
Es stimmt also doch: Projekt Titan existiert. Apple-Chef Tim Cook hat bisher stets eisern geschwiegen zu den Gerüchten, der IT-Gigant entwickle ein eigenes Auto. Nun sagt Cook öffentlich: Ja, ein Team aus mehr als 1000 Informatikern, Ingenieuren und Wissenschaftlern bastelt bei Apple am Auto der Zukunft. Genauer gesagt an der Software, die künftig selbstfahrende Autos steuern soll. Es ist nicht irgendeine Software: Projekt Titan wird mit künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten.
KI, das sind Computerprogramme, die mit ihren Aufgaben wachsen und sich stetig selbst verbessern – ohne dass ein menschlicher Programmierer sie jemals wieder anfassen muss. Im Auto der Zukunft etwa wird KI die immense Datenmenge auswerten, die von Kameras, Radar- und Navisystemen kommt, das Auto autonom und sicher von A nach B lenken. „Das autonome Fahren“, sagte Cook, sei „das komplexeste KI-Projekt, an dem man derzeit überhaupt arbeiten kann“.
Komplex und extrem wichtig: KI, da herrscht im Silicon Valley seltene Einigkeit, wird den größten Umbruch in der Techbranche seit vielen Jahren auslösen. Vielleicht den größten überhaupt. Der Physiker Stephen Hawking vergleicht sie mit der Einführung der Elektrizität und der Erfindung des Internets. Der Markt für KI-Produkte und -Dienste wird, glaubt zum Beispiel McKinsey, in zehn Jahren über 130 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr generieren.
Im Silicon Valley ist der große Run ausgebrochen auf die besten KI-Ideen, -Start-ups und Talente. Die Konkurrenz ist Apple einen Schritt voraus: Microsoft, IBM, Tesla, Amazon, allen voran Google und Facebook haben längst große KI-Projekte am Start. Cook steht unter Druck: Er muss vor Öffentlichkeit und Investoren den Eindruck widerlegen, Apple sei in der KI abgehängt.
Anfang Juni verlor Apple fast 70 Milliarden Dollar Börsenwert. Goldman Sachs und UBS hatten in Studien gewarnt, bei den großen Techwerten wie Apple seien Investoren zu blauäugig von ewigem Wachstum ausgegangen. Bei vielen Anlegern wachsen die Zweifel an der Zukunftsfähigkeit Apples schon länger: Zu abhängig ist der Konzern vom iPhone, das zwei Drittel der Umsätze bringt, das seine Vorteile gegenüber Konkurrenzprodukten peu à peu verliert.





Dass ein Apple-Manager über ein so bedeutsames Projekt öffentlich plaudert wie Cook nun über Titan, ist eine tiefe Zäsur für Apple. Deren Manager sind verschwiegen und verschlossen wie niemand sonst in der Technologiebranche. Alle Mitarbeiter, vom Topmanagement bis zum Praktikanten, haben absolutes Redeverbot über berufliche Themen. Projekte bleiben geheim. Erst wenn sie wirklich marktreif sind, werden sie in einer Riesenshow verkündet: neues iPhone, besseres iPad, Apple Music.
Cooks Auftritt soll zeigen: Der Riese wacht jetzt auf. Bei Apple wird wieder an revolutionären Dingen gearbeitet. Für den reichsten Konzern der Welt geht es um alles oder nichts. Cook hat Nokia als Menetekel vor Augen. Gelingt die Aufholjagd nicht, droht Apple dasselbe Schicksal. Die Finnen waren lange Marktführer bei Handys, aber zu verwöhnt vom goldenen Status quo, um den Trend zum Smartphone zu erfassen. Sie landeten in der Bedeutungslosigkeit. Cook will nun das Ruder herumreißen, vor allem mit dem 1000-Mann-Projekt Titan. Womöglich ist es dazu bereits zu spät.