Personalisierte Reklame Fernsehwerbung per Postleitzahl

Im lukrativen Werbemarkt spüren Fernsehsender den Druck von Facebook und Google. Doch neue Technologien lassen die TV-Manager hoffen. Personalisierte Spots sollen höhere Preise und mehr Umsatz bringen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die großen deutschen TV-Konzerne sind begeistert von den Möglichkeiten, die ihnen ans Internet angeschlossene Fernseher bieten. Quelle: Imago

Düsseldorf/München Ob es regnet oder die Sonne scheint, kann dem Fernsehzuschauer bislang eher gleichgültig sein. Schließlich ist es auf der Couch ganzjährig kuschelig warm. Inzwischen lohnt es sich allerdings, ab und an einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Denn so könnte sich erklären, warum auf einmal nur noch Werbung für Schnupfenspray oder Regenjacken über den Bildschirm flimmert.

Immer häufiger strahlen die TV-Sender individualisierte Werbung aus. Das heißt: Wenn es in Hamburg schüttet, bekommen die Zuschauer Spots für eine Reise nach Mallorca zu sehen. Oder eben für Regenschirme. Zeigt das Thermometer zur selben Zeit in München 35 Grad im Schatten, präsentiert Langnese die neueste Eiscreme-Kreation.

Die großen deutschen TV-Konzerne sind begeistert von den Möglichkeiten, die ihnen die modernen, ans Internet angeschlossenen Fernseher bieten. Zum ersten Mal können sie lokale Werbung anbieten, weil die Sender wissen, wo die Geräte stehen. „Das ist eine immense Chance“, meint Thomas Wagner, Chef von Seven One Media, der Vermarktungstochter von Pro Sieben Sat 1. „Wir verbinden die große Reichweite des Fernsehens mit den Möglichkeiten der personalisierten Ansprache der digitalen Welt.“

Das sehen die Manager des Bezahlsenders Sky ähnlich. Als sie kürzlich in Düsseldorf die neuen Programm-Höhepunkte für 2017 präsentierten, schwärmten sie von den neuen Möglichkeiten des sogenannten Addressable TV. In Zeiten, in denen die Reichweite der Sender sinkt, die Zahl der Nischensender zulegt und die Werbeindustrie einer immer spitzeren Zielgruppe gegenübersteht, bringt individualisierte TV-Werbung neuen Schwung in einen alten Medienkanal.

So können Automarken beispielsweise in ihre Spots die Adressen der Händler vor Ort einblenden. Oder die Zuschauer öffnen per Fernbedienung ein Menü mit weiterreichenden Informationen; zum Beispiel zu Läden in der unmittelbaren Umgebung. Dazu nutzen diese den sogenannten „Red Button“, den roten Knopf auf der Fernbedienung. So stoßen sie auf Internetseiten, die Spezialisten für den Fernseher optimiert haben. Aldi nutzt das Konzept bei Pro Sieben Sat 1 zum Beispiel für sein neues Musikangebot.


Google und Facebook werden zur Konkurrenz

Doch das ist noch nicht alles, was die Hbb-TV-Technik zulässt, der Online-Standard im Fernsehen. Mit dem sogenannten Switch-In lassen sich Werbebanner über das TV-Programm legen. Die erscheinen immer dann, wenn die Zuschauer umschalten. So sieht jeder Konsument genau dann die Reklame, wenn er den Sender gewechselt hat.

Für die Vermarkter ist das ein Traum. „Das ist ein Werbemittel, das für besonders viel Aufmerksamkeit und damit auch höhere Klickraten sorgt“, freut sich Thomas Wagner von Seven One Media. Mit Switch-In können die Konsumenten der Werbung nicht mehr entkommen.

Diese Echtzeitansprache werde sich mehr und mehr durchsetzen, meint Uli Veigel, Inhaber der Beratung Brand Consultancy und Beirat der dänischen Mediaagentur Blackwood-Seven. „TV und Internet wachsen zusammen“, sagt Veigel. Damit können Werbekunden die große Reichweite, die das Fernsehen verspricht, mit individueller Reklame verbinden.

Es hat seinen Grund, dass die TV-Stationen neue Werbeformen entwickeln. Einerseits stehen sie unter Druck von großen Internetkonzernen wie Google oder Facebook, die hoch personalisierte Reklame anbieten. Andererseits legt das Geschäft mit klassischen TV-Spots kaum noch zu. Die Investoren allerdings fordern Wachstum von börsennotierten Konzernen wie Pro Sieben Sat 1 oder der RTL Group. Noch sind die Einnahmen aus den neuen Angeboten gering. Aber Vermarkter Wagner ist zuversichtlich: „Wir gehen davon aus, dass wir zusätzliche Einnahmen erzielen können.“

Insgesamt geben Firmen in Deutschland rund 27 Milliarden Euro im Jahr für Werbung aus. Rund ein Fünftel der Summe fließt ins Fernsehen. Deutschlands größte private Sendergruppe, die Münchener Pro Sieben Sat 1, reklamiert davon wiederum gut 40 Prozent für sich. Zweiter großer Anbieter mit einem Marktanteil von etwa einem Drittel ist der RTL-Verbund aus Köln. ARD und ZDF kommen auf knapp fünf Prozent, der Rest verteilt sich auf Dutzende weitere private Anbieter.


Gezielte Ansprache, höhere Preise

Pro Sieben Sat 1 schätzt, dass die Kunden im Jahr 2020 mindestens 125 Millionen Euro für die neue, personalisierte Reklame ausgeben werden. Langfristig rechnet die Gruppe in Deutschland mit einem Umsatz von rund 2,5 Milliarden Euro mit den modernen Werbeformen. Derzeit stehen in den Wohnzimmern rund zehn Millionen TV-Geräte, die dafür geeignet sind.

Doch jeden Tag werden es mehr. Im ersten Halbjahr 2016 waren 42 Prozent aller weltweit verkauften TV-Modelle internetfähige Geräte, im Vorjahreszeitraum waren es noch lediglich 39 Prozent. Das haben die Marktforscher der GfK ermittelt. Geräte dieser Kategorie machen den Experten zufolge inzwischen fast 60 Prozent vom Umsatz aus.

Noch etwas ist wichtig: Weil die TV-Konzerne die Zuschauer gezielter ansprechen, wollen sie höhere Preise durchsetzen. So weit wie Google geht die TV-Industrie allerdings noch lange nicht. Der amerikanische Internetkonzern stellt die Werbung je nach Suchanfrage individuell zusammen. Pro Sieben Sat 1 dagegen bohrt nicht tiefer als bis zum Postleitzahlen-Bereich. Auch das Sehverhalten werten die Vermarkter nicht aus. Zumindest noch nicht.

Schauen die Leute jedoch über Internet-TV-Anbieter wie Waipu.TV oder Zattoo, sieht das anders aus. Da sich die Kunden bei solchen Dienstleistern anmelden müssen, wissen die Sender, wer aller Wahrscheinlichkeit nach zuschaut. So hat Pro Sieben Sat 1 bei Zatoo bereits live unterschiedliche Reklame für weibliche und männliche Abonnenten ausgestrahlt. Die Damen bekamen einen Spot von Mydays zu sehen, einem konzerneigenen Anbieter von Erlebnisgeschenken. Den Männern wurde Reklame der Videoplattform Maxdome vorgesetzt; sie gehört ebenfalls zur Sendergruppe.

Rund drei Stunden lang sitzt der Durchschnittsdeutsche jeden Tag vor dem Fernseher. Ein bisschen Abwechslung bei der Werbung dürfte dem einen oder anderen Zuschauer gar nicht so unrecht sein. Dass eines Tages jeder TV-Zuschauer genau auf ihn zugeschnittene Werbung sieht, das glaubt Vermarkter Wagner indes nicht: „Wir werden stets das Medium für den schnellen Aufbau großer Reichweiten bleiben.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%