Spieleindustrie Gamescom-Auftakt: Hersteller von Handyspielen stellen politische Forderungen

Das Puzzlespiel Candy Crush ist das wohl bekannteste Mobile Game. Quelle: imago images

In der Pandemie boomen Computerspiele, ganz besonders die für Smartphones. Deren Hersteller rechnen mit Rekordergebnissen – und fühlen sich dennoch vom für sie zuständigen Verkehrsministerium vernachlässigt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Jonas Thiemann ist unzufrieden mit Andreas Scheuer. Und mit dem Bundesverkehrsministerium, das der CSU-Politiker führt. Dabei ist der 30-Jährige mit dem Dreitagebart kein Radfahraktivist, kein Dieselfan und auch kein Mautgeschädigter. Thiemann ist Computerspiel-Unternehmer – und damit Teil der digitalen Infrastruktur, die Scheuers Beamte fördern sollen. „Das Ministerium vernachlässigt den wichtigsten Zukunftsmarkt unserer Branche“, schimpft er.

Thiemann ist Gründer und CEO der Applike Group, zu der mehrere Firmen im Bereich Mobile Advertising und Mobile Gaming gehören. Die Tochterfirma Sunday entwickelt sogenannte „Hyper Casual Games“, also Spiele, die Menschen nebenbei zocken können, auf der Bahnfahrt oder in der Mittagspause. „70 Prozent der Smartphone-Besitzer haben ein solches Spiel schon einmal gespielt“, erklärt Thiemann.

Damit sind die Nebenbeispiele ein wichtiges Segment der Branche, die sich in diesen Tagen bei der Kölner Messe Gamescom präsentiert. Bekanntestes Exemplar der Gattung ist vermutlich das Puzzlespiel Candy Crush. Zu Thiemanns Erfolgstiteln zählt etwa Cat Escape, das allein in Googles Android-Store schon mehr als zehn Millionen Downloads verzeichnet. Durch Corona ist die Nachfrage noch einmal deutlich gewachsen. Auch die Applike Group profitiert vom Boom, für das Jahr 2021 peilt Thiemann einen Umsatz von 100 Millionen Euro an, doppelt so viel wie noch 2019. Mit InnoGames und Goodgame Studios, die beide wie Applike in Hamburg sitzen, gibt es weitere erfolgreiche Mobile-Game-Unternehmer in Deutschland.

Warum dann der Zorn auf Scheuer und sein Haus? Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) ist seit 2017 auch für Digitale Infrastruktur zuständig. Und im Rahmen dieser Funktion legte es vor einigen Wochen eine Games-Strategie vor, die dabei helfen soll, die Branche in Deutschland zu stärken. „Es ist erst einmal gut, dass das Thema überhaupt vorangetrieben wird“, sagt Thiemann. Doch zwei Dinge stören ihn an dem Strategiepapier. 

Zuerst hält er die beschlossene Computerspielförderung von 50 Millionen Euro pro Jahr für zu gering, gerade im Vergleich zu anderen Branchen. „Der Markt für E-Mobilität umfasst momentan 170 Milliarden US-Dollar weltweit, der für Gaming 175 Milliarden US-Dollar“, erklärt er. Die E-Mobilität profitiere allerdings von Förderungen in Milliardenhöhe. „Der Vergleich mag schief klingen, da E-Mobilität in den nächsten Jahren sicher exponentiell wachsen wird, aber das Verhältnis ist schon krass.“ 

Vorreiter sind Israel – und die Türkei

Schließlich, meint Thiemann, habe auch seine Branche hohe Entwicklungskosten. Ein sogenanntes Triple-A-Game, also ein Toptitel, schlage mit 60 bis 80 Millionen US-Dollar zu Buche. „Wir im Mobile-Gaming-Bereich brauchen natürlich weniger Geld“, schränkt er ein. Nur, das sei das zweite Problem: Der Bereich fände in der Games-Strategie keine Erwähnung. „Das Wort App kommt zweimal vor, einmal in einer Fußnote und einmal im Wort knapp.“ Dabei habe gerade der Markt in Deutschland noch Aufholbedarf. Weltweit macht Mobile Gaming schon etwa 50 Prozent am Gesamtumsatz der Branche aus, in Deutschland schätzt Thiemann den Anteil auf deutlich weniger, nicht viel mehr als zehn Prozent.

Das BMVI erkennt die Bedeutung von Mobile Gaming durchaus an, wie es auf Anfrage erklärt. „Die Anzahl der Spielenden liegt mittlerweile über denen von PC und Konsole“, so das Ministerium. Gerade im Bereich Lernspiele oder im medizinischen Bereich sei viel Potenzial da. Nur: „Die Games-Strategie differenziert im Sinne der Technologieoffenheit bewusst nicht nach der Anwenderschnittstelle (beispielsweise PC, Konsole oder mobile Endgeräte).“ Gleichzeitig sei aber auch jedes Mobile Game voll förderfähig, die Art des Spiels sei nicht eingeschränkt. Aus der Branche seien keine Wünsche bezüglich Mobile Gaming an die Beamten herangetragen worden. Was die Summe der Förderung angeht, verweist das Haus auf die mehr als 300 bereits unterstützten Projekte, man sei im Bereich Computerspielförderung voll handlungsfähig.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Jonas Thiemann aber hält an seiner Kritik fest. „Andere Länder zeigen, dass es besser geht“, sagt er. Israel sei ein Vorreiter, aber auch die Türkei. „Dort finden Sie ein Mobile-Gaming-Studio neben dem anderen.“ Deutschland müsse mehr Menschen dafür begeistern, Spiele zu entwickeln. Gerade dafür würden sich Mobile Games eignen. „Die Teams in unserer Tochterfirma Sunday haben in den ersten sechs Monaten 50 Prototypen entwickelt“, erinnert er sich. Dabei sei dann mit Cat Escape auch ein Hit gewesen. „Insgesamt ging das mit erstaunlich wenig Geld“, so Thiemann weiter. Niemand müsse also Angst haben, Unsummen an Fördergeldern zu versenken, ohne dass ein Ergebnis herauskommt.

Mehr zum Thema: In Online-Spielen entstehen immer mehr eigenständige Wirtschaftswelten, die auch auf die reale Volkswirtschaft ausstrahlen. Digitalökonom Jörn Lengsfeld erklärt, wie die Grenze zwischen virtueller und realer Wirtschaft verschwimmt – und man als „Goldfarmer“ Millionen verdient.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%