Sterben der Telefonhäuschen Wie der Handy-Boom den Telefonzellen die Leitung kappt

Vor zehn Jahren gab es noch 110.000 öffentliche Fernsprecher im Land, heute sind viele davon verschwunden. Mobiltelefone machen viele unrentabel. Doch manche Standorte kommen trotzdem nicht aus der Mode.

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Die englische Telefonzelle in Melsungen, Hessen. Quelle: dpa

Frankfurt Es gibt sie noch: gelbe Telefonzellen. Oder solche, die D-Mark- und Pfennigsymbole neben den Münzschlitzen haben. Auch Kuriositäten sind darunter: im nordhessischen Melsungen steht zum Beispiel ein rotes Telefonhäuschen aus England. Sie alle scheinen angesichts der massenhaften Verbreitung von Mobiltelefonen etwas aus der Zeit gefallen zu sein – und tatsächlich werden Telefonzellen immer seltener genutzt. Also verschwinden sie an vielen Orten.

Derzeit sind der Deutschen Telekom zufolge bundesweit etwa 30.000 öffentliche Telefone in Betrieb. Vor zehn Jahren gab es nach Zahlen der Bundesnetzagentur noch 110.000 Exemplare, im Jahr 2013 noch rund 48.000. Zahlen zur Entwicklung in den Ländern gibt es nicht.

„Grundsätzlich passen wir unseren Bestand an Telefonzellen fortlaufend dem Bedarf bei den Bürgern an“, heißt es bei der Telekom. Der Bedarf freilich ist seit dem Handy-Boom nicht mehr allzu hoch: Die Bundesnetzagentur zählte zuletzt mehr als 113 Millionen Sim-Karten, die unter anderem in Mobiltelefonen stecken.

Der Telekom zufolge bleiben die öffentlichen Fernsprecher „überall dort, wo es auch wirtschaftlich Sinn macht“, in Betrieb, etwa an Bahnhöfen oder Flughäfen. In der Provinz kann es da schon anders aussehen. So sollen beispielsweise im mittelhessischen Lahnau noch in diesem Jahr die letzten Telefonzellen abgebaut werden. In Darmstadt sind innerhalb von drei Jahren rund 30 Genehmigungen für einen Abbau von Telefonzellen erteilt worden.

Die Telekom kontaktiert die Kommunen, wenn sie kaum genutzte Telefonhäuschen abbauen will: Mit den kommunalen Spitzenverbänden sei vereinbart worden, die Orte anzusprechen, „wenn auf deren Gebiet extrem unwirtschaftliche öffentliche Fernsprecher mit einem Umsatz von weniger als 50 Euro im Monat stehen.“ Der Umsatz sei ein „klares Indiz“ dafür, dass in der Bevölkerung der Wunsch nach einer Grundversorgung an dieser Stelle offensichtlich nicht mehr bestehe.

Das bekommt auch die englische Telefonzelle in Melsungen zu spüren: Die Stadt hat sie vor mehr als 30 Jahren im Rahmen einer Städtepartnerschaft geschenkt bekommen. Ein Telefonunternehmen biete dort Nutzern sogar an, eine gewisse Zeit kostenlos zu telefonieren. Allerdings nehme die Nutzung in Zeiten der Smartphones trotz des Angebots immer mehr ab, sagt Stadt-Mitarbeiter Mario Okrafka.

Aus Historikersicht ist die Entwicklung nachvollziehbar: „Es gibt in der Infrastrukturgeschichte die allgemeine Tendenz, die Zugänglichkeit solcher Angebote immer unabhängiger vom Ort zu machen“, sagt der Gießener Professor für Zeitgeschichte Dirk van Laak. Insofern liege der Abbau von Telefonzellen im Trend.

„Das kann man ja schon beim Telefon zu Hause beobachten“, erläutert van Laak, der zur Geschichte von Infrastruktureinrichtungen forscht. „Früher stand es im Eingang zentral platziert, später kamen dann immer längere Kabel hinzu, so dass man sich in sein eigenes Zimmer zurückziehen konnte. Und das Handy bietet natürlich eine räumliche Unabhängigkeit in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß.“

Wenn eine Infrastruktureinrichtung verschwindet, sagt Wissenschaftler van Laak, „dann heftet sich da immer ein bisschen Sentimentalität und Nostalgie dran“. Moderne Telefonzellen sollen auch mit Mehrwert punkten: Es gibt Geräte, mit denen Nachrichten aufs Handy geschickt werden können oder die als Hotspots für die Internetnutzung dienen.

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