Seit Samuel Colt, der Erfinder des Revolvers, 1851 die amerikanische Waffenfabrik Massachusetts Arms Company wegen Patenverletzung verklagte, hat kein derartiger Prozess mehr solches Aufsehen erregt wie der zwischen Apple und Samsung. Gut eine Milliarde Dollar Schadensersatz und drohende weltweite Verkaufsverbote wichtiger Handys, dazu verdonnerte ein US-Gericht vor einer Woche die Koreaner auf Betreiben des iPhone-Herstellers Apple. Binnen eines Tages verlor Samsung an der Börse zwölf Milliarden Dollar, im Gegenzug legte die Aktie des finnischen Konkurrenten Nokia um acht Prozent zu. Reihenweise warnten Verbraucherschützer, die Auseinandersetzung zwischen Apple und Samsung würde Smartphones verteuern.
Patentangst bremst Unternehmer
Doch der Krieg der zwei Giganten vor Gericht hat noch viel weiter gehende Folgen. Er bedroht auch die Innovationskraft der IT- und Internet-Hochburg Silicon Valley. Die Angst, dass ein neues Produkt Patente anderer Unternehmen verletzt, bremst zunehmend Gründer wie Geldgeber. Investoren fragen sich immer häufiger, ob sich die Finanzierung oder der Kauf eines Startups lohnt, wenn das seine Produkte nachträglich teuer lizenzieren muss oder nicht verkaufen darf. „Das hat sich verschärft, seit die Konzerne ihre Patente als Waffe einsetzen“, sagt etwa der Chef der auf Firmenkäufe spezialisierten Investmentbank Evercore, Paul Deninger.
Und Deninger ist nicht der Einzige, der sich sorgt. Der kalifornische Unternehmer und Ex-Manager des Internet-Bezahldienstes Paypal, David Sacks, verkaufte im Juli sein Startup Yammer für 1,2 Milliarden Dollar an Microsoft. Nun sieht er wegen der Patentrisiken die Zukunft des Silicon Valley bedroht, weil es richtig große Geschäftsideen in Zukunft vor allem wegen rechtlicher Fallstricke schwerer haben werden. Denn grundlegende Innovationen, die mit dem Bisherigen brechen, „disruptive ideas“, zielten oft darauf, Geschäftsmodelle etablierter Unternehmen zu erschüttern. Das ermuntere diese zu Klagen. Im schlimmsten Fall müssten künftig in erster Linie Anwälte entscheiden, welches Startup einen Käufer findet, welches Produkt entwickelt wird oder wovon Investoren lieber die Finger lassen sollten.
Erst schützen, dann entwickeln
Während Großunternehmen solche Risiken inklusive horrender Anwaltshonorare wegstecken, sind sie für Startups tödlich. Geistiges Eigentum spielt zwar im Silicon Valley schon immer eine Rolle. Aber es entschied bisher nicht darüber, ob Wagnisfinanzierer Geld geben oder nicht. Produkte wurden erst entwickelt, dann geschützt.
Das ist zwar im Einklang mit bestehendem US-Patentrecht. Doch das ändert sich im März 2013. Das neue Gesetz erlaubt Unternehmen, Ideen bereits zum Patent anzumelden, auch wenn sie noch nicht in einem Produkt umgesetzt sind. Das heißt, Gründer in den USA sollten künftig erst ihre Idee schützen und dann um Kapital betteln. Denn Wagnisfinanzierer garantieren so gut wie nie, dass sie präsentierte Ideen und Entwürfe vertraulich behandeln und nicht an ein aussichtsreicheres Unternehmen weiterreichen, an dem sie bereits beteiligt sind.
Anwälte wittern große Geschäfte
So werden Startups künftig erst mal zahlen müssen – und das im Silicon Valley, wo gute Anwälte gern 900 Dollar die Stunde berechnen. Schon wittern die Advokaten das große Geschäft. Anwaltskanzleien vor Ort bauen gerade kräftig ihre Patentrechtssparten aus. Die Schox Patent Group aus San Francisco bietet sogar eine Flatrate von 15 000 Dollar pro Patent, Versicherungskonzerne legen Policen gegen Patentrechtsklagen auf.
Das Startup Lex Machina sammelte jüngst zwei Millionen Dollar für die Vermarktung einer neuen Software von Stanford-Wissenschaftlern ein, die analysiert, wie anfällig eine Geschäftsidee gegen Patentklagen ist oder ob es Sinn ergibt, Wettbewerber wegen eines Vorstoßes gegen Schutzrechte zu verklagen.
Apple-Sieg wundert nicht
Gemindert wird das Risiko so aber kaum. Denn geht es vor Gericht, ist der Ausgang höchst ungewiss. Das Urteil im Verfahren des kalifornischen Vorzeigekonzerns Apple gegen den koreanischen Angreifer Samsung fällten ausgerechnet Geschworene aus San Jose, ebenfalls in Kalifornien. Zwar bestand die Jury keinesfalls aus unbeleckten Amateuren. Ihr Vorsitzender, Velvin Hogan, ist Elektroingenieur und besitzt selbst zwei Patente, für deren Anerkennung er sieben Jahre mit dem Patentamt stritt. Und Richterin Lucy Koh verdingte sich als Patentanwältin für die IT-Industrie im Silicon Valley, bevor sie 2008 durch den damaligen Gouverneur Arnold Schwarzenegger berufen wurde. Trotzdem verwunderte es Insider in der Silicon-Valley-Metropole kaum, dass Apple mit der Klage siegte, obwohl sich das Unternehmen teilweise auf Formen und Funktionen berief, die schon vor der Schöpfung des iPhone existierten.
Vorwürfe der Smartphone-Hersteller
- Die 3G-Fähigkeit
- MP3-Musikstücke wiedergeben
- Per Handy Fotos machen und senden
- Die letzte Position in einer Bildergalerie wieder aufrufen
- E-Mails in Echtzeit aufs Handy gepusht bekommen
- Eine im Handykörper verbaute Antenne
- Drahtloses System zum Übertragen von Nachrichten
- Steuerung per Finger, etwa Zwei-Finger-Zoom-Funktion
- Abfedern, wenn das Ende einer Web-Site erreicht ist
- Telefonnummern und E-Mail-Adressen in Texten automatisch in antippbare Links verwandeln
- Design von iPhone und iPad
- Grafische Benutzeroberfläche
- Bildschirm mit einem Fingerwisch entsperren
- Autokorrektur bei Schrifteingabe
- Eine Technologie, mit der App-Entwickler eine fingergesteuerte Scroll-Funktion in ihre Apps einbauen können
- Senden und Empfangen von SMS-Nachrichten länger als 160 Zeichen
- Erstellen, Senden und Empfangen von Kalender-Terminen
- Von Microsoft entwickeltes Dateiordnungssystem
- Daten über das WLAN-Netzwerk übertragen
- Nutzen des H.264-Videokompressionsverfahren
Wie auch immer der Streit ausgeht – Samsung geht in die Berufung, das US-Gericht will erst im Dezember über die Verkaufsverbote entscheiden: Das Urteil von San Jose dürfte Auswirkungen auch auf Verfahren haben, die Apple zurzeit in Deutschland und anderswo auf der Welt gegen Samsung führt. „Auch Richter lesen Zeitung“, sagt der Düsseldorfer Patentexperte Florian Müller, der etwa Microsoft berät. Der Prozess habe klar gezeigt, dass Samsung die Apple-Patente vorsätzlich und wissentlich verletzt habe. Weil die meisten Prozesse um versehentliche Patentverletzungen geführt würden, reagierten Richter bei Vorsatz empfindlich.
Weltweit laufen zurzeit noch Dutzende Verfahren zwischen den zwei Konzernen. Schlössen sich Richter dem US-Verdikt an, könnte dies weitere Verbote für Samsungs Handyportfolio nach sich ziehen.
Apples Patent-Bombe
Und das ist noch nicht alles. Denn Apple sitzt noch auf einem Patent, das wie eine Bombe wirken könnte. Apple habe ein weitreichendes Schutzrecht in der Schublade, das praktisch die Konstruktion aus horizontalen und vertikalen Drähten abdecke, durch die berührungsempfindliche Displays überhaupt erst funktionieren, sagt Patentexperte Müller. Dagegen seien die Schutzrechte harmlos, über die das US-Gericht gerade in San Jose entschieden hat. Apple hatte das Patent für die Display-Technik auf Drängen der Richterin aus dem Verfahren genommen – unter der Bedingung, es nach dem Urteil wieder ins Spiel bringen zu dürfen.
Monopol aufs Smartphone
Griffe Apple Samsung und andere Hersteller damit an, träfe dies die Konkurrenz ins Mark. Fragt sich nur, mit welchen Folgen. Denn sollte Apple diese Karte erfolgreich ausspielen, winkte dem Unternehmen eine Art Monopol auf das Smartphone in der heutigen Form. „Dann wäre neben dem Patentrecht plötzlich auch Wettbewerbsrecht involviert“, sagt Patentexperte Müller. Wettbewerbshüter könnten Apple dann weltweit zwingen, Lizenzen für die Technologie zu vergeben.
Ein solches Szenario ist nicht abwegig. 2004 hatte die EU-Kommission in einem ähnlichen Fall Microsoft zu mehr Offenheit gegenüber Konkurrenten verdonnert, um den Wettbewerb auf dem Servermarkt zu schützen. Dem kam Microsoft nach – aber zu überteuerten Kosten. Dafür musste Microsoft bisher Strafen von 1,6 Milliarden Euro bezahlen.