Smartphone-Spiel Der zweite Hype um Pokémon Go

Ein Jahr nach dem großen Hype erlebt Pokémon Go eine neue Renaissance: Millionen Menschen sind wieder auf Monsterjagd. Für die Entwickler ist das ein lukratives Geschäft. Selbst die Industrie profitiert von dem Hype.

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Vor einem Jahr bestimmte Pokémon Go die Schlagzeilen. Jetzt wiederholt sich der Hype, zumindest in abgeschwächter Form. Quelle: dpa

Düsseldorf Sie waren zu Tausenden unterwegs: Trauben von Menschen, die ganze Stadtzentren und Parks besetzt haben. In Düsseldorf wurde sogar eine Brücke der Prachtstraße Königsallee für den Verkehr gesperrt. Der Grund: Menschen, die mit gesenktem Kopf in der Gegend herumliefen und dabei den Blick nicht von ihrem Handy-Display lassen konnten. Nicht nur in der Landeshauptstadt am Rhein, sondern in der ganzen Welt spielten sich derartige Szenen ab. Eine Epidemie der Spielfreude – ausgelöst durch die Smartphone-App Pokémon Go. Wie steht es heute, ein Jahr danach, um den Hype?

Mittlerweile haben die Rentner und Touristen wieder ihre Parkbänke wieder besetzt. Und die Düsseldorfer Königsallee gehört auch wieder den Luxusliebhabern. Die Pokémon-Go-Spieler gibt es allerdings immer noch. Man muss nur etwas genauer hingucken: Fünf Millionen Menschen spielen nach Angaben des Spielentwicklers noch jeden Tag Pokémon Go. Zum Vergleich: Knapp 30 Millionen sollen es nach Zahlen der Branchendienste im vergangenen Sommer gewesen sein. Und 65 Millionen Menschen begeben sich immer noch einmal pro Monat auf die Jagd nach den digitalen Monstern.

Das ist außergewöhnlich. Die meisten Online-Spiele sind ein Jahr nach ihrem Erscheinen von der Bildfläche verschwunden. Angry Birds etwa war anfangs auch sehr erfolgreich, heute spielt es in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch eine Rolle. Nicht so bei Pokémon Go. „Das ist schon ein einmaliges Phänomen“, sagt Katharina Tillmanns, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln.

Vor einem Jahr knackte Pokémon Go alle Rekorde: Eine halbe Milliarde Mal wurde das Spiel damals herunterladen – so oft wie keine andere Spiele-App zuvor. Zwischen September und März lag diese Zahl immerhin noch bei 150 Millionen. Es passierte das, was bei den meisten Online-Spielen zu beobachten ist: Die neu gewonnenen Spieler, abzulesen an den Downloadzahlen, gingen zurück.

Was auf die meisten Online-Spiele zutrifft, gilt auch in diesem Fall nur eingeschränkt für Pokémon Go: Denn seit einigen Wochen steigt die Zahl der neuen User wieder an. Vor einem Monat war das Spiel bei den Downloads im deutschen App-Store von Apple nicht einmal unter den Top Hundert. Nun gehört es fast wieder zu den 50 beliebtesten Spielen. Der Hype von damals wiederholt sich – zumindest in einer abgeschwächten Form.


"Es geht wieder die Post ab"

„Teilweise stehen wir wieder mit 70 Leuten auf einer Stelle“, sagt Julian Bosbach. Er spielt seit einem Jahr Pokémon Go – fast an jedem Tag. „Natürlich sind wir nicht mehr so viele Leute wie früher“, sagt der 19-Jährige aus Mönchengladbach. „Seit dem die Temperaturen angestiegen sind, geht aber wieder die Post ab.“ Auch Spielexpertin Tillmanns beobachtet das. Sie spricht – etwas nüchterner – von einem „saisonal getriebenen Hype“. Pokémon Go wird eben draußen gespielt. Und das lohnt vor allem, wenn es warm ist. Die Pokémon-Go-Spieler sind in WhatsApp- und Facebook-Gruppen organisiert – in den großen Städten mit mehreren tausend Mitgliedern.

Auch wenn der große Rummel abgeebbt ist. „Das Spiel ist weiterhin im Alltag präsent“, beobachtet Tillmanns. „Ein Erfolgsfaktor ist ganz klar die Marke Pokémon.“ Die hat Generationen von Jugendlichen beim Erwachsenwerden begleitet. Die Fernsehserie war so erfolgreich, dass später auf fast allen Pausenhöfen der Republik Karten von Pikachu und den anderen Fantasiegeschöpfen getauscht wurden. Das 1996 eingeführte Videospiel, das auch auf dem Gameboy gespielt wurde, erwies sich für den japanischen Elektronikkonzern Nintendo als Geldmaschine.

Der zweite Punkt: Pokémon Go ist eines der erfolgreichsten Spiele, das Realität und Virtualität miteinander in Verbindung bringt. Auf dem Handy, das die reale Umgebung mit der Kamera erfasst, tauchen die virtuellen Pokémon-Monster auf, wenn man sich bestimmten Orten nähert. Diese erweiterte Realität wird als Augmented Reality (AR) bezeichnet. „Durch dieses Technik-Erlebnis hat das Spiel auch die Leute begeistert, die Pokémon zuvor noch nicht kannten“, sagt Spielekennerin Tillmanns. Und auch die Möglichkeit, mit anderen Spielen zusammen durch die Pokémon-Welt zu ziehen, hat ihren Teil am Erfolg. „Pokémon Go ist ein absolut soziales Spiel“, sagt Tillmanns.

Rentiert hat sich das Spiel nicht nur für die Spieler. Sondern vor allem für die App-Hersteller, die Nintendo-Beteiligung The Pokémon Company und die Google-Ausgründung Niantec. Allein im Juni machte das Spiel nach Angaben des Markforschungsinstitut Sensor Tower 17 Millionen Dollar Umsatz. Im Mai waren es noch 12 Millionen gewesen. Auch hier zeigt sich: Pokémon Go hyped gerade erneut. In der Umsatz-Rangliste ist es im App-Store jetzt sogar auf dem ersten Platz. Analysten schätzen die bisherigen Erlöse auf über eine Milliarde Dollar. Verdient wird das Geld nicht mit den kostenlosen Downloads, sondern durch Zusatzkäufe. Dabei können die Nutzer weitere Artikel kaufen, um erfolgreicher zu sein – mehr Speicherplatz etwa oder Brutmaschinen für die Pokémon-Eier.


Sogar die Industrie profitiert vom Hype um Pokémon Go

Niantic bringt der Geldregen einen finanziellen Spielraum für neue Projekte und Investitionen, der den meisten im knallharten Geschäft mit Online-Spielen verwehrt bleibt. „Wir müssen jetzt nicht unbedingt etwas machen, was sich sofort rechnen muss“, sagte Niantic-Chef John Hanke der Deutschen Presseagentur. Der 49-Jährige trauert dem „wunderbaren Wahnsinn“ der ersten Monate nicht nach. Sein Ziel: Er will die Nutzer im Spiel halten.

Dafür brachte Niantic im Februar die zweite von bisher sieben Pokémon-Generationen in die App. Jüngst erst änderten die Entwickler die Regeln für die Arenen-Kämpfe und fügten legendäre Pokémon hinzu. Das kommt beim Nutzer an: „Die Entwickler sind schon sehr bemüht, Neuerungen zu integrieren“, sagt Corinna Huter aus Erkrath. Die 45-Jährige spielt Pokémon von Anfang an. Und hat dabei nach eigener Aussage 600 Kilometer zurückgelegt. „Durch die regelmäßigen Updates wird der Nutzer bei der Stange gehalten“, sagt sie. Julian Bosbach sieht das ähnlich: „So wird es nie langweilig. Man will auch wegen der Updates immer weiter spielen“.

Beide beobachten, dass die Pokémon-Go-Spieler tendenziell älter werden. Waren vor einem Jahr vor allem Schüler aktiv, spielen jetzt auch die Über-50-Jährigen. Wissenschaftlich belegbar sind diese Beobachtungen nicht.

Der Hype um Pokémon Go diente auch als Türöffner für die Augmented-Reality-Technologie. „Fast jedem ist dieser Begriff mittlerweile geläufig“ sagt Ulrich Bockholt, Abteilungsleiter für virtuelle und erweiterte Realität beim Fraunhofer-Institut IGD. Die virtuelle Monsterjagd hat sogar Auswirkungen auf die Industrie. „Im AR-Bereich gibt es gerade einen richtigen Boom“, sagt Bockholt. Nicht nur, aber auch wegen Pokémon Go. „Das Thema hatte gesellschaftlich eine so große Bedeutung, dass es auch die Industrie wahrgenommen hat – auch wenn es technisch nicht direkt etwas damit zu tun hat.“ Ein Anwendungsbeispiel: Kunden von Möbelhäusern können ihr neues Wohnzimmer am Smartphone planen und den neuen Sessel virtuell in ihren jetzigen Raum einblenden.

Auch in der Spielebranche hat AR Zukunft, schätzen Fachleute –  auch wenn nach Pokémon Go kein anderes AR-Spiel diese Nutzerzahlen erreichen konnte. „Die Konstellation aus Realem und Virtuellem ist extrem erfolgreich“, sagt Spielekennerin Tillmanns. „Da wird mit Sicherheit noch mehr kommen“. Ob ein Spiel in nächster Zeit noch einmal einen solchen Hype auslösen wird, ist fraglich. In der einzigartigen Kombination aus weltumspannender Marke und neuer Technologie ist Pokémon Go bis heute einmalig.

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