Düsseldorf Mit Spannung ist die neue Markenkampagne von Volkswagen erwartet worden. Schließlich steht der Wolfsburger Konzern seit September 2015 unter hohem Druck, der Abgasskandal hat mitunter zu einer großen Sprachlosigkeit des Unternehmens und seiner Manager geführt. Im vergangenen Dezember kappte Volkswagen zunächst den selbstbewussten Slogan „Das Auto“.
Seit dieser Woche ist die neue Imagekampagne auf dem Markt. Frank Roselieb, Direktor des Instituts für Krisenforschung an der Universität Kiel, erklärt die Werbestrategie – und warum sie seiner Ansicht nach aufgehen kann.
Die Abgas-Tests in Deutschland und Europa
Neue Modelle werden in Deutschland und der EU nach dem Modifizierten Neuen Fahrzyklus (MNEFZ) getestet. Die Tests laufen unter Laborbedingungen, das heißt auf einem Prüfstand mit Rollen. Dies soll die Ergebnisse vergleichbar machen. Der Test dauert etwa 20 Minuten und simuliert verschiedene Fahrsituationen wie Kaltstart, Beschleunigung oder Autobahn-Geschwindigkeiten.
Getestet wird von Organisationen wie dem TÜV oder der DEKRA unter Beteiligung des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Dieses untersteht wiederum dem Verkehrsministerium.
Die Prüfungen der neuen Modelle werden von ADAC und Umweltverbänden seit längerem als unrealistisch kritisiert. So kann etwa die Batterie beim Test entladen werden und muss nicht - mit entsprechendem Sprit-Verbrauch - wieder auf alten Stand gebracht werden. Der Reifendruck kann erhöht und die Spureinstellungen der Räder verändert werden. Vermutet wird, dass etwa der Spritverbrauch im Alltag so häufig um rund ein Fünftel höher ist als im Test.
Neben den Tests für neue Modelle gibt es laut ADAC zwei weitere Prüfvorgänge, die allerdings weitgehend in der Hand der Unternehmen selbst sind. So werde nach einigen Jahren der Test bei den Modellen wiederholt, um zu sehen, ob die Fahrzeuge noch so montiert werden, dass sie den bisherigen Angaben entsprechen, sagte ADAC-Experte Axel Knöfel. Zudem machten die Unternehmen auch Prüfungen von Gebrauchtwagen, sogenannte In-Use-Compliance. Die Tests liefen wieder unter den genannten Laborbedingungen. Die Ergebnisse würdem dann dem KBA mitgeteilt. Zur Kontrolle hatte dies der ADAC bei Autos bis 2012 auch selbst noch im Auftrag des Umweltbundesamtes gemacht, bis das Projekt eingestellt wurde. In Europa würden lediglich in Schweden von staatlicher Seite noch Gebrauchtwagen geprüft, sagte Knöfel.
Die EU hat auf die Kritik am bisherigen Verfahren reagiert und will ab 2017 ein neues, realistischeres Prüfszenario etablieren. Damit sollen auch wirklicher Verbrauch und Schadstoffausstoß gemessen werden ("Real Driving Emissions" - RDE). Strittig ist, inwiefern dafür die bisherigen Abgas-Höchstwerte angehoben werden, die sich noch auf den Rollen-Prüfstand beziehen.
Herr Roselieb, was macht Volkswagen in der neuen Werbekampagne eigentlich genau?
VW wagt mit der neuen Werbung einen Dreisprung. Erstens eine Themenverlagerung: Weg vom Dieselgate hin zum traditionsreichen Konzern mit einer beeindruckenden Familiengeschichte und Fahrzeugtypen, die ganze Generationen geprägt haben. Zweitens eine emotionale Werbung: Weg von einer sachlichen Erklärung des „Strömungstransformators“, der in den Medien als „Teesieb“ verspottet wurde und viel zu einfach wirkte, um ein so großes Problem zu lösen. Und drittens ein zartes Mea Culpa nach dem Motto „Wir wissen um unsere Verantwortung für Generationen und möchten weiter ein Familienmitglied sein, dem man vertraut.“
Volkswagen ist ein Familienmitglied?
So ist die Anmutung. Seit Jahrzehnten ist das Unternehmen für solide, zuverlässige Autos bekannt und war immer wieder prägend für ganze Generationen – vom Käfer der Großeltern in der Zeit des Wirtschaftswunders über den VW-Bus der Hippie-Eltern in den späten 1960er-Jahren bis zur Generation Golf der Kinder. Ein Familienmitglied setzt man nicht einfach vor die Tür, nur weil es einmal im fernen Amerika beim Tricksen erwischt wurde.
Was bei der Rückruf-Aktion auf VW-Besitzer zukommen könnte
Das Kraftfahrtbundesamt hat angeordnet 2,4 Millionen VW-Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Laut Plan sollen im Januar 2016 die ersten Autos in die Werkstätten. Bis zum Ende des kommenden Jahres könnten dann alle betroffenen Autos überholt sein. In einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ hatte VW-Chef Matthias Müller aber zuvor auch nicht ausgeschlossen, manche Autos komplett auszutauschen, anstatt sie umzurüsten: „Das muss man im Einzelfall prüfen.“
Es geht bei den Nachbesserungen nicht nur um die Manipulations-Software. Für die meisten Motoren genüge es zwar, wenn ein neues Programm aufgespielt werde, sagte Müller. Manche Autos könnten aber auch neue Einspritzdüsen und Katalysatoren bekommen. Die Umrüstung ist auch deshalb kompliziert, weil der betroffene Motortyp EA 189 in zahlreichen Kombinationen und Ländervarianten verbaut ist. Motorenexperte Prof. Jörn Getzlaff von der Hochschule Zwickau hält es aber für möglich, dass Volkswagen keine komplett neue Technik entwickeln muss: „Es kann durchaus sein, dass VW auf eine Lösung zurückgreift, die der Konzern schon heute in seine neue Motorengeneration einbaut.“ Diese neuen Aggregate erfüllen die strengeren Umweltauflagen der Euro-6-Norm.
Das ist möglich. Durch die Umrüstung könnten sich die Leistung und der Spritverbrauch ändern, sagt Getzlaff. Es müsse aber nicht unbedingt so sein, dass das Auto dann langsamer wird und mehr verbraucht. VW-Chef Müller sagte, es sei wichtiger, „das CO2-Ziel zu halten und dafür vielleicht auf 3 bis 5 km/h Höchstgeschwindigkeit zu verzichten“.
Autokäufer müssten sich vermutlich zunächst mit dem Verkäufer des Autos streiten - in den meisten Fällen also mit dem Händler, nicht mit dem VW-Konzern, erklärt Thomas Rüfner, Rechtsprofessor an der Universität Trier. Es sei möglich, dass der Händler Autos zurücknehmen müsse. Dafür müssten aber einige Voraussetzungen erfüllt sein: erhebliche Mängel, also dass das Auto nach der Umrüstung zum Beispiel deutlich langsamer fährt oder viel mehr Sprit verbraucht. Der Kauf darf auch nicht länger als zwei Jahre zurückliegen. „Der Autokäufer würde vermutlich den kompletten Kaufpreis zurückbekommen, müsste aber wohl nachträglich für die Nutzung des Autos zahlen“, sagt Rüfner. Wenn sich die Fahreigenschaften des Autos nur in geringem Maße ändern, könne aber der Kaufpreis gemindert werden.
Eine VW-Kundin, die ihr Auto im Jahr 2010 gekauft hat, versucht das bereits. Sie hat eine Klage direkt gegen den VW-Konzern eingereicht, unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die Frau sehe sich in ihrer Erwartung enttäuscht, ökologisch unterwegs zu sein, teilte ihr Anwalt mit. Ein VW-Sprecher wollte sich zu der Klage zunächst nicht äußern, der Vorgang sei ihm nicht bekannt.
Dazu hat sich VW bislang nicht geäußert. Autohersteller sind dazu jedenfalls nicht gesetzlich verpflichtet, sagt Gabriele Emmrich von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Andere Autohersteller wie Toyota hatten einen solchen Service bei Rückrufen in der Vergangenheit schon angeboten, allerdings ging es da um weniger Autos als bei Volkswagen. Emmrich zufolge stellen Händler und Hersteller nur in Ausnahmefällen ein Leihauto zur Verfügung.
Einer der Claims lautet „Es geht um mehr als ein Auto. Es geht darum, Versprechen zu halten.“ Was halten Sie davon?
Er ist geschickt gewählt. Der Claim hält den Kunden sanft den Spiegel vor und fragt unterschwellig „Hast Du nicht auch schon einmal in der Familie eine Erwartung nicht erfüllt oder gar ein Versprechen gebrochen?“ Da bleibt dem Kunden gar nichts anderes übrig, als Volkwagen den Dieselgate schnell zu verzeihen. Schließlich ist der Kunde selbst auch nicht ohne Sünde und Fehler.
Wird die Strategie für Volkswagen aufgehen?
Diese Strategie kann gut aufgehen. Dieselgate ist aus Sicht der Verbraucher eher ein „Low-Involvement“-Thema. Die manipulierten Abgaswerte hat der Käufer nicht im Geldbeutel gespürt. Weder ist der Verbrauch gestiegen, noch wollte das Finanzamt plötzlich für Dieselfahrzeuge wegen höherer Emissionswerte mehr Steuern haben. Bei einem solchen „Low-Involvement“ würde man die Kunden mit langatmigen Erklärungen nicht wirklich erreichen.
Die beliebtesten Autos der Deutschen
Modell: Audi A4/S4
Neuzulassungen 2015: 52.493 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 48.278 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 8,7 Prozent
Quelle: Kraftfahrtbundesamt (KBA)
Modell: Opel Corsa
Neuzulassungen 2015: 52.741 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 55.151 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: -4,4 Prozent
Modell: Opel Astra
Neuzulassungen 2015: 56.079 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 46.193 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 21,4 Prozent
Modell: Audi A3/S3
Neuzulassungen 2015: 57.858 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 65.199 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: -11,3 Prozent
Modell: Skoda Octavia
Neuzulassungen 2015: 57.907 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 52.620 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 10,0 Prozent
Modell: VW Tiguan
Neuzulassungen 2015: 58.978 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 61.947 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: -4,8 Prozent
Modell: Mercedes C-Klasse
Neuzulassungen 2015: 67.549 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 60.350 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 11,9 Prozent
Modell: VW Polo
Neuzulassungen 2015: 69.967 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 68.103 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 2,6 Prozent
Modell: VW Passat
Neuzulassungen 2015: 97.586 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 72.153 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 35,2 Prozent
Modell: VW Golf
Neuzulassungen 2015: 270.952 Fahrzeuge
Neuzulassungen 2014: 255.044 Fahrzeuge
Veränderung zum Vorjahr: 6,2 Prozent
Demgegenüber war der misslungene Elchtest der A-Klasse oder das „unintended acceleration“-Problem bei Audi 5000-Fahrzeugen in den USA ein typisches „High-Involvement{-Thema. Dort ging es um Sicherheit und Menschenleben. Daher erwarteten die Kunden ausführliche Informationen, wie die Unternehmen die Probleme gelöst haben – also textlastige Werbung und keine emotionale Ansprache mit bunten Bildern und entspannender Musik.
Wie wichtig sind jetzt frische Themen?
Sehr wichtig. Denn egal, was VW sagt, es ist eigentlich immer falsch und hält das Thema weiter in der Öffentlichkeit. Ja, das Unternehmen hat wohl absichtlich betrogen und manipuliert. Da hilft kein Relativieren und Lamentieren mehr, sondern bleibt nur das schrittweise Setzen neuer Themen. Auch die aktuelle, neue Werbung bietet dazu gute Ansatzpunkte.
So könnte VW beispielsweise den aktuellen Spot fortschreiben mit einer Werbung zum Thema „Generation E-Auto“ – und sich damit ganz nebenbei an die Spitze der Bewegung zur E-Mobiltät in Deutschland setzen. Auch der aktuelle Verzicht von Volkswagen auf eine US-Super-Bowl-Werbung zeigt, dass man die alten Zöpfe abschneidet und nach Wegen sucht – obwohl man dort 2011 mit dem legendären Darth-Vader-Spot Werbegeschichte geschrieben hat. Wenn das Unternehmen diesen Kurs beibehält, dann spricht übermorgen niemand mehr vom Dieselgate.
Herr Roselieb, vielen Dank für das Interview.