Neue Smartphones und ein digitaler Assistent Google am Scheideweg

Es ist ein gewaltiges Risiko. Trotzdem steigt Google massiv ins Hardware-Geschäft ein. Denn Chef Sundar Pichai bleibt keine andere Wahl, wenn er den Konzern in eine sichere Zukunft steuern will.

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Viel Interesse: Google stellt neue Handys vor. Quelle: AP

San Francisco Der weltweite Markt für Smartphones hat seinen Zenit überschritten. Selbst Apples iPhone zeigt Absatzschwächen, hat den Premiummarkt aber trotzdem so fest im Griff wie nie. Microsoft wickelt seine Smartphone-Sparte gerade ab, Blackberry stoppt die Produktion von Hardware. Schlechter könnte der Zeitpunkt für das erste Google-Smartphone wohl nicht gewählt sein.

Am Dienstag stellte das Unternehmen in San Francisco mit Pixel ein Oberklasse-Smartphone vor, dessen gefälliges Design irgendwo zwischen iPhone 7 und Galaxy 7 liegt. Niemand traut dem Gerät mit 5- oder 5,5-Zoll-Bildschirm und einem Preis von bis zu 1000 Euro wirklich zu, Apples Vorherrschaft in den Grundfesten zu erschüttern. Daran ändert auch der von Google beigefügte Adapter nichts, der iPhones mit dem Pixel verbindet und das Übertragen von Daten und Apps ermöglicht.

Das Pixel, wie Hardware-Chef Rick Osterloh nicht müde wird zu betonen, ist vollständig „Made by Google“. Damit liegen auch alle Risiken bei Google – ausgerechnet in Zeiten, in denen die Kritik an den spekulativen Verlustbringern der Mutter-Holding Alphabet immer größer wird.

Der Internet-Konzern, der bereits mit der Übernahme von Motorolas Smartphone-Sparte Schiffbruch erlitten hat, investiert für sein Smartphone in eine eigene Lieferantenkette und in Vertriebsstrukturen, er betreibt Lagerhaltung, Kundenservice, Forschung und Entwicklung selbst. Dazu gehört auch die 12-Megapixel-Kamera, Google zufolge die „beste überhaupt“ in Smartphones. Und um mit Apple mithalten zu können, wird immer mehr eigene Technologie in die Geräte fließen müssen.

Was das bedeuten kann, weiß Google-Chef Sundar Pichai genau. Microsoft hatte sich seinerzeit mit seinem ersten Surface-Tablet dermaßen verkalkuliert, dass am Ende eine Milliarde Dollar auf die Ladenhüter abgeschrieben werden musste. Amazons Fire-Phone floppte vollständig und brannte 2014 ein Loch von 170 Millionen Dollar ins Ergebnis. Samsung wird wahrscheinlich eine Milliarde Dollar in eine Rückrufaktion wegen explodierender Akkus beim Galaxy Note 7 investieren müssen.

Dass Pichai willens ist, solche Risiken auch zu tragen, klingt wie Größenwahn. Aber tatsächlich ist es Googles letzte Chance, in der mobilen Welt die Position einzunehmen, die der Konzern bei Schreibtisch-Computern innehatte.

Denn das Pixel soll das Flaggschiff einer neuen Hardwaresparte werden, die Video-Streaming-Geräte, WLAN-Router, eine neue Virtual-Reality-Brille und eine digitale Schaltstelle für das Zuhause bietet. All das wird verbunden durch „Google Assistant“ – eine selbstlernende künstliche Intelligenz. Diese soll den gewaltigen Datenschatz, den Google mithilfe seiner Suchmaschine, dem E-Mail-Programm, von Street View, Bilddatenbanken, Empfehlungsplattformen oder Google+ generiert, mit Informationen über die Vorlieben des Nutzers verbinden.


Google hat für die nächste Revolution fast alles

Der Nutzer spricht mit dem Assistenten in normalen Sätzen und dieser antwortet in normalen Sätzen, oder er führt automatisch Aktionen durch. In diesem Novum liegt der wahre Grund für den Angriff im ungewohnten Terrain. Rick Osterloh fasst es so zusammen: „Die nächste Revolution wird an der Kreuzung von Hard- und Software entstehen, mit künstlicher Intelligenz im Zentrum.“ Google hat dafür fast alles, nur nicht die Hardware. Und das könnte zum Problem werden.

Die Assistent-Funktion scheint eine riesige Empfehlungsmaschinerie mit dem Ziel zu sein, Googles Gewinne zu steigern. „Der Start von Google Home mit Google Assistant ist eine natürliche Erweiterung auf dem Weg des Konzerns, ein Akteur zu werden, der sich zwischen die großen Marken und ihren Kunden schiebt“, resümiert Julie Ask von Forrester Research. Das Problem dabei: Google hat keine Reputation als Hersteller oder Verkäufer.

Die alten Nexus-Telefone rangierten unter ferner liefen. Google Glass war ein teurer Flopp, Googles Lieferservice für Lebensmittel eine Randerscheinung. Amazon etwa hat den Produktbereich weit besser im Griff: Seine Heimsteuerung Echo mit intelligentem Assistenten und direktem Draht zum Amazon-Webshop ist schon seit zwei Jahren auf dem Markt.

Apples Sprachassistent Siri greift bereits auf ein fertiges Ökosystem aus Geräten des Konzerns zurück. Microsofts Cortana baut auf Windows 10 auf und ist offen für Messenger wie WhatsApp oder Skype. Googles Messenger Allo dagegen ist gerade einmal ein paar Wochen alt. Oder wie Analystin Ask es zusammenfasst: „Home und Allo mit Assistant sind essenziell für Googles langfristigen Erfolg als mobiler Player. Google muss hier gewinnen.“

Aber das wird nicht gelingen, wenn Smartphone-Hersteller wie Samsung, LG oder Motorola die Empfehlungsmaschine von Google nur halbherzig oder gar nicht integrieren und unterstützen. Warum sollten sie auch? Zudem funktioniert Googles wunderbare neue Welt nur mit der jüngsten Version des hauseigenen Betriebssystems Android, das noch kein Hersteller einsetzt, oder eben mit Google Home. Hersteller wie Amazon verzichten vollständig auf jeden Google-Dienst, obwohl sie Android als Betriebssystem nutzen.

Ebenso unfreiwillig wie Microsoft Tablets baut, wird Google nun zum Hardware-Hersteller. Es ist die blanke Not, die Pichai zwingt, diesen gefährlichen Kurs zu gehen. Google Assistant und Home sind die Zukunft. Aber nur, wenn Google selbst die dazugehörige Hardware in den Markt drückt und dann immer mehr Hersteller überzeugt, den Weg mitzugehen. Warum sie das tun sollen, hat Pichai allerdings am Dienstag noch nicht schlüssig erklären können.

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