Öffentliche Meinung Musk macht Twitter vom Gasthaus zum Wirtshaus

Elon Musk stellt Twitter auf den Kopf Quelle: imago images

Elon Musks Umgang mit Twitter offenbart eine riskante Strategie als autoritärer Herbergsvater der öffentlichen Meinung, schreibt Wirtschaftsethiker Thomas Beschorner im Gastkommentar.

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Bei einem Besuch in Wien im Mai des Jahres habe ich die Unterscheidung zwischen einem Wirtshaus und einem Gasthaus kennengelernt. Im Wirtshaus, so wurde mir erklärt, herrscht der Wirt über die Gäste. In einem Gasthaus hingegen zählt der Gast – und der Wirt stellt sich hinten an.

Bei Eigentümerwechseln kann sich ein Wirtshaus in ein Gasthaus verwandeln. Das funktioniert eher gut. Wird ein Gasthaus hingegen zu einem Wirtshaus, so wird es schwierig. „Wer nichts wird, wird Betriebswirtin, wer gar nichts wird, wird Wirt“, lautet womöglich nicht zufällig eine bekannte Volksweisheit. 

Im 7. Bezirk Wiens ging in diesen Wochen das alteingesessene Gasthaus „Trug“ für 44 Milliarden Euro über den Tisch. Das Viertel gilt als hip, divers, diskussionsfreudig – und vor allem politisch, durchaus über das gesamte Spektrum des Politischen hinweg. Kristallisationspunkt mancher Kontroversen ist besagtes Gasthaus. 

Hier treffen und streiten sich Politikerinnen, Journalisten, Wissenschaftlerinnen, Blogger, Influencerinnen, Bürger und Bürgerinnen mitunter mehrmals am Tag. Für manche ist es eine Art Heimat geworden. Auch deshalb, weil es ein Ort ist, an dem man noch Dinge sagen kann, die man anderenorts nicht sagt. Grenzüberschreitungen gehören zum Programm: Menschen werden diskreditiert, gar bedroht. Ich war selbst manchmal dort und habe Menschen weinen gesehen. 

Zur Person

Im „Trug“ wurde schon vor dem Besitzerwechsel darauf reagiert. Hausregeln wurden erlassen, denn manche Worte und Äußerungen wollte man nicht tolerieren. Gäste bekamen bei schweren Vergehen Hausverbot, temporär, manche auch permanent. Einige sagen, es sei seitdem besser geworden. Andere sagen, die mitunter aggressive Atmosphäre im „Trug“ ist dennoch geblieben. Hinzu kam, dass sich mehr und mehr unbekannte Gäste unters Volk mischten, die niemand kannte, deren Identität unbekannt war, die aber sehr präsent waren.

Nun hat das „Trug“ einen neuen Wirt, nennen wir ihn Elon. Er ist hier nicht nur ein Finanzier, sondern übernimmt auch den Zapfhahn hinter dem Tresen, was insofern bemerkenswert ist, weil Elon Eigentümer und erfolgreicher Unternehmer einer Reihe von anderen Firmen außerhalb des Gastronomiegewerbes ist. Das Projekt „Trug“ erscheint ihm jedoch besonders wichtig. Über die Motivlage können wir nur spekulieren. Wesentlicher ist – und daraus macht Elon keinen Hehl –, dass er das Gasthaus in ein Wirtshaus verwandeln will: Er will mehr freie Rede. Und es wird Eintrittspreise geben. Wer nicht zahlt, landet im Hinterzimmer, was auch die Stammgäste betreffen wird.

Ein Gasthaus ist weder ein Gebrauchtwagenhandel noch ein Reisebüro, und deshalb verwundert es nicht, dass es im „Trug“ gehörig brodelt. Manche Stammgäste kommen inzwischen nicht mehr, andere wollen gehen, zögern aber noch in der Hoffnung, dass der neue Wirt noch einlenkt.

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Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter etablierte die Idee der „schöpferischen Zerstörung“ von Märkten als inhärenten Bestandteil einer kapitalistischen Wirtschaftsweise. Schräge Ideen von Unternehmerinnen und Unternehmern bringen den Kapitalismus in Unruhe – und mit ihm die Gesellschaft. Und das ist wichtig! Denn ohne revolutionäre, irritierende Ideen, die uns im historischen Moment oft als Verrücktheiten erscheinen, gäbe es keinen Fortschritt. 

Man wird also abwarten müssen, ob sich Elons Visionen zu dem neuen Wirtshaus in die Geschichte der disruptiven Innovationen der Geschichte einreihen werden - oder ob sich zu Schumpeters Idee der schöpferischen Zerstörung von Märkten ein neues Genre hinzugesellt, nämlich: die narzisstische (Zer-)Störung eines Unternehmers, der „die Rechnung ohne den Gast“ gemacht hat.

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