seine Arbeitsweise unterstützen und adaptieren. Viel zu tun gibt es für sie zweifellos: Mit Twitter 2.0 will der Unternehmer den Kurznachrichtendienst zur „Alles-App“ weiter entwickeln und unter anderem Zahlungen ermöglichen.
Produktivitätsregeln für Twitter-Mitarbeiter?
Musks Managementmethoden sind berühmt-berüchtigt. Für die Twitter-Angestellten könnten fortan dieselben „goldenen Produktivitätsregeln“ gelten, die er schon Tesla- und Space-X-Mitarbeitern vorschrieb. Wie die lauten?
Vor allem Meetings scheint Musk nicht zu mögen. Um produktiv zu sein, rät er seinen Mitarbeitern, auf große und regelmäßige Besprechungen zu verzichten. Große Konferenzen sollten nur stattfinden, wenn sie für alle Teilnehmenden einen Nutzen erbringen – und auch dann sollten sie kurzgehalten sein. Wer als Teilnehmer eines Meetings merke, dass er keinen Beitrag dazu leiste, solle es verlassen. Regelmäßige Meetings sollten auch abgeschafft werden – außer wenn es um eine extrem dringende Angelegenheit gehe, so Musk. Sobald diese Angelegenheit geklärt sei, solle die Häufigkeit der Besprechungen abnehmen.
Die Kommunikation soll klar und direkt sein: Akronyme oder „unsinnige Wörter“ sind verpönt. Außerdem soll immer über den kürzesten Weg und nicht über Hierarchieebenen kommuniziert werden. Musk ruft seine Mitarbeiter auch dazu auf, ihrem gesunden Menschenverstand zu folgen. Wenn Regeln keinen Sinn ergeben, sollen sie ihnen nicht blind folgen.
Von den 7.500 Mitarbeitern, die Twitter vor der Musk-Übernahme hatte, sollen aktuell noch um die 2.500 übrig sein. Diese sollen, wenn es nach Musk geht, so arbeiten, wie er es für richtig hält. Dass er einstellt, postet der Twitter-Chef zwar auf seinem eigenen Account, Stellenanzeigen im Jobportal von Twitter gibt es aktuell allerdings keine.
Mehr Nutzer, weniger Hatespeech?
Der Vorstellung, dass es bei Twitter ungebremst bergab geht, tritt Musk mit Zahlen entgegen. Zwischen dem 9. und dem 16. November, so teilt er mit, sollen sich durchschnittlich mehr als zwei Millionen Nutzer täglich neu bei Twitter angemeldet haben – das wären 66 Prozent mehr als in derselben Woche im Vorjahr. Auch die aktive Zeit, die Nutzer auf Twitter verbrächten, habe sich auf fast acht Milliarden Minuten erhöht, heißt es in von Musk geteilten Folien.
Laut der Daten, die Musk präsentiert, habe Twitter Mitte November über 250 Millionen monatlich aktive Nutzer gehabt. Zum Ende des zweiten Quartals waren es noch 237,8 Millionen. Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: Die Daten kommen intern von Twitters Tracking-Tools und lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Teilweise gibt es bei den Charts außerdem Beschriftungsfehler – und als letztes Datum ist November 2020 angegeben.
Chaos bei Twitter: So krempelt Musk den Konzern um
Unmittelbar nach der Übernahme Ende Oktober setzt Musk den damaligen Twitter-Chef Parag Agrawal, den Finanzvorstand Ned Segal und die Chef-Justiziarin Vijaya Gadde vor die Tür. Er selbst übernahm den Chefposten und leitet damit nun fünf Firmen, darunter den Elektroauto-Bauer Tesla und die Weltraumfirma SpaceX. Ob es dabei bleibt, ist nach einer von Musk gestarteten Umfrage auf dem Kurznachrichtendienst zu seiner Position als Chef unklar.
Musk feuert zunächst etwa 3700 Personen und damit die Hälfte der damaligen Belegschaft, um anschließend einige von ihnen um eine Rückkehr zu bitten. Kurz darauf schafft er die Möglichkeit zum Arbeiten im Homeoffice ab. Mitte November fordert der neue Twitter-Eigner die Beschäftigten ultimativ auf, „lange Arbeitszeiten mit hoher Intensität“ zu akzeptieren oder mit einer Abfindung zu gehen.
Am 5. November stellt Twitter das gebührenpflichtige Premium-Konto „Twitter Blue“ vor. Es bietet unter anderem einen blauen Haken, der einen Account als verifiziert kennzeichnet. Drei Tage später folgt die Ankündigung eines Siegels „Offiziell“ für Medien oder Regierungen, das gemeinsam mit dem Abo-Modell, das acht Dollar im Monat kostet, eingeführt werden soll. Am 9. November kassiert Musk das „Offiziell“-Label wieder. Am 11. November ist „Twitter Blue“ Geschichte, weil gefälschte Accounts wie Pilze aus dem Boden schießen. Dafür können sich einige Nutzer nun doch mit dem „Offiziell“-Siegel schmücken.
Anfang November kündigt Musk eine verbesserte Suchfunktion an. Die aktuelle erinnere ihn an die Suchmaschine Infoseek aus dem Jahr 1998. Außerdem sollen künftig längere Texte an Tweets angehängt werden können. Darüber hinaus werde er Nutzern ermöglichen, jede Form von Beiträgen zu Geld zu machen.
Twitter-Nutzer, die parodistische Accounts nicht klar als solche kennzeichnen, werden ohne Warnung von der Plattform geworfen, schreibt Musk am 6. November. Am selben Tag gibt er das Ziel aus, Twitter zur „genauesten Informationsquelle“ zu machen. Er will unter anderem die Verhaltensregeln auf der Plattform lockern.
Zahlreiche Konzerne wie der Autobauer Volkswagen oder die Fluggesellschaft United Airlines schalten vorerst keine Anzeigen mehr auf Twitter. Werbung ist bislang die Haupteinnahmequelle von Twitter. Der selbsternannte „Absolutist der Meinungsfreiheit“ Musk wirbt daraufhin um Vertrauen. Er wolle die Plattform zu einer Kraft der Wahrheit machen und Fake-Accounts stoppen. In einer Betriebsversammlung warnt er jedoch vor einer möglichen Pleite des Kurznachrichtendienstes.
Auch deutsche Firmen distanzieren sich. Audi hat alle Aktivitäten auf Twitter eingefroren und will neben einem Werbestopp bis auf weiteres auch keine Tweets auf seinen Unternehmensaccounts veröffentlichen. Allerdings gelte die interne Absprache nicht für Zulieferer oder Manager von Audi. Damit geht der Autobauer aus Ingolstadt weiter als der Mutterkonzern Volkswagen, der als erster deutsche Dax-Konzern mitteilte, seine Werbeaktivitäten einstellen zu wollen. Mit Siemens, Siemens Healthineers, SAP, Fresenius, Brenntag und der Allianz stoppten weitere deutsche Konzerne laut Umfrage der WirtschaftsWoche ihre Werbeaktivitäten auf Twitter bis auf Weiteres.
Musks Daten sollen auch belegen, dass es weniger Fälle von „Hassrede“ gibt, seit das Ruder übernommen hat. Die Zahl der Identitätsdiebstähle liegt aber auf einem höheren Niveau als im vergangenen Jahr. Als Musk seine Neuerung des blauen Verifizierungshäkchens vorschnell einführte, war die Zahl derer, die sich als jemand anderes ausgaben, hochgeschnellt – ein Account etwa gab sich mit blauem Haken als der Pharmakonzern Eli Lilly aus und verkündete, dass Insulin in Zukunft kostenlos sei, woraufhin der Börsenkurs des Unternehmens einbrach.
Was soll die Alles-App, ergo Twitter 2.0 alles können?
In den Folien gibt Musk auch einen Hinweis darauf, wie er sich die neue „Alles-App“, die Twitter werden soll, vorstellt. Besonders interessant ist, dass er „Werbung als Entertainment“ ausspielen lassen will. Als Beispiel zeigt er einen Tweet eines Streaming-Dienstleisters, der Nutzern anbietet, zu analysieren, zu welchem Haus sie bei der Kult-Serie „Game of Thrones“ gehören würden. Musk scheint klar zu sein, dass die Werbeeinnahmen auch für Twitters Zukunft wichtig sein werden – bisher macht das Unternehmen mehr als 90 Prozent seines Umsatzes mit dem Anzeigengeschäft.
Nach Musks Übernahme haben einige Werbekunden ihre Budgets bei Twitter eingefroren. Laut einem Bericht der NGO „Media Matters for America“ soll Twitter durch Musk die Hälfte seiner 100 größten Werbekunden verloren haben, darunter etwa Chanel, Nestlé, Coca Cola oder den Social-Media-Konkurrenten Meta. Auch in Deutschland sind die großen Unternehmen skeptisch, einige haben zumindest zeitweise ihre Werbung bei Twitter ausgesetzt.
Musk will außerdem mehr auf Videoinhalte setzen – was bei der Konkurrenz wie etwa dem Kurzvideodienst TikTok funktioniert – und auf längere Tweets. Privatnachrichten sollen verschlüsselt werden, der blaue Haken soll wieder eingeführt werden und Musk will in Zukunft auch auf Zahlungen setzen. Die könnten theoretisch funktionieren wie eine Art PayPal, das auf Twitter übertragen wird. Musk könnte mit dem Ansatz Werbung mit Bezahlsystemen kombinieren und gleich doppelt kassieren.
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