Netflix expandiert „Wir sind jetzt überall – fast“

Der Film- und TV-Serien-Anbieter Netflix wird endgültig zum globalen Player. Die Unterhaltungsmaschine startet ihr Angebot mit einen Schlag in 130 neuen Ländern. Ein gigantischer Aufstieg für den ehemaligen DVD-Verleiher.

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Netflix-Chef Reed Hastings präsentiert in Las Vegas die Zukunftspläne für den Streamingdienst. Quelle: AFP

Las Vegas Der Mann kennt sich mit Show-Effekten aus. Das ist schließlich sein Geschäft. So wartet Netflix-Gründer Reed Hastings mit der ganz großen Nachricht bis zum Schluss. Dann stakst er grinsend in der Mitte der Bühne im Venetian Hotel, blinzelt gegen die grellen Scheinwerfer. „Während ich hier stehe, schalten wir Netflix in neuen Ländern live. Wir sind jetzt in 130 weiteren Ländern der Welt zu empfangen. Wir sind jetzt fast überall – außer in China. Und auch dort hoffen wir die Leute bald von uns zu überzeugen.“

Der Streamingdienst aus Los Gatos in Silicon Valley steigt zum globalen Player auf. Ab sofort wird er unter anderem auch in Indien, der Türkei, Singapur oder Polen zu empfangen sein. Die Firma, die inzwischen 2000 Mitarbeiter auf der ganzen Welt beschäftigt, ist zum Synonym für das Fernsehen der Zukunft geworden. Sie erreicht knapp 69 Millionen Menschen und sorgt an manchen Abenden in den USA für fast ein Drittel des gesamten Internet-Datenverkehrs. Allein im vergangenen Quartal
konsumierte das Publikum 12 Milliarden Stunden Film- und Serien-Material.

Die Expansion markiert den vorläufigen Höhepunkt für den sagenhaften Aufstieg eines Unternehmens, das noch vor sechs Jahren nur als DVD-Verleih bekannt war, der seinen Kunden Filme in roten Umschlägen mit der Post zuschickte. Seit dem Börsengang 2002 hat sich der Wert der Aktie fast verzehnfacht.

Netflix ist zum Inbegriff dafür geworden, wie das Internet unsere Sehgewohnheiten verändert. Es hat neue Begriffe geprägt wie „binge-watching“ (Marathon-Video-Konsum) oder „stream-cheating“ – ein Partner schaut heimlich ohne den oder die Liebste die gemeinsame Serie weiter. Inzwischen kauft die Firma Inhalte nicht mehr nur ein, sondern investiert dreistellige Millionensummen in eigens produzierte Serien, die sie direkt auf die Bildschirme seiner Fans schickt, auch immer häufiger auf die mobilen Geräte.

Die Firma steht für Erfolgsgeschichten wie „House of Cards“, die mit drei Emmys ausgezeichnete Polit-Serie, oder das Knast-Drama „Orange is the new black“. In diesem Jahr will Hastings die Zahl der Eigenproduktionen auf 30 verdoppeln, 600 Stunden eigene Inhalte sollen live gehen, darunter „The Crown“, eine Serie über Intrigen im englischen Königshaus. Auch Blockbuster sind geplant. „Wir sind für das Kino, für Qualität“, lautet Hastings Kampfansage an Hollywood.

Wie Netflix setzt die ganze Streaming-Branche darauf, dass sich Kunden künftig ihr Unterhaltungsprogramm aus diversen Angeboten zusammenstellen, ähnlich wie mit einem RSS-Feed. Damit umgeht Hastings geschickt das zentrale Problem klassischer Sender. Um den riesigen Apparat für ein Programm rund um die Uhr zu finanzieren, müssen sie ein breites Publikum erreichen, also versuchen, sich dem Massengeschmack anzupassen. Das Programm wird damit zwangsläufig seichter.

Netflix hingegen gibt auch abseitigen Geschichten mit düsteren Charakteren eine Bühne, wie der aufwendigen Inszenierung des Marvel-Comics „Daredevil“, über einen Anti-Superhelden aus dem New Yorker Bezirk Hell's Kitchen oder der Geschichte einer tragisch-komische Heldin und Ex-Geisel eines Sekten-Gurus in „The Unbreakable Kimmy Schmidt“.

„Wir haben den Luxus, Inhalte für jeden Geschmack zu produzieren“, wirbt Netflix-Manager Ted Sarandos. „Bei uns können die Leute schauen, was sie mögen, wir haben kein Problem, unser Publikum zu finden.“ Tatsächlich testet das Unternehmen mit A-B-Tests in Echtzeit fortlaufend, wie die neuen Formate ankommen. In der Konzernzentrale in Los Gatos werden die Ergebnisse auf einer mannshohen Wand peinlich genau aufgeführt. Das Unternehmen weiß mehr über seine Nutzer als jede klassische Fernsehanstalt. „Alle Beschränkungen des linearen Fernsehens verschwinden“, sagt Inhalte-Chef Sarandos.

Alle Beschränkungen? Nicht ganz. Die große Herausforderung für den Konzern besteht derzeit darin, seine Inhalte mit dem hohen Datenvolumen in gleichbleibender Qualität auf eine immer größere Anzahl verschiedener Bildschirme auszuliefern – wo immer sich seine Kunden aufhalten, ob im Wohnzimmer, in der U-Bahn oder im Wald. Startet der Film nicht unmittelbar oder ist verpixelt, sind ehrgeizige Konkurrenten wie der Sender HBO, Jeff Bezos' Streaming-Dienst „Amazon Prime“ und demnächst auch Apples Streaming-Angebot nur einen Klick entfernt.

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