Der IT-Branchenverband Bitkom weist nach den Hackerangriffen gegen die Deutsche Telekom Forderungen aus der Politik nach einer Firmenhaftung zurück. "Der Fensterbauer haftet auch nicht, wenn in eine Wohnung eingebrochen wird oder der Hersteller von Fahrradschlössern für den Diebstahl von Fahrrädern", sagte Bitkom-Geschäftsleiterin Sicherheit und Datenschutz, Susanne Dehmel, am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters.
"Eine Produkthaftung für IT-Produkte läuft weitgehend ins Leere." Die Sicherheit hänge in diesem Bereich nicht nur vom Produkt, sondern einer Vielzahl von Faktoren ab - bis hin zu individuellen Fehlern. Am Dienstag hatte die SPD eine Produkthaftung gefordert, die auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière erwägt.
Es müsse darum gehen, das Sicherheitsniveau im digitalen Raum insgesamt zu erhöhen, erklärte der Branchenverband. Dazu gehöre, dass die Wirtschaft möglichst sichere Produkte anbiete und das Sicherheits-Bewusstsein der Anwender geschärft werde. Die Hersteller hätten in den vergangenen Jahren ihre Produkte immer weiter verbessert. "Müssten sie die Verantwortung für kriminelle Cyberangriffe übernehmen, könnten seriöse Anbieter ihre Produkte im deutschen Markt nicht mehr anbieten", sagte Dehmel. Damit wären Tür und Tor für Billigstanbieter geöffnet, die nicht in die Verantwortung genommen werden könnten. "Dies würde im Ergebnis nicht zu mehr, sondern zu weniger Sicherheit führen."
Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) plädierte am Mittwoch für eine engere Kooperation von Bund und Ländern. „Wir müssen uns schlichtweg an einen Tisch setzen, Erkenntnisse und Informationen austauschen, dann werden wir auch besser werden“, sagte Jäger am Mittwoch dem RBB-Inforadio. Es müsse verhindert werden, dass Hacker an kritische Infrastrukturen wie etwa die Stromversorgung gelangten.
Merkel fordert engere Zusammenarbeit
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Dienstag bereits für eine engere Zusammenarbeit mit Unternehmen ausgesprochen. Die Politik sei auf die Sachkompetenz der Industrie angewiesen. „Deshalb müssen wir in den Cyber-Fragen eng zusammenarbeiten.“
Unterdessen kritisierte der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, die Bundesregierung. Sie habe das Thema IT-Sicherheit „über Jahre nicht ernstgenommen“, sagte von Notz der Funke-Mediengruppe.
Anfang der Woche hatten sich Angreifer Zugang zu rund 900.000 Internet-Routern der Deutschen Telekom verschafft und diese weitgehend lahmgelegt.
Die Attacke ist nach Einschätzung von Experten nur die „Spitze des Eisbergs“. „Angriffe auf Schwachstellen von Routern sind für Angreifer äußerst lukrativ“, sagte Tim Berghoff vom IT-Sicherheitsdienstleister G Data. Theoretisch wäre es möglich gewesen, die Geräte unbemerkt zu kapern und später zu einem Botnetz zu verbinden, über das dann etwa Spam-Mails versendet oder auch sensible Daten ausspioniert werden könnten.
Angriff stümperhaft ausgeführt
Vermutlich war der aktuelle Angriff wegen Stümperei der Angreifer noch glimpflich ausgegangen. Der Schadcode wurde nur im Arbeitsspeicher abgelegt, so dass ein Neustart des Geräts ihn wieder entfernte. Inzwischen hat die Telekom die Lücke mit Patches und Updates weitgehend geschlossen. Nach Recherchen der Sicherheits-Firma IT Cube Systems waren neben der den zwei betroffenen „Speedport“-Routern der Telekom möglicherweise auch weitere Provider wie Türk Telekom, die britische Talktalk Group und die spanische Movistar betroffen.
Wie Fachmedien berichten, war ein potenzieller Angriff allerdings schon seit rund drei Wochen absehbar. Die Sicherheitslücke war seit einem Angriff in Irland am 7. November bekannt. Seit dieser Zeit „lief also die Uhr für die Telekom“, betonte das Fachportal „heise online“. Warum der Konfigurations-Port, über den die Angreifer eindrangen, überhaupt von außen ansprechbar war, sei nach wie vor fragwürdig. „Eigentlich hätten die Verantwortlichen wissen müssen, dass dies irgendwann zu Problemen führt.“
Noch immer sei das Bewusstsein für die potenziellen Gefahren nicht groß genug, sagte Ammar Alkassar, IT-Sicherheitsexperte bei Rohde & Schwarz Cybersecurity. Das führe dazu, dass die Sicherheit nicht hoch genug priorisiert werde, auch wenn es mit hohen Kosten verbunden ist. Alkassar sprach sich für klare Verantwortlichkeiten von Anbietern und Herstellern und entsprechende Haftungsregeln aus. BSI-Präsident Arne Schönbohm plädierte auch für Sicherheits-Gütesiegel etwa für DSL-Router.
Angriffsziele von aufsehenerregenden Cyberangriffen
Im Dezember 2015 fiel für mehr als 80.000 Menschen in der Ukraine der Strom aus. Zwei große Stromversorger erklärten, die Ursache sein ein Hacker-Angriff gewesen. Es wäre der erste bestätigte erfolgreiche Cyberangriff auf das Energienetz. Ukrainische Behörden und internationale Sicherheitsexperten vermuten eine Attacke aus Russland.
Im Februar 2016 legt ein Erpressungstrojaner die IT-Systeme des Lukaskrankenhauses in Neuss lahm. Es ist die gleiche Software, die oft auch Verbraucher trifft: Sie verschlüsselt den Inhalt eines Rechners und vom Nutzer wird eine Zahlung für die Entschlüsselung verlangt. Auch andere Krankenhäuser sollen betroffen gewesen sein, hätten dies aber geheim gehalten.
Ähnliche Erpressungstrojaner trafen im Februar auch die Verwaltungen der westfälischen Stadt Rheine und der bayerischen Kommune Dettelbach. Experten erklären, Behörden gerieten bei den breiten Angriffen eher zufällig ins Visier.
In San Francisco konnte man am vergangenen Wochenende kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, weil die rund 2000 Ticket-Automaten von Erpressungs-Software befallen wurden. Laut einem Medienbericht verlangten die Angreifer 73 000 Dollar für die Entsperrung.
Im Mai 2015 fallen verdächtige Aktivitäten im Computernetz des Parlaments auf. Die Angreifer konnten sich so weitreichenden Zugang verschaffen, das die Bundestags-IT ausgetauscht werden. Als Urheber wird die Hacker-Gruppe APT28 vermutet, der Verbindungen zu russischen Geheimdiensten nachgesagt werden.
Die selbe Hacker-Gruppe soll nach Angaben amerikanischer Experten auch den Parteivorstand der Demokraten in den USA und die E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampf-Stabschef John Podesta gehackt haben. Nach der Attacke im März wurden die E-Mails wirksam in der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs im Oktober 2016 veröffentlicht.
APT28 könnte auch hinter dem Hack der Weltdopingagentur WADA stecken. Die Angreifer veröffentlichen im September 2016 Unterlagen zu Ausnahmegenehmigungen zur Einnahme von Medikamenten, mit einem Fokus auf US-Sportler.
Ein Angriff, hinter dem Hacker aus Nordkorea vermutet wurden, legte im November für Wochen das gesamte Computernetz des Filmstudios lahm. Zudem wurden E-Mails aus mehreren Jahren erbeutet. Es war das erste Mal, dass ein Unternehmen durch eine Hackerattacke zu Papier und Fax zurückgeworfen wurde. Die Veröffentlichung vertraulicher Nachrichten sorgte für unangenehme Momente für mehrere Hollywood-Player.
Bei dem bisher größten bekanntgewordenen Datendiebstahl verschaffen sich Angreifer Zugang zu Informationen von mindestens einer Milliarde Nutzer des Internet-Konzerns. Es gehe um Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten und verschlüsselte Passwörter. Der Angriff aus dem Jahr 2014 wurde erst im vergangenen September bekannt.
Ein Hack der Kassensysteme des US-Supermarkt-Betreibers Target macht Kreditkarten-Daten von 110 Millionen Kunden zur Beute. Die Angreifer konnten sich einige Zeit unbemerkt im Netz bewegen. Die Verkäufe von Target sackten nach der Bekanntgabe des Zwischenfalls im Dezember 2013 ab, weil Kunden die Läden mieden.
Eine Hacker-Gruppe stahl im Juli 2015 Daten von rund 37 Millionen Kunden des Dating-Portals. Da Ashley Madison den Nutzern besondere Vertraulichkeit beim Fremdgehen versprach, erschütterten die Enthüllungen das Leben vieler Kunden.
Im Frühjahr 2016 haben Hacker den Industriekonzern Thyssenkrupp angegriffen. Sie hatten in den IT-Systemen versteckte Zugänge platziert, um wertvolles Know-how auszuspähen. In einer sechsmonatigen Abwehrschlacht haben die IT-Experten des Konzerns den Angriff abgewehrt – ohne, dass einer der 150.000 Mitarbeiter des Konzerns es mitbekommen hat. Die WirtschaftsWoche hatte die Abwehr begleitet und einen exklusiven Report erstellt.
Im Mai 2017 ging die Ransomware-Attacke "WannaCry" um die Welt – mehr als 200.000 Geräte in 150 Ländern waren betroffen. Eine bislang unbekannte Hackergruppe hatte die Kontrolle über die befallenen Computer übernommen und Lösegeld gefordert – nach der Zahlung sollten die verschlüsselten Daten wieder freigegeben werden. In Großbritannien und Frankreich waren viele Einrichtungen betroffen, unter anderem Krankenhäuser. In Deutschland betraf es vor allem die Deutsche Bahn.