Zweieinviertel Jahre ist es her, dass Christian Klein die Märkte schockte: Ende Oktober 2020 musste der SAP-Chef völlig überraschend die Umsatz- und Gewinnerwartung für das damals laufende Geschäftsjahr 2020 kassieren. Obendrein kappte er die Mittelfristprognose des Softwarekonzerns. Die Begründung für die Gewinnwarnung, die seinerzeit binnen weniger Minuten 30 Milliarden Euro Marktkapitalisierung ausradierte: Klein wolle noch stärker als bisher in das Cloud-Geschäft mit Mietsoftware über das Internet investieren – und dafür auch Marge opfern. Das wiederum führe bei SAP dazu, dass sich die Ziele für „Umsatzerlöse und Betriebsergebnis um ein bis zwei Jahre“ verschöben.
Die Schonfrist für den schnelleren Schwenk Richtung Cloud ist also inzwischen abgelaufen. Bei der Vorlage der Zahlen für das vierte Quartal und das Gesamtjahr 2022 am Donnerstag sollte sich zeigen, ob die Umbaupläne aufgehen. Einen ersten Blick in die Karten hatte Christian Klein bereits vor drei Monaten bei der Vorlage der Zahlen fürs dritte Quartal gewährt: Der Umbau in Richtung Cloud laufe besser und schneller als erwartet – und man wolle die Mittelfristprognose bis zum Jahr 2025 anpassen, vulgo: erhöhen.
Tatsächlich vermeldete SAP am frühen Donnerstagmorgen, der Konzern hätte alle Kennzahlen des finanziellen Ausblicks im Gesamtjahr 2022 erreicht. So stiegen die Clouderlöse im Gesamtjahr 2022 um 33 Prozent (währungsbereinigt 24 Prozent), der sogenannte „Current Cloud Backlog“ – also bereits abgeschlossene, aber noch nicht verbuchte Cloudaufträge – stieg um 27 Prozent (währungsbereinigt 24 Prozent) auf mehr als 12 Milliarden Euro. Das Betriebsergebnis im vierten Quartal 2022 stieg um 17 Prozent (währungsbereinigt 2 Prozent) auf 1,7 Milliarden Euro.
Warum in der Tech-Branche Zehntausende Jobs wegfallen
Die Corona-Pandemie mit geschlossenen Geschäften brachte dem Online-Händler einen enormen Geschäftsschub. Entsprechend brauchte er mehr Leute. Die Beschäftigtenzahl in Voll- und Teilzeit verdoppelte sich von 800.000 Ende 2019 auf mehr als 1,6 Millionen Ende 2021. Inzwischen bestellen die Menschen wieder weniger, auch weil das Geld in Zeiten hoher Preise nicht mehr so locker sitzt. Schon vergangenes Jahr fielen Stellen weg, im Januar kündigte Amazon nun den Abbau von 18.000 Jobs an. Stark betroffen davon sind Büro-Arbeitsplätze.
Auch der Google-Mutterkonzern verdient sein Geld fast nur mit Online-Werbung und bekommt die Abkühlung im digitalen Werbemarkt zu spüren. Und auch Alphabet baute in der Pandemie die Belegschaft aus: Von rund 119.000 Mitarbeitern Ende 2019 auf fast 187.000 im September 2022. Zugleich hat Alphabet ebenfalls hohe Ausgaben: Die Gewinne von Google finanzieren Zukunftsprojekte wie Robotaxis der Firma Waymo oder Lieferdrohnen mit, die Milliarden verschlingen. Die Kürzungen trafen auch solche Bereiche.
In der Pandemie griffen viele kleine Unternehmen zu Werbung bei Facebook, um ihr Geschäft anzukurbeln. Meta verdiente gut und stellte auch kräftig ein. Ende 2019 hatte der Konzern 45.000 Mitarbeiter, drei Jahre später waren es mehr als 87.000. Dann kam im November der Abbau von 11.000 Jobs. Meta spürt die Zurückhaltung von Werbekunden, die stärker auf ihr Geld achten. Auch ist die App Tiktok ein starker Rivale im Kampf um Werbe-Dollar - und Apples Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre auf dem iPhone machten Anzeigen bei Facebook weniger effizient. Zugleich steckt Gründer Mark Zuckerberg viele Milliarden in die Entwicklung virtueller „Metaverse“-Welten.
Der Windows-Riese richtete sich in den vergangenen Jahren stark auf das Cloud-Geschäft mit Online-Diensten aus dem Netz – genau richtig für das vernetzte Arbeiten in der Corona-Pandemie. Auch bei Microsoft wuchsen die Mitarbeiter-Zahlen durch Zukäufe schnell: Zum Ende des vergangenen Geschäftsjahres Mitte 2022 hatte der Konzern rund 221.000 Beschäftigte nach 144.000 drei Jahre zuvor. Zuletzt bekam Microsoft Gegenwind in einem Traditions-Segment: Der Einbruch der PC-Verkäufe in einem gesättigten Markt ließ das Windows-Geschäft um 39 Prozent schrumpfen. Microsoft streicht 10.000 Jobs, will aber in Zukunftsbereichen mehr Leute einstellen.
Der drastische Aderlass beim Kurznachrichtendienst ist dabei ein Sonderfall. Tech-Milliardär Elon Musk behauptete als neuer Besitzer, dass Twitter zu viele Beschäftigte habe – und ließ kurzerhand die Hälfte der rund 7000 Mitarbeiter feuern. Unter Druck gingen auch weitere, so dass inzwischen laut Medienberichten nur noch etwa 1300 Beschäftigte übrig sein sollen. Musk muss Geld sparen: Er bürdete Twitter Milliardenschulden für die Übernahme auf, die nun bedient werden müssen – und die Werbeeinnahmen sollen wegen der Zurückhaltung von Anzeigenkunden um 40 Prozent eingebrochen sein.
„Wir schließen das Jahr 2022 mit einer weiterhin starken Dynamik im Cloudgeschäft ab und verzeichneten im vierten Quartal wieder ein Wachstum beim Betriebsergebnis. Dies ist ein wichtiger Wendepunkt“, konstatierte der SAP-Chef. „Wir sind daher zu Beginn des Jahres 2023 sehr zuversichtlich, dass wir unser Versprechen, ein beschleunigtes Umsatzwachstum und ein zweistelliges Wachstum beim Betriebsergebnis zu erreichen, einhalten werden“, betonte der 42-Jährige am Morgen.
SAP-Zahlen fürs vierte Quartal 2022 wurden mit Spannung erwartet
Börsianer und Marktbeobachter hatten mit Spannung auf die SAP-Jahrespressekonferenz in Walldorf geblickt: „Wendepunkt bei Wachstum und Marge in Sicht“, schrieb etwa Knut Woller, Aktienanalyst von Baader Helvea Equity Research in München, in einer Vorabanalyse. Bei der LBBW äußert man sich fast wortgleich: Seit sechs Quartalen in Folge schrumpfe im Jahresvergleich die operative Marge. „Der Wendepunkt bei der Margenentwicklung scheint nun bevorzustehen. Schon im abgelaufenen vierten Quartal könnte es unseres Erachtens zu einem Margenplus reichen“, prognostizierte LBBW-Analyst Mirko Maier im Gespräch der WirtschaftsWoche. „Wenn nicht, wären zumindest wir enttäuscht.“
Andreas Wolf, Analyst in der Research-Abteilung der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, verwies auf die guten Aussichten im Vergleich zu wichtigen Wettbewerbern: „In der Cloud wächst SAP derzeit sogar stärker als die reinen Cloud-Konkurrenten Salesforce oder Workday“, schrieb er in einer Vorabanalyse. Auch das Kerngeschäft mit Unternehmenssoftware profitiere nun von dem Wechsel in Richtung Cloud. Zudem schienen die derzeitigen wirtschaftlichen Verwerfungen SAP sogar ein Stück weit zu helfen: So hätten viele Unternehmenskunden nach dem Ende der Coronapandemie ihren Investitionsschwerpunkt verschoben und konzentrierten sich nun auf Softwarelösungen, die gegen den Inflationsdruck helfen – etwa zur Produktautomatisierung oder für mehr Effizienz in der Logistik. „SAP registriert hier eine besonders große Nachfrage trotz – oder genauer: wegen des gedämpften wirtschaftlichen Ausblicks“, kommentierte Wolf.
Beeinflusst wirtschaftliches Umfeld SAPs Mittelfristprognose?
Bloß: Was heißt das für die Zukunft? Die Erwartungen zur Prognose bis 2025 gingen im Vorfeld weit auseinander – vor allem angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Unsicherheiten rund um den Globus mit galoppierenden Inflationsraten, steigenden Zinsen und dem andauernden Krieg in der Ukraine: „Eine Anhebung der Langfristprognose für die Cloudumsätze und auch für den operativen Ertrag wurde avisiert“, so LBBW-Analyst Maier. „Im aktuellen Umfeld würde uns aber eine sehr deutliche Anhebung eher positiv überraschen – und die Zuversicht in die forcierte Cloudstrategie des CEO stärken.“ Derart optimistisch ist aber längst nicht jeder: „Da wird beim Ausblick nichts passieren – angesichts des ökonomischen Gegenwinds“, meinte Industrieanalyst Holger Mueller vom amerikanischen Marktbeobachter Constellation Research.
Mit dieser pessimistischen Sichtweise sollte Mueller recht behalten: Die Walldorfer beließen ihre Prognose bis 2025 auf dem derzeitigen Stand und ergänzten bloß vielsagend: „Die SAP wird ihre mittelfristigen Zielsetzungen voraussichtlich im ersten Halbjahr 2023 aktualisieren.“
SAP will 3000 Stellen abbauen
Schneller geht es bei weitreichenden Produkt- und Personalentscheidungen: Erst Ende des vergangenen Jahres war durchgesickert, dass SAP eine spezielle Krankenhaussoftware auslaufen lassen und zudem einen einstigen Hoffnungsträger – das auf den Mittelstand abzielenden Cloud-Paket Business by Design – nicht mehr weiterentwickeln will. Im Gegensatz zu vielen amerikanischen IT-Anbietern, zuletzt Microsoft und die Google-Mutter Alphabet, hatte SAP größere Stellenstreichungen bisher vermieden. Das Unternehmen könnte jedoch „weiter bei Produkten aufräumen, mit denen SAP wenig oder kein Geld verdient“, erwartete im Vorfeld Axel Oppermann, Chef des Industriebeobachters Avispador aus Kassel, „im Zuge dessen sind zumindest auch Personalumschichtungen denkbar“.
Mit seiner Einschätzung lag Oppermann richtig: Denn SAP kündigte am Donnerstagmorgen an, ein „gezieltes Restrukturierungsprogramm in ausgewählten Bereichen des Unternehmens“ durchführen zu wollen. Der Konzern wolle damit sein Cloudgeschäft stärken und die Effizienz sämtlicher Prozesse verbessern. Etwa 2,5 Prozent der SAP-Mitarbeiter werden voraussichtlich von dem Programm betroffen sein: Bei der Umstrukturierung sollen 3000 Stellen wegfallen. Allein in Deutschland treffen die Maßnahmen voraussichtlich 200 Mitarbeiter.
Zudem hat SAP beschlossen, einen Verkauf der Beteiligung an Qualtrics zu prüfen. Der Konzern sei davon überzeugt, dass „diese potenzielle Transaktion beiden Unternehmen wie auch ihren Aktionären erheblichen Mehrwert bieten könnte“. Auch dies strebt SAP laut eigenem Bekunden vor allem deshalb an, um sich stärker auf grundlegendes Wachstum bei Cloud und Profitabilität konzentrieren zu können.
Lesen Sie auch: Die amerikanischen Tech-Giganten haben einfach zu viele Leute eingestellt