Rakuten-Chef Hiroshi Mikitani Japans E-Commerce-Pionier ist ein Vorbild für Deutschland

Im Oktober startete Rakuten-Chef Hiroshi Mikitani seinen 5G-Tarif „Rakuten Un-Limit Viber“. Quelle: imago images

Mit einer umwälzenden Netzwerktechnologie mischt Rakuten-Gründer Hiroshi Mikitani die japanische Mobilfunkbranche auf. Ralph Dommermuth von United Internet will seine Strategie in Deutschland kopieren.

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Als der japanische Mobilfunkanbieter Rakuten Mobile im vergangenen Frühjahr einen „schockierend niedrigen Preis“ für die Tarife in seinem neuen 5G-Netz ankündigte, ging die Nachricht in Japans erster Corona-Infektionswelle unter. Doch zum 5G-Start Anfang Oktober hielt Rakuten-Chef Hiroshi Mikitani sein Versprechen und sicherte sich damit dicke Schlagzeilen: Für den 5G-Tarif „Rakuten Un-Limit Viber“ mit einem unbegrenzten Datenvolumen zahlen die Nutzer monatlich nur 27 Euro, es ist nur halb so viel, wie die Platzhirsche NTT Docomo, KDDI und Softbank verlangen.

Dabei hatte Rakuten den LTE-Betrieb seines eigenen Mobilfunknetzes – das vierte in Japan – überhaupt erst im Frühjahr gestartet. Bis dahin nutzten Mikitanis Kunden angemietete Bandbreite von KDDI – und außerhalb der bisher noch lückenhaften Netzabdeckung von Rakuten Mobile nutzen sie es auch weiterhin. Denn dort, wo noch keine Funkzellen aktiv sind buchen sich die Handys noch immer ins KDDI-Netz ein. National Roaming nennen das die Mobilfunker.

Das Geheimnis hinter Mikitanis Kampfpreis ist das weltweit erste kommerzielle, vollständig virtualisierte Netzwerk, gebaut von NEC und Cisco und im Kern betrieben mit Software des US-Start-ups Altiostar. Statt spezielle Technik von einem Netzausrüster wie Huawei oder Nokia zu beschaffen, kauft der Mobilfunkanbieter Basisstationen von der Stange und betreibt sie mit cloud-basierter Software. Auch die Mobilfunker Jio in Indien und Dish in den USA setzen schon teilweise auf ein solches Open Radio Access Network, kurz openRAN. Nach Angaben von Rakuten drückt die openRAN-Technologie die Kapitalausgaben für ein 5G-Netz um 40 Prozent und die Betriebskosten um 30 Prozent. Auch der Netzaufbau geht viel schneller voran. Schon bis zum nächsten Sommer sollen Rakutens Funkzellen den größten Teil der japanischen Bevölkerung versorgen, fünf Jahre schneller als ursprünglich geplant.

Einst hat Ralph Dommermuth das Geschäft mit Internetzugängen auf den Kopf gestellt. Nun will der Chef von United Internet die Mobilfunkbranche aufmischen – eine riskante Wette.
von Thomas Kuhn

Der erfolgreiche Start der disruptiven Technologie sichert Rakuten weltweite Aufmerksamkeit – bis hin nach Deutschland. Denn die Japaner geben auch das Vorbild für den deutschen IT-Riesen United Internet und seine Tochter 1&1 Drillisch ab. Firmenchef und Gründer Ralph Dommermuth will Europas erstes virtualisiertes 5G-Netzwerk in Deutschland errichten und seine teuer erworbene Lizenz auf diese Weise schnell versilbern. „In der Fläche gibt es nur ‚dumme’ Antennen, ohne die üblichen Technikkästen“, streicht Dommermuth im WirtschaftsWoche-Interview den Unterschied zu den traditionellen Netzwerken heraus. „Rakuten macht das so, und es funktioniert.“

Sein Vertrauen in den japanischen Pionier könnte damit zusammenhängen, dass Dommermuth und Mikitani ganz ähnlich veranlagte Unternehmertypen sind. Anfangs hat Dommermuth die Entwicklung in Japan „nur aus der Ferne verfolgt“, aber inzwischen haben sich die beiden auch schon ein paar Mal getroffen. Dommermuth sagt, er „schätze den Unternehmertypen“. Mit nur zwei Jahren Altersunterschied gehören die Unternehmer der gleichen Generation an. Beide denken wie Banker – Dommermuth lernte Bankkaufmann bei der Deutschen Bank, Mikitani arbeitete nach dem Wirtschaftsstudium sechs Jahre für die heutige Mizuho Bank. Beide halten eine Kontrollmehrheit ihres Unternehmens und wurden damit zum Milliardär – Dommermuth mit einem Aktienwert von aktuell 2,7 Milliarden Euro und Mikitani mit 5,6 Milliarden Euro. Und als Fußballfans bringen sie ihre Konzernlogos auf die Trikots prominenter Vereine: Der Japaner sponsert den FC Barcelona und den konzerneigenen Vissel Kobe, wo kürzlich noch Lukas Podolski spielte, der Deutsche besitzt fünf Prozent von Borussia Dortmund.



Mit hoher Risikobereitschaft setzten sich die zwei Macher als Vorreiter von technologischen Trends in der IT-Branche durch. Ralph „Mr. Internet“ Dommermuth startete seine Laufbahn 1988 mit dem Marketing von Software, verkaufte Internetzugänge und betrieb Service-Hotlines. Hiroshi „Mickey“ Mikitani gründete 1997 Japans erste Online-Einkaufsmeile für virtuelle Läden. Dabei tritt der Plattformbetreiber als Vermittler zwischen Kunden und Verkäufern auf.

Mit Aktien und Kapital aus ihren Börsengängen kauften sich die beiden Unternehmer dann ihre Netz-Imperien zusammen – der heute 57-jährige Dommermuth vor allem im Bereich Online-Dienste, der 55-jährige Japaner im E-Commerce. In einem Dutzend Ländern, darunter Deutschland, entstanden Verkaufsplattformen nach dem Rakuten-Geschäftsprinzip. Zudem schmiedete Mikitani den Zukauf Viber zu einem Instant-Messaging-Dienst für Asien um und betätigte sich als internationaler Technologieinvestor, etwa mit Beteiligungen an der Online-Pinnwand Pinterest und dem US-Mitfahrvermittler Lyft.

In Japan selbst entwickelte Mikitani um seine Plattform herum ein Ökosystem von Service-Angeboten. Der Schwerpunkt liegt auf Finanzdiensten: Heute ist Rakuten Japans größter Kreditkartenanbieter, betreibt eine Direktbank und einen Online-Broker, einen digitalen Pressedienst und besitzt einen Lebens- und Sachversicherer. Der ursprüngliche Online-Handel macht nur noch knapp zwei Fünftel der Umsätze aus.

Den Mobilfunkmarkt aufmischen

Dennoch blieb dem Japaner der Ritterschlag von Gesellschaft und Medien für seine Leistungen bisher versagt. Vielleicht liegt es daran, dass Rakuten keine Weltmarke geworden ist. Früher wollte der Konzern noch Amazon und Ebay angreifen. Davon ist keine Rede mehr. Auch das deutsche Rakuten-Einkaufsportal hat gerade seine digitalen Pforten geschlossen. Sein Messengerdienst Viber hat sich gegen Whatsapp nicht behaupten können, seine Beteiligungen an Pinterest und Lyft baute der Unternehmer ab.

Die japanischen Milliardärskollegen Masayoshi Son von Softbank und Tadashi Yanai vom Textilriesen Fast Retailing mit der Weltmarke Uniqlo tauchen mit ihren unternehmerischen Taten ungleich öfter in den internationalen Medien auf. Dagegen dreht sich die Lieblingsgeschichte der Weltpresse über Mikitani darum, dass er alle Mitarbeiter zum Englischbüffeln zwang, um die Globalisierung von Rakuten zu beschleunigen. Neuerdings überlegt er, ob alle Mitarbeiter Programmieren lernen sollten. „Wer für Toyota arbeitet, weiß ja auch, wie ein Auto funktioniert“, meint Mikitani.

Aber dabei will es der umtriebige Japaner nicht belassen – und daher nun wie der Deutsche Dommermuth den Mobilfunkmarkt aufmischen. Bisher nutzten beide für ihre Mobilfunkdienste die Infrastruktur von KDDI beziehungsweise Telefónica. Doch künftig sollen die eigenen Netze flächendeckend werden. Dafür gehen die Unternehmer finanziell massiv ins Risiko. Knapp eine Milliarde Euro hat 1&1 für die 5G-Lizenzen gezahlt, bis zu zehn Milliarden Euro könnte der flächendeckende Ausbau des deutschen 5G-Netzes langfristig noch kosten. Mikitani investiert 6,5 Milliarden Euro in sein 4G- und 5G-Netz, und dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die Margen im japanischen E-Commerce von Rakuten schrumpfen, da auch Amazon und Yahoo Japan gerade den Wettbewerb verschärfen.

1&1 soll als vierter Anbieter den Wettbewerb im Mobilfunk voranbringen. Der Streit mit den etablierten Konzernen verzögert den Start des neuen 5G-Netzes. Nun ist der Chef der Bundesnetzagentur als Schlichter gefordert.
von Thomas Kuhn

Zwar musste Mikitani in Japan kein Geld für die staatliche 5G-Lizenz bezahlen, aber das ist nur ein kleiner Trost, weil die Rivalen NTT Docomo, KDDI und Softbank aus einem viel größeren Cashflow schöpfen. Dadurch können sie ihre 5G-Netze in der Fläche schneller ausbauen und einen möglichen Preiskrieg mit Rakuten Mobile länger durchhalten.

Der Kampfpreis von 27 Euro monatlich für das 4G- und 5G-Netz gilt nur, solange die Nutzer bei einer Rakuten-Antenne eingeloggt sind. Außerhalb großer Metropolen wie Tokio und Osaka, wo Rakuten viele Antennen auf den Gebäuden von Partnern seines Online-Portals aufstellen darf, wechseln die User automatisch in das Netz von KDDI. Dort ist das monatliche Volumen allerdings auf zwei Gigabyte begrenzt, dann sackt die Übertragungsrate auf lahme 128 Kbit pro Sekunde ab – kaum mehr als Modem-Geschwindigkeit aus frühen Internetzeiten. Bisher sammelte Mikitani schon eine Million Nutzer ein, aber für einen wirtschaftlichen Betrieb müssen es mindestens drei Millionen werden. Den Break-even im Mobilfunk peilt Finanzvorstand Kenji Hirose für 2023 an.

Immerhin erhält Rakuten in dieser schwierigen Startphase unerwartete Unterstützung von außen. Der globale Telekomriese Telefónica, in Deutschland durch die Marke O2 vertreten, schloss im September ein Bündnis mit Rakuten. Gemeinsam wollen beide Firmen die Virtualisierung von Netzwerken rund um die OpenRAN-Technologie weiterentwickeln. Damit müssen die Japaner die technologischen Risiken nicht mehr alleine schultern, und Telefónica sichert sich ebenfalls Zugriff auf das Know-how und die praktischen Erfahrungen mit der neuen Technik aus dem japanischen Netzaufbau.


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Denn noch sind die neuen Netzwerke nicht so leistungsfähig wie die etablierten Netze aus einer Hand. Der Chief Technology Officer von Rakuten, Tareq Amin, sprach vom „entscheidenden Augenblick einer industriellen Transformation“. Und Telefónica plant, die Hälfte ihrer Basisstationen, die zwischen 2022 und 2025 erneuert werden, bereits auf die neue Technik umrüsten zu können.

Das bedeutet jedoch auch: Das erste virtualisierte Netzwerk in Deutschland wird auf jeden Fall von United Internet kommen. Denn Dommermuth muss mindestens seine ersten tausend 5G-Standorte bis spätestens Ende 2022 in Betrieb haben.

Mehr zum Thema: Der United Internet Chef Ralph Dommermuth geht eine riskante Wette ein

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