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Neue EU-Regeln „Googles Macht geht über reine Wirtschaftsmacht hinaus“

Thomas Höppner ist Partner der Anwaltskanzlei Hausfeld Rechtsanwälte in Berlin. Quelle: PR

Die EU-Kommission hat ihren Gesetzesvorschlag für digitale Märkte und Dienstleistungen vorgestellt. Anwalt Thomas Höppner, der sich schon für zahlreiche Unternehmen vor Gericht mit Google stritt, über seine Erwartungen an den Digital Markets Act.

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Thomas Höppner ist Partner der Anwaltskanzlei Hausfeld Rechtsanwälte in Berlin. Sein Schwerpunkt ist das europäische und deutsche Kartellrecht. Er hat erfolgreich Kartellbeschwerden vor der Europäischen Kommission geführt. Zu seinen jüngsten Fällen gehören die Vertretung mehrerer Beschwerdeführer in Big Data-Missbrauchsverfahren gegen Amazon und Google. Genau solchen großen Online-Plattformen will die EU-Kommission mit dem Digital Markets Act (DMA) künftig neue Regeln auferlegen.

WirtschaftsWoche: Eines der Unternehmen, das vom Digital Markets Act der EU betroffen sein wird, ist Google. Als Suchmaschine mit gewaltigem Marktanteil kennt Google jeder – in welchen weiteren Feldern sehen Sie bedenkliche Marktmacht des Konzerns und seiner Produkte?
Thomas Höppner: Google betreibt neben der Suchmaschine auch das Betriebssystem Android, welches auf über 80 Prozent aller mobilen Geräte installiert ist. Über Android kontrolliert Google auch, welche Browser auf diesen Geräten installiert werden. Mit Chrome betreibt Google dann auch gleich den am meisten genutzten Browser. Über Android kontrolliert Google den App Store Google Play. Das gewährt Kontrolle über das Ökosystem der Apps auf Android-Geräten – als Alternative zu Websites. Hinzu kommt der Betrieb der führenden Videoplattform YouTube sowie zahlreicher Werbeplattformen für die Vermittlung von Werbung jeder Art. Alles zusammen verschafft Google eine denkbar große Marktmacht.

Worin zeigt sich die?
Wie kein anderes Unternehmen ist Google in der Lage, sich seinen Wettbewerbern, seinen Werbekunden und letztlich den Verbrauchern gegenüber unabhängig zu verhalten und damit Marktbedingungen einseitig aufzudrängen und durchzusetzen. Google macht selbstdienende Regeln und keiner hat eine Chance, sich ihnen zu widersetzen. Die Macht geht aber bereits über eine reine Wirtschaftsmacht hinaus. Das geleakte Papier zu Googles Plänen, gegen den DMA zu lobbyieren, hat das gezeigt. Dort legte Google unverblümt offen, direkten Einfluss auf Botschaften und internationale Organisationen nehmen zu können, um seine Interessen durchzusetzen; ganz zu schweigen vom Einsatz von YouTube zur Meinungsmache im eigenen Sinne. So wird aus Wirtschaftsmacht Meinungs- und politische Macht, was noch beunruhigender ist.

von Peter Steinkirchner, Henryk Hielscher, Matthias Hohensee, Andreas Macho, Cornelius Welp, Silke Wettach

Was ist angesichts von Googles Position das größere Problem für Unternehmen: in Abhängigkeit zu geraten oder vom Wettbewerb ausgeschlossen zu werden?
Beides geht Hand in Hand. Die Abhängigkeit von Unternehmen besteht ja typischerweise gerade darin, dass Google sie kurzerhand vom Wettbewerb ausschließen kann, wenn sie nicht nach Googles Pfeife tanzen und Google etwa alle Daten, Informationen oder Rechte einräumen, die Google begehrt.

In welchen Branchen ist nach Ihrer Auffassung die Gefahr der Abhängigkeit von Googles Infrastruktur besonders groß?
Das ist keine bloße Gefahr, sondern längst Realität. Schauen Sie sich etwa die Branche der Reisevermittler an. Weil die meisten Nutzer ihre Suche nach Reisen über Google beginnen, sind selbst die spezialisiertesten und etabliertesten Vermittler wie etwas Booking.com oder Expedia darauf angewiesen, dass Google sie nicht in seinen Suchergebnisseiten in die Unsichtbarkeit drängt. Wegen der unüberschaubaren Fülle an Informationen ist das Internet ohne Suchmaschinen nicht funktionsfähig. Google hat diese zentrale Stellschraube geschickt besetzt und sich auf ihr so festgesetzt, dass die de-facto Monopolsuchmaschine zu einer für das Internet unerlässlichen Infrastruktur geworden ist.

Mit welcher Folge?
Unternehmen sind nun von dieser Infrastruktur – der für das Internet inhärenten Suche – abhängig, um Nutzer zu erreichen. Und damit leider auch von Google. Wenn sie etwa einen speziellen Vermittlungsdienst für kommerzielle Angebote anbieten wollen, kommen sie an Googles Ergebnisseiten nicht vorbei. Dort werden die Weichen gestellt, welcher Dienst in seinem Bereich der Gewinner und welcher der Verlierer ist. Eigentlich gilt das für jeden Internetdienst, der sich an Verbraucher richtet und daher von diesen zuerst einmal bemerkt und gefunden werden muss.



Wie hoch ist dieses Risiko etwa in der Autoindustrie, wo Google mit Android Auto und Android Automotive vertreten ist? 
Googles Einstieg in die Autoindustrie ist mit Sorge zu sehen. Wenn es Google gelingt, über seine Android-basierten Dienste eine gewisse Datenhoheit zu sichern, kann Google diese Position schnell dazu einsetzen, der Industrie Margen zu entziehen.

Im Zuge der Corona-Pandemie wirbt Google derzeit massiv auch mit Anzeigenkampagnen in Tageszeitungen um Kunden aus dem Einzelhandel, viele bauen mit Googles Hilfe erstmals eigene Online-Angebote auf – wie bewerten Sie das?
Dem Einzelhandel wird mit irreführenden Versprechungen von kostenlosen Klicks der Eindruck vermittelt, die Lösung läge bei einer Kooperation mit Google. In Wirklichkeit verbergen sich dahinter Lockvogelangebote, um die Einzelhändler zum Schalten von Werbung auf Google zu bewegen. Nur – je mehr Einzelhändler um dieselben Werbeplätze bieten, desto teurer werden diese und desto mehr müssen sie von ihren Margen an Google abdrücken. Am Ende gewinnt dann nur wieder Google vom gesteigerten Wettbewerb der Einzelhändler untereinander auf Googles Plattformen.

Nach Ihrer jüngsten Studie zu Google Shopping haben die Sanktionen der EU von 2017 bislang nichts an der Praxis geändert – was erwarten Sie vor diesem Hintergrund vom Digital Markets Act? Wie viel hängt davon ab?
Der Digital Markets Act soll weitere überfällige Wettbewerbsverfahren, unter anderem auch gegen Google, entbehrlich machen. Man hofft, mit klaren gesetzlichen Verboten mehr zu erreichen als mit zahlreichen Einzelverfahren. Das ist im Ansatz auch richtig.

Nur im Ansatz?
Ja, denn damit das Konzept aufgeht, müssen die Verbote aber auch hinreichend präzise und effektiv sein. Kollateralschäden, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, von denen keine ernsthaften Bedrohungen ausgehen, gilt es zu vermeiden. Dafür müssen die Vorgaben gegen die Unternehmen, die derzeit tatsächlich faktisch über dem Recht stehen, umso robuster sein. Dafür bedarf es auch Institutionen, die die Verbote effektiv durchsetzen können. Es nützt nichts, etwas per Gesetz zu verbieten, wenn niemand in der Lage ist, das Verbot effektiv zu erzwingen, etwa weil es keine spezialisierte Behörde mit hinreichenden Kapazitäten gibt und die Überwachung für Gerichte zu komplex ist. Am Ende hängt sehr viel von DMA ab. Wenn es der EU gelingt, hier die tatsächlichen Gatekeeper im Internet hinreichend zu disziplinieren und ihre Marktmacht zu neutralisieren, ist schon sehr viel für die Europäische Internetwirtschaft gewonnen.


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Wie sähe eine geeignete Regulierung aus?
Mein Vorschlag ist seit 2015 derselbe: Man sollte zunächst die – wenigen – Unternehmen identifizieren, die kraft einer signifikanten Vermittlungsmacht erheblichen Einfluss auf den Wettbewerb haben. Diese Vermittlungsmacht sollte man in einem zweiten Schritt durch geeignete und erforderliche Verpflichtungen neutralisieren. Dafür sollte eine spezialisierte Regulierungsbehörde den Unternehmen aus einem Kanon möglicher Verpflichtungen ex-ante...

also im Vorhinein...
... solche auferlegen, die am besten geeignet sind, Wettbewerb in benachbarten Märkten zu bewahren und die Unternehmen selbst angreifbar zu machen. So ähnlich hat es im Bereich der Telekommunikation funktioniert und so kann es auch bei Online-Plattformen gelingen. Verkürzt gesagt: Gatekeeper identifizieren und deren Vermittlungsmacht ex-ante neutralisieren.

Mehr zum Thema: Banken, Autokonzerne, Industrie und Mittelstand – Google macht sich in der deutschen Wirtschaft breit. Während sich die EU müht, den US-Konzern im Internet einzuhegen, drängt der längst weit darüber hinaus.

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