Softwarehersteller Bei SAP gibt es Zoff um die Betriebsratswahl

Im Vorfeld der Anfang April stattfindenden Betriebsratswahlen bei dem Softwarekonzern SAP aus Walldorf kämpfen diverse Listen gegeneinander: Ein seit Jahren schwelender Streit bricht wieder auf.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Stefan Kohl Quelle: PR

Ungewöhnlich voll war’s am 18. März im Sitzungssaal 2 des Arbeitsgerichts Heidelberg. Rund 30 Beobachter, die Mehrzahl Beschäftigte des Softwarekonzerns SAP, wollten dem Eilverfahren beiwohnen, über das die sechste Kammer des Gerichts unter dem Vorsitz von Richterin Sigrid Pult-Wilhelm entscheiden musste.

Kein Wunder, schließlich hatte die Konstellation vor dem Kadi Brisanz. Denn als Streithähne standen sich zwei Fraktionen aus der SAP-Belegschaft gegenüber: auf der einen Seite der Wahlvorstand für die am 3. April stattfindende Betriebsratswahl bei den Walldorfern, auf der anderen die Betriebsratskandidatin Neslihan Kismir, deren Liste „Frischer Wind“ vom Wahlvorstand abgelehnt worden war. Das Arbeitsgericht folgte der Argumentation von Klägerin Kismir und wies den Wahlvorstand an, auch ihre Liste zuzulassen. „Der Wahlvorstand hat [...] gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen“, so Richterin Pult-Wilhelm in ihrer schriftlichen Urteilsbegründung, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Somit bewerben sich bei der Wahl Anfang April nunmehr 15 unterschiedliche Listen um die 39 Sitze der SAP-Mitarbeitervertretung.

Die gerichtliche Auseinandersetzung zeigt, dass der Betriebsrat und seine Besetzung bei SAP – im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Konzernen – hoch politische Themen sind mit jeder Menge Konfliktpotenzial. „Die Machtfrage innerhalb der Mitarbeitervertretungen bei SAP ist bis heute nicht geklärt“, sagt Hansjörg Jäckel, der aktuell selber im Betriebsrat sitzt und der auch bei der kommenden Wahl mit einem Berichtsportal zur Beschäftigen-Information wieder antritt. Hintergrund dafür ist die Entstehungsgeschichte des SAP-Betriebsrats: Schon die erste Mitarbeitervertretung in Walldorf konnte 2006 erst gewählt werden, nachdem drei der IG Metall nahestehende Mitarbeiter die Einsetzung eines Wahlvorstands gerichtlich beantragt – vulgo: erzwungen – hatten.

Seitdem haben Auseinandersetzungen vor dem Arbeitsgericht im Vorfeld von Betriebsratswahlen bei SAP schon beinahe Tradition. Auch bei der zweiten Wahl 2010 klagte sich – ähnlich wie aktuell – eine vom Wahlvorstand ausgeschlossene Liste per einstweiliger Verfügung auf den Wahlzettel. Die Betriebsratswahl musste wegen der richterlichen Entscheidung sogar um drei Wochen verschoben werden.

Um die Ursachen für derlei Rangeleien zwischen den Interessengruppen zu verstehen, muss man zurückblicken in die Zeit der ersten Betriebsratswahlen 2006. Bis dahin hatte es das SAP-Management geschafft, die Einsetzung eines Wahlvorstands zu verhindern. Jahrelang war SAP der einzige Dax-Konzern ohne Betriebsrat. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat übernahmen die Funktion von Quasibetriebsräten. Sie kümmerten sich um die Belange der Mitarbeiter und gingen gleichzeitig weiter ihrem eigentlichen Job nach. Eine Freistellung war für sie kein Thema.

Mehrere jener Arbeitnehmer-Aufsichtsräte gründeten im Vorfeld der ersten Betriebsratswahl ihre eigenen Listen. „Grund dafür war, die eigene Machtbasis aus dem Aufsichtsrat in den Betriebsrat herüberzuretten“, sagt Betriebsrat Jäckel. Einer davon ist Stefan Schulz, der seit zwölf Jahren als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzt: Sowohl 2006 wie auch 2010 initiierte Schulz eine Liste mit dem markigen Namen MUT als Abkürzung für „Menschenverstand, Unternehmenskultur, Transparenz“ – freilich ohne sich selber dort aufzustellen. Seit 2010 stellt MUT 19 der 39 Betriebsräte sowie mit Stefan Kohl den Vorsitzenden des Gremiums.

Irgendwann in den Folgejahren kam es zwischen Schulz und Kohl zum Bruch. Grund dafür war dem Vernehmen nach ein Dissens darüber, ob das Unternehmen komplett vom Job freigestellte Betriebsräte brauche. „Die Liste MUT hat sich in den vergangenen Jahren von der Idee wegentwickelt, dass man keine Vollzeit-Funktionäre benötigt“, sagt Schulz – und gründete im Februar die Liste „Zukunft“. Doch der Wahlvorstand lehnte seine Liste ab: Er sei leitender Angestellter und daher dem Arbeitgeberlager zuzurechnen. Schulz ließ es nicht auf einen Rechtsstreit ankommen und zog sich zurück.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%