Router-Hack Protokoll des Mega-Angriffs auf die Deutsche Telekom

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Ein Fehler an überraschender Stelle

Und der liegt an einer ganz anderen Stelle im System, als es bisher den Anschein hatte. Nein, es gelangt keine Schadsoftware in die Geräte. Nein, sie stürzen nicht ab, weil „schlampig programmierter Hacker-Code“ die Router crashen lässt, wie das BSI-Chef Arne Schönbohm zwischenzeitlich (und offenbar auf Hinweise aus der Telekom hin) öffentlich kommentiert. Im Grunde arbeitet das Fernwartungsmodul in den Router sogar standardkonform.

Die dümmsten Passwörter der Welt
"Dadada"Nein, die Rede ist hier nicht von dem Neue-Deutsche-Welle-Song von Trio, sondern dem Passwort des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg in Netzwerken wie Twitter, LinkedIn und Pinterest - zumindest wenn man den Hackern Glauben schenkt, die im Anfang Juni 2016 mehrere seiner Profile gehackt haben. Beim Foto-Dienst Pinterest gelang es den Hackern mithilfe des Passworts, das sie nach eigener Auskunft in den gestohlenen des Karriere-Netzwerks LinkedIn gefunden haben, den Profiltext für kurze Zeit durch den Text „gehackt vom OurMine Team“ zu ersetzen. Bei Twitter gab es eine verdächtige Aktivität auf Zuckerbergs Account mit dem Namen „@finkd“, in dem er seit Januar 2012 nichts mehr veröffentlicht hatte. Und bei Pinterest wurde das angebliche Passwort sogar öffentlich gemacht: "dadada". Damit wählte der Facebook-Entwickler scheinbar nicht nur ein ziemlich simples Passwort (übrigens nicht besser als "12345" oder "password"), sondern benutzte das Passwort gleich für mehrere Profile - ebenfalls absolute No-Gos, die aber immer wieder vorkommen, wie die folgenden Beispiele zeigen. Quelle: Screenshot
Simple Zahlen- oder BuchstabenfolgenSicherheitsforscher des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) haben 2015 fast 35 Millionen geraubte Identitätsdaten aufgespürt. Wie die Potsdamer Sicherheitsforscher anhand der gesammelten Daten analysierten, stehen bei den Internetnutzern in aller Welt immer noch Zahlenreihen oder Zeichenfolgen auf der Tastatur (z.B. qwerty auf der amerikanischen Tastatur) an der Spitze der Beliebtheitsskala bei Passwörtern. Gern werden auch Vornamen oder andere simple Begriffe verwendet, etwa das Wort "password". "Unangefochten weltweit auf Platz 1 liegt leider nach wie vor die Zahlenreihe 123456, obwohl automatische Cracker solche simplen Passwörter als erstes und blitzschnell ermitteln", sagte HPI-Direktor Christoph Meinel. Dass Passwörter dieser Art überhaupt nicht sicher sind, ändert nichts an ihrer Beliebtheit: Schon 2014 wurden mehr als 3,3 Millionen Passwörter geknackt, auf dem ersten Platz landet auch da schon "123456". Auch wenn die Länge variiert wird, hilft das nicht: Auf dem dritten und vierten Platz finden sich "12345" und "12345678". "123456789" landet auf Rang sechs, gefolgt von "1234" auf Platz sieben. Auf Rang elf liegt "1234567". Nachfolgend ein Überblick der meistgeknackten Passwörter 2014: Quelle: dpa
Passwort: "Password"Wer sich für ganz schlau hält und einfach "password" als Zugangscode verwendet sei hiermit gewarnt: Die vermeintlich simple und sichere Lösung liegt auf Rang zwei der meistgeknackten Passwörter. Quelle: dpa
FantasiewörterSie denken sich, kein Mensch weiß was "qwerty" ist? Falsch gedacht. Die Buchstabenfolge, die auf einer amerikanischen Tastatur nebeneinander liegt, landet auf Platz fünf. Auf deutschen Tastaturen wäre es übrigens "qwertz". Quelle: REUTERS
Das sportliche PasswortSport-Fans müssen sich etwas besseres einfallen lassen, als nur den Namen ihrer Lieblingssportart: Auf Platz acht der meistgeknackten Passwörter landet "baseball". Quelle: AP
Mystische GestaltenAuch Drachen-Fans gibt es einfach zu viele. Das Passwort "dragon" ist jedenfalls alles andere als originell. Es findet sich auf Rang neun. Quelle: REUTERS
Sport, die zweiteAnhänger des Football sind auch nicht besser dran als Baseball-Freunde: Das Passwort "football" findet sich auf Rang zehn der gehackten Zugangsdaten. Quelle: AP

Wie vorgesehen, nehmen die Geräte nur den – auch vom Mirai-Netz simulierten – Hinweis aus dem Netz zur Kenntnis, dass es offensichtlich so etwas wie ein Softwareupdate gibt. Wie vorgeschrieben beenden sie dann die Kommunikation mit dem Informanten – der im Normalfall der Netzbetreiber wäre, oder eventuell der Hersteller des Geräts, seit Sonntag aber im Minutenabstand irgendein von Mirai gekaperter Rechner oder Router irgendwo auf der Welt ist. Stattdessen kontaktieren die Speedports die Service-Computer der Telekom, von denen sie glauben, dass diese das angekündigte Update ausliefern wollen – und laufen dabei ins Leere. Denn dort liegt ja nichts, weil der Wartungsimpuls ja von Mirai stammt.

Und genau da tut sich offenbar ein winziger, aber folgenschwerer Programmfehler in Hundertausenden Arcadyan-Routern auf. Denn statt die Verbindung zum Wartungsserver wieder zu kappen, wie ein Telefonat aufzulegen, bei dem der Angerufene nicht abhebt, lassen die Geräte die Verbindung zum Telekom-Rechenzentrum aktiv.

Zu viele Telefonhörer am Ohr

Das wiederholt sich, mit jedem neuen Kontaktversuch eines von Mirai gekaperten Systems. Bildlich gesehen klemmt sich der Router einen Telefonhörer nach dem andern unters Ohr. Einmal, zweimal, zehnmal, teils minütlich – bis die Software der Router die Vielzahl der gleichzeitig aufgebauten Verbindungen zum Wartungssystem der Telekom nicht mehr handhaben kann … und den Anschluss ans Telekom-Netz komplett kappt. In Spitzenzeiten bei 900.000 Kunden.

Den Router zwischenzeitlich vom Netz zu trennen und nach kurzer Reset-Pause wieder anzustöpseln, löst das Problem daher auch nur vorübergehend. Denn weil der globale Angriff von Mirai auch am Montag und Dienstag mit unverminderter Vehemenz anhält, wiederholen sich auch die Aussetzer der Geräte immer weiter, bis die Telekom den fehlerhaften Aufbau der parallelen Verbindungen durch eine Reparatur der Router-Software unterbindet.

Diese Branchen sind am häufigsten von Computerkriminalität betroffen

Zwei Monate warten? Geht nicht!

Das Problem: Im Normalfall dauert die Fehlerprüfung eines Software-Updates für systemkritische Geräte – also auch für Router – bei der Telekom zwei bis drei Monate. Die Zeit aber hat unter dem Dauerfeuer aus dem Netz in Bonn niemand. Die Lösung liegt in einer Abkürzung. Statt das komplette Update auf alle denkbaren Fehler zu überprüfen, nehmen sich die Qualitätstester nur den Reparatur-Code für das Wartungsmodul vor und prüfen die Verträglichkeit der neuen Programmzeilen mit Gerät und Netz.

Das verkürzt den Prozess drastisch: Am Montagmorgen, rund zwölf Stunden nach dem Beginn des Angriffs legen die Entwickler von Arcadyan und die Service-Spezialisten der Telekom das Software-Update für die ersten Speedport-Router auf ihre Update-Server. Wenn die sich nach einem Neustart erstmals mit dem Netz der Telekom zu verbinden versuchen, werden sie mit der Wartungssoftware versorgt und aktualisiert.

Alle anderen Signale aus dem Netz an die auch für Updates zuständige Router-Schnittstelle – beispielsweise Informationen über die genaue Uhrzeit, über die sogenannten Zeit-Server im Internet, die dort vernetzten Maschinen synchronisieren – filtern zusätzliche Schutzprogramme aus dem Datenstrom heraus, die Tschersichs Sicherheitsexperten inzwischen im Telekom-Netz aktiviert haben. „Das behindert zwar andere Online-Funktionen“, sagt einer der Spezialisten fast entschuldigend, „aber bis die gestörten Router wieder auf Trab sind, ist das das kleinere Übel.“

Mit jedem zusätzlichen Update, das die Telekom für weitere Routertypen bereit stellt, stabilisiert sich die Lage im Laufe des Montags und speziell am Dienstag weiter, weil es die Speedports so modifiziert, dass auch fortwährendes Dauerfeuer aus dem Mirai-Netz sie nicht mehr in die Knie zwingt. Am Mittwochnachmittag – mehr als drei Tage nachdem den Technikern im Netzkontrollzentrum die ersten Störungen auffielen – haben der Sicherheitschef und seine Spezialisten die Lage weitestgehend im Griff. „Bis auf ein paar zehntausend Router, die wir uns nun noch einzeln vornehmen, ist fast jeder Kunde wieder online.“

Wie die digitale Parallelwelt funktioniert
Tor-Browser
Die Zwiebel mit ihren vielen Schalen: Die Abkürzung TOR steht für: The Onion Router – das Zwiebel-Netzwerk. Die kostenlose Open-Source-Software, einst vom US-Militär entwickelt, dient dazu, die eigene IP-Adresse zu verschleiern, indem sie Anfragen nicht direkt an die Zieladresse im Netz schickt, sondern über eine Kette von Proxyservern leitet. Jeder Proxy kennt nur seinen Vorgänger und Nachfolger, aber keiner kennt den ursprünglichen Absender der Anfrage und gleichzeitig den Empfänger. Das sieht in der Praxis dann so aus. 
Seitenadressen bestehen im anonymen Web aus einer zufällig gewählten, und ständig wechselnden Kombination von Zahlen und Buchstaben. Das erschwert das surfen. Deswegen bieten einige Seiten wie „The Hidden Wikki“, Orientierungshilfe. DeepDotWeb ist auch über das freie Internet zugänglich. Hier finden sich Foren, Fragen und Übersichten rund um das Thema Deepweb/Darknet. 
Tor ist nicht nur zum surfen auf nicht frei zugänglichen Websites nützlich. Auch ganz "normale" Seiten können hier anonym und datensicher angesteuert werden. Gleichzeitig lassen sich auch einige Unternehmen mit einer speziellen .onion Adresse registrieren. So hat zum Beispiel Facebook 2014, als erste große Firma einen offen sichtbaren Tor-Dienst mit eigener Adresse im Anonymisierungsnetz Tor aufgesetzt. 
Grams ist die gängigste Suchmaschine für Drogenmärkte im Darknet. Zwar ist der Drogenmarkt im Internet gegenüber dem Straßenhandel (mit einem geschätzten Umsatz von 320 Milliarden Dollar pro Jahr weltweit) noch klein, aber bereits hart umkämpft. Die Betreiber leben gut von der Verkaufsprovision, die sie für jeden Deal erhalten, der auf ihrer Seite geschlossen wird. Laut FBI sollen beim damals 29-jährigen Marktführer Dread Pirate Roberts von der Seite Silkroad, Bitcoins im Wert von 150 Millionen Dollar sichergestellt worden sein. Im Oktober 2013 wurde der US-Amerikaner Ross Ulbricht, der angebliche Silk-Road-Betreiber, ausfindig gemacht und vom FBI verhaftet. Der heute 32-Jährige wurde zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. 
Aufgrund der steigenden Konkurrenz haben sich Nachfolger wie Alphabay oder Nucleus vom anarchischen Neunzigerjahre-Look verabschiedet und orientieren sich nun an der Optik des legalen Onlinehandels. Da Vertrauen auf anonymen Marktplätzen ein knappes Gut ist, reagieren die Kunden stärker auf die üblichen Onlinereize wie einprägsame Logos, erkennbare Marken, hochauflösende Produktfotos und Marktstandards wie Kundenprofil, Konto-Übersicht und ausführliche Angebotslisten. Drogen sind auf fast jedem Marktplatz der größte Posten, daneben lassen sich hier jedoch auch Waffen, Hacker, Identitäten, Kreditkarten und andere Dinge erwerben. In den dunkelsten Ecken, die allerdings auch im Darknet nicht ohne weiteres zugänglich sind, finden sich sogar Menschenhandel, Kinderpornographie und Live-Vergewaltigungen. 
Ob gehackte Paypal, Amazon oder Ebay-Konten, eine neue Kreditkarte oder die Dienste eines Hackers, der mit Hilfe einer DDoS-Attacke (Distributed Denial of Service) eine Seite lahmlegen soll. Im Darknet werden Angriffe bzw. Daten jeglicher Art angeboten. Für nur ein Pfund, könnte man hier eine russische Kreditkarte mit hohem Verfügungsrahmen erwerben. Auch persönliche Daten wie Namen, Geburtsdaten, Adressen, EMails und alle erdenklichen Zugänge einer bestimmten Person werden hier für wenige Dollar angeboten. Zur Zeit vor der US-Wahl besonders beliebt: personenbezogene Daten, aufgelistet nach Bundesstaaten in Amerika.

Der nächste Angriff wird noch stärker

Sie wissen aber auch: Selbst wenn der Betrieb im eigenen Haus wieder stabilisiert ist – es ist nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm aus dem Netz. Denn rund um den Globus hat Mirai in der Zwischenzeit zigtausende neue Maschinen gekapert. Und die Waffe der Angreifer ist noch weit stärker, wenn „Kenzo2017“ oder irgendein anderer Technik-Spezialist die nächste Schwachstelle publizieren.

Es ist höchstens eine Frage der Zeit, bis es soweit ist.

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