Sexismus in der Werbebranche Wenn Frau Schmidt plötzlich „Baby“ heißt

Ein Agenturboss soll eine Mitarbeiterin aufgefordert haben, ihn auf die Toilette zu begleiten, um sie zu vergewaltigen. Dieser Fall lässt die Branche über Sexismus streiten. So auch die mächtigsten Werber der Welt.

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Die US-amerikanische Serie „Mad Man“ spielt in der fiktiven Werbeagentur Sterling Cooper – und spiegelt die Verhältnisse der Werbebranche der 1960er-Jahre wider. So stellt Kreativdirektor Don Draper (Jon Hamm), ein kettenrauchender Frauenheld, seine Verführungskünste unter Beweis. Quelle: Reuters

Düsseldorf Sexismus ist kein Thema, das von der Werbebranche gepachtet ist. Und doch beherrscht die Frage, welchen Anzüglichkeiten und Annäherungsversuchen weibliche Mitarbeiter in Agenturen ausgesetzt sind, derzeit die Gemüter vieler Werber.

Auslöser der hitzigen Debatte ist eine Anzeige von Erin Johnson, Kommunikationschefin bei der US-Agentur J. Walter Thompson (JWT), gegen ihren Chef, Gustavo Martinez. Ihr Vorgesetzter soll sie, so heißt es, vor Mitarbeitern aufgefordert haben, ihn auf die Herrentoilette zu begleiten, damit er sie dort vergewaltigen könne. Außerdem soll er sich bei ihr – ebenfalls unter Zeugen – erkundigt haben, an welcher Frau er sich vergehen könne.

Abfällige Äußerungen über Juden und Schwarze sollen das Potpourri der Unglaublichkeiten abgerundet haben. Martinez hat die Anschuldigungen zurückgewiesen, an den „haarsträubenden Vorwürfen“ sei absolut nichts dran, so wird er zitiert. Der britische Werbekonzern WPP, zu dem die Agentur JWT gehört, fackelte allerdings nicht lange und trennte sich von dem Manager. „Im gegenseitigen Einvernehmen und im besten Interesse der Agentur“, so hieß es.

Könnte es einen Fall Martinez auch in Deutschland geben? „Nein, so etwas ist sicherlich ein Ausnahmefall“, meint Britta Poetzsch, Global Creative Director der Agentur Ogilvy. Androhung von Vergewaltigung, nein, aber Sexismus? „Darüber könnte ich ein Buch füllen“, bestätigt Poetzsch trocken.

Sie habe sie schließlich noch erlebt, die Nackenmasseure, die plötzlich hinter dem Bürostuhl auftauchen. Die Sprücheklopfer, die – verpackt in eine humorvolle Tonlage – eindeutig schlüpfrige Angebote machen. Die Vorgesetzten, die sich keine Namen merken wollen, sondern ihre Mitarbeiterinnen stattdessen mit „Häschen“ und „Schätzchen“ anreden. Auch beliebt: „Baby“. Amerikanisch ausgesprochen, lässig dahin gesagt, meint so mancher Mann, dass das eine passende Anrede für seine Kolleginnen ist.

Doch wenn Frau Schmidt plötzlich „Baby“ heißt, was bedeutet das eigentlich? „Frauen werden dann sicherlich nicht auf Augenhöhe behandelt“, meint Poetzsch. „Und überhaupt: Wo ist denn hier die Grenze?“

„Es kommt etwas darauf an, wie man Sexismus definiert“, sagt auch Dörte Spengler-Ahrens, Kreativ-Geschäftsführerin der Agentur Jung von Matt. „Diskriminierung aufgrund des Geschlechts? Verbale oder tätliche Übergriffe? Vielleicht treffen es die Begriffe Chauvinismus und Machismus mehr. Diese sind über die Branchen hinweg, mehr oder weniger unausgesprochen, an der Tagesordnung.“

Eine ernüchternde Einschätzung. Spengler-Ahrens plädiert dafür, sich dem schwelenden Chauvinismus beherzt in den Weg zu stellen. „Durch selbstbewusstes Auftreten. Durch schlagkräftiges Kontern. Und im Extremfall, durch eine Beschwerde. Einfach auch, um anderen Frauen, die sich vielleicht nicht so trauen, dem Kollegen, Chef oder Kunden etwas entgegenzusetzen, Mut zu machen.“


Wenige Frauen und Ausländer in Führungspositionen

Die Affäre Martinez ist allerdings nicht nur Thema in den Agenturetagen, sondern sorgt auch für eine handfeste Auseinandersetzung zwischen zwei der mächtigsten Agenturchefs dieser Welt: Martin Sorrell, CEO von WPP, und Maurice Levy, Chef des französischen Werbekonzerns Publicis, liefern sich seit einigen Tagen einen heftigen Schlagabtausch.

Sorrell, in dessen Agenturreich sich der Martinez-Fall ereignete, macht keinen Hehl aus seiner Meinung: Sexismus ist für ihn ein branchenweites Problem. Levy, sein Konkurrent aus Paris, widerspricht seiner Darstellung heftig. Der Fall Martinez sei ein „one-time mistake“, ein einmaliger Fehler, sagte Levy auf der Konferenz „4 A's Transformation Conference" in Miami, einem Branchentreffen der Kreativen und der Medienmacher. „Ich glaube nicht, dass das, was bei JWT passiert ist, sinnbildlich ist für das, was in unserer Branche passiert."

Sorrell wiederum konterte wenig später auf der gleichen Veranstaltung. „Maurice neigt dazu, Fakten zu ignorieren und lässt seine Analysen nicht von Fakten beeindrucken“, sagte der WPP-Chef süffisant. Statistiken über den geringen Anteil von Frauen und ethnischen Minderheiten in Führungspositionen sprächen eine klare Sprache.

Der Publicis-Chef revanchierte sich kurz danach mit einem ausführlichen Schreiben an seine Mitarbeiter, in dem er Sorrell unter anderem „Heuchelei“ vorwarf. Das US-Magazin „Adweek“ veröffentlichte das Papier in voller Länge. Schließlich, so führt Levy aus, sei der Vorfall in einer WPP-Agentur geschehen. Ein Jahr lang habe die Kommunikationschefin versucht, sich Gehör zu verschaffen. Nichts.

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