Reeperbahn-Festival Die Musikindustrie feiert ihr Comeback

Viele Jahre litt die Musikbranche unter Umsatzverlusten und Krisenstimmung. Bei ihrem größten deutschen Branchentreff durchströmt die Unternehmer neues Selbstbewusstsein – und die Freude am Kommerz.

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Der Ex-Oasis-Sänger erfindet sich neu. Quelle: dpa

Hamburg Es ist voll im Reeperbahn-Club Docks, sehr voll. Allein auf der Galerie ist noch Platz für die nachdrängenden Leute. Gemischtes Publikum, Kennerblicke: Kann die Band Maximo Park, die ihre größten Erfolge vor zehn Jahren feierte, nochmal nachlegen? Zum Reeperbahn-Festival in Hamburg wollen die Briten nicht nur Musik-Fans überzeugen. Viel wichtiger: Zu dem Clubfestival sind zahlreiche Booker europäischer Musikhallen und Festivals in Hamburg gekommen.

Das jährliche Club-Festival auf der „Sündigen Meile“ hat sich nach dem Ende der Popkomm zum wichtigsten Branchentreffen der Musikindustrie gemausert. 2017 steht es im Zeichen des Comebacks – obwohl neben Altbekannten wie Maximo Park vor allem junge, aufstrebende Bands aus aller Welt auf den Bühnen der Kiez-Clubs stehen.

Das große Comeback, das feiert die Branche insgesamt. Nach Jahren von Umsatzverlusten und Krisenstimmung glaubt die Musikindustrie, tragfähige Geschäftsmodelle gefunden zu haben. Noch immer wächst die Live-Auswertung: Immer mehr Festivals blühen auf, Tourneen werden länger, Konzertveranstalter professioneller. Zudem verdient die Branche inzwischen echtes Geld im Internet, denn Musik-Streaming im Abo erreicht endlich den Massenmarkt. Dazu kommen Verwertungsdeals um die Künstler – etwa Musik für Werbung, Sponsoring, Kooperationen in sozialen Medien.

Einer der Optimisten beim Kongress in Hamburg ist Ole Obermann. Der Digitalchef von Warner Music präsentierte dafür die passenden Zahlen: Der weltweite Umsatz seiner Branche schrumpfte seit 1999 im Schnitt jährlich um vier Prozent. Doch seit 2015 dreht der Trend – es stehen zwar ebenfalls vier Prozent in der Statistik, doch diesmal mit einem Plus als Vorzeichen. „Musik gehört endlich zu den Treibern des Umbruchs, nicht länger zu den Getriebenen“, sagte er. Für Obermann ist es das Streaming, das noch länger steigende Umsätze verspricht. Schließlich zahlen erst 130 Millionen Kunden weltweit für Abo-Dienste wie Spotify, Deezer und Apple Music. 1,5 Milliarden Menschen nutzen werbefinanzierte Angebote – und sind potenzielle zahlende Kunden. Gestützt wird der Trend durch neue Produkte wie Amazons intelligenten Lautsprecher. In Deutschland wuchs die Plattenindustrie laut ihrem Bundesverband 2016 um drei Prozent. Fast 40 Prozent des Umsatzes von 1,6 Milliarden Euro kamen aus dem Digitalgeschäft – vor allem aus dem Streaming.

Besonderes ungenutztes Potenzial sieht Warner-Manager Obermann in Video-Streams wie bei Youtube: Dort bekommt die Plattenindustrie bislang nur einen Bruchteil der Umsätze wie beim Audio-Streaming – obwohl die zahlenmäßige Bedeutung der Abrufe gleich groß ist. „Alle wollen unsere Musik nutzen“, meinte Obermann: Neun der zehn erfolgreichsten Instagram-Leute seien Musiker, neun der zehn erfolgreichsten Youtube-Clips Musikvideos. Das Streaming ermögliche Künstlern wie dem deutschen DJ Robin Schulz eine ungeahnte internationale Popularität. Die Aufgabe der Branche: das Potenzial nutzen.


Kooperationen mit Konzernen


Als ein Traumpartner für solche Projekte präsentierte sich Mousse T. Der Produzent aus Hannover wurde 1998 im Alter von 30 Jahren mit dem Titel „Horny“ schlagartig bekannt, mit Tom Jones‘ Hit „Sexbomb“ zum kommerziell erfolgreichen Producer-Star. Im Gespräch mit dem Mitgründer der Werbeagentur Thjnk, Michael Trautmann, betonte der Musiker die Bedeutung von Partnerschaften mit der Wirtschaft. „Inzwischen rate ich jungen Künstlern: Macht alles, was euch elegant mit einer gewissen Schlagkraft Aufmerksamkeit verleiht“, sagte Mousse T. Beispiele seien die Kooperation von jungen Bands mit Vodafone und das Engagement der Deutschen Telekom. Die Industrie helfe Künstlern, wie einst die Katholische Kirche dem Maler Michelangelo. „Wenn die Autos bald von alleine Fahren, muss Mercedes-Benz die Fahrer bei Laune halten. Dann brauchen die uns, die Musik“, meinte Mousse T. Dazu gehöre, dass sich die Künstler als Marke begreifen – und regelmäßig neu erfinden.

Die große Kommerzialisierung: Viele Independent-Labels und idealistischen Veranstalter kleinerer Festivals, die bei dem Reeperbahn-Kongress seit Jahren zahlreich vertreten sind, sehen die Entwicklung skeptisch. Einen Schock gab es vor zwei Jahren: Besonderen Argwohn erregte der Wechsel des Rock-am-Ring-Erfinders Marek Lieberbergs und seines Sohns Andre zum US-Livemusik-Konzern Live Nation. Deutschlands bekanntester Festival-Veranstalter verließ damals seine selbst gegründete Agentur, die er allerdings schon längst beim börsennotierten Veranstalter CTS Eventim untergebracht hatte. Seitdem spielt er im globalen Wettstreit mit: Live Nation und Konkurrent AEG liefern sich ein Rennen um die wirkmächtigsten Festivals und Exklusivverträge mit Künstlern. Kleinere Veranstalter fürchten, zugkräftige Künstler nicht mehr zu bekommen.

Andre Lieberberg, seit 2016 Chef von Live Nation für den deutschsprachigen Raum, ging in Hamburg in die Charmeoffensive. Zwar habe es tatsächlich große Verunsicherung durch seinen Wechsel gegeben, aber: „Die Perspektive zwischen innen und außen differiert stark“, meinte er. Es gebe nun bessere Möglichkeiten etwa für Markenpartnerschaften und Sponsoring. Der Wechsel sei unumgänglich geworden, weil die internationale Vernetzung steige, ein mittelgroßer Spieler zwischen die ganz großen Konkurrenten geraten könne. „Das Musik-Business ist zyklisch. Konstant können wir nur wachsen, wenn wir neue Geschäftsfelder entwickeln“, sagte er. Durch den Wechsel zu Live Nation sei es nun möglich, deutlich Personal aufzustocken – etwa im Ticketing und im Sponsoring. „Wir haben eine aggressive Wachstumsstrategie“, sagte Lieberberg.


Veranstalter kleiner Festivals geraten unter Druck

Lieberberg kündigte an, auch durch Übernahmen von Festivals wachsen zu wollen. „Wir wollen aber dabei die Veranstalter als Partner im Team behalten“, sagte er. Und beruhigte die anwesenden Konkurrenten: „Wir wollen nicht jedes Festival aufkaufen.“ Und: „Ich sehe nicht, dass wir eine Bedrohung für die Indies sind.“

Dabei hat Live Nation den Druck in Deutschland durch Neugründungen wie „Rock im Pott“ die Übernahme des US-Festivals „Lollapalooza“, das seit 2015 auch in Berlin stattfindet, deutlich erhöht.

Alles glatt läuft dabei nicht. So musste Rock am Ring in diesem Jahr wegen einer Terrorwarnung unterbrochen werden. Marek Lieberberg ließ sich damals dazu hinreißen, von deutschen Muslimen mehr Einsatz gegen Terroristen zu fordern – und geriet in die Kritik. Sein Sohn verteidigte ihn in Hamburg: „Viele Dinge, die er gesagt hat, waren auf den Punkt. Aber manchmal verliert man dann doch die Nerven.“ Als Sohn hoffe er zwar, der 71-jährige Vater werde bald seinen Ruhestand antreten und Hawaii genießen, scherzte Lieberberg. „Er ist aber der typische Fall eines Menschen, der durch Arbeit gesund bleibt. Er soll so lange wie er möchte weitermachen.“

Kritik an der neuen Marktmacht der großen Spieler gab es auch. „Wenn Live Nation und andere künftig für 30 Festivals gleichzeitig buchen: Was wird dann aus der Gegenkultur?“, fragte etwa Booker Stefan Lehmkuhl, der mit seiner Firma Goodlive das Programm für Festivals wie Melt zusammenstellt. „Ich bin aber optimistisch, dass das auch die Agenten der Künstler nicht wollen.“

Als größeres Problem sahen die Veranstalter von kleineren Festivals steigende Kosten. So berichteten die Macher des mit wenigen Tausend Besuchern kleinen, aber renommierten Festivals in Haldern am Niederrhein von verdoppelten Sicherheitskosten seit der Loveparade-Tragödie. Dazu kommen Belastungen durch den Mindestlohn: Das Modell vieler meist kleinerer Festivals, durch freiwillige Helfer und sogenannte Praktikanten Geld zu sparen, gerät so in Gefahr. „Wir sehen einen kulturpolitischen Anschlag durch das Mindestlohngesetz“, wettere Branchen-Anwalt Christan Kuntze.

In Hamburg präsentiert sich die Branche allerdings hochlebendig. Über 25.000 erwartete Fans, 4000 Fachbesucher und 400 Journalisten sehen an drei Tagen immerhin 500 Konzerte.

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