
Los Angeles Von jeher pflegen Silicon Valley und die Wall Street ein angespanntes Verhältnis. Die Westküste spricht gern von großen Ideen und noch größerem Wachstum. Die Börsianer weiter östlich blicken skeptisch auf die Kennzahlen. Beide Lager argwöhnen, das jeweils andere sei schlecht beraten.
Alphabet, Amazon oder Facebook wären nie zu den mächtigsten Unternehmen der Welt aufgestiegen, hätten sie nicht auf Wachstum statt Rendite gesetzt, glaubt die Westküste. Börsianer verweisen im Gegenzug auf völlig überbewertete Börsengänge wie zuletzt das Wall Street-Debüt von Facebook-Rivalen Snap.
Start-ups setzen deshalb zunehmend alles daran, sich von den üblichen Gepflogenheiten der Wall Street zu emanzipieren. Das aktuellste Beispiel dafür liefert Musikplattform Spotify. Der schwedische Konzern geht den ungewöhnlichen Weg einer Direktplatzierung und verzichtet damit auf das übliche Preisbildungsverfahren. Die Investmentbanken bleiben draußen.
Spotify spart sich die Provisionen, die sonst bei zwischen fünf und sieben Prozent des Emissionsvolumens liegen und normalerweise an das Bankenkonsortium gehen. Es nimmt in Kauf, die Banken zu verprellen und spekuliert darauf, die Aktionäre auch so zu überzeugen.
Vergesst die Börsengänge!, ruft Gründer Daniel Ek den Investoren zu. Einiges könnte dafür sprechen, dass die neue Strategie aufgeht. Dass jeder Anleger für sich entscheiden muss, wie hoch er die Aktie bewertet, entspricht zudem der libertären Ideologie der Tech-Industrie, die sich so wenig Regeln wünscht wie möglich.
Bei Spotify stehen die Zeichen auf Wachstum. Die Plattform dominiert den Streaming-Markt und gewinnt neue Kunden hinzu. Laut der bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereichten Unterlagen besaß der Dienst im Dezember 71 Millionen zahlende Kunden, die Reichweite wuchs im Jahresvergleich um 46 Prozent.
159 Millionen Fans nutzen die kostenlose Spotify-Version. Der Umsatz der Schweden kletterte um 39 Prozent auf über fünf Milliarden. Damit konnte Spotify auch die Summe der zahlenden Kunden steigern. 2015 betrug ihr Anteil noch 31 Prozent, vergangenes Jahr stieg die Summe auf 44 Prozent.
Hinzu kommt: Die Strategie von Spotify entspricht einem sich abzeichnenden neuen Trend in der Technologiewelt. Immer weniger Start-ups riskieren den klassischen Börsengang gar nicht erst. Das mit 31 Milliarden Dollar bewertete Airbnb verschob das lang erwartete Debüt an der Wall Street auf unbestimmte Zeit.
Vielleicht werde sein Unternehmen 2019 in New York debütieren, teilte Gründer Brian Chesky mit, vielleicht aber auch später. Er habe keine Eile. Erst vergangenen März strich die Firma Investorengelder in Höhe von einer Milliarde Dollar ein.
So wie im Fall von Airbnb zeigen sich Risikokapitalgeber auch in anderen Fällen ausgesprochen freigiebig. Fahrservice Uber erhielt mehr als elf Milliarden Dollar vom japanischen Technologiekonzern Softbank. Der chinesische Rivale Didi kassierte vier Milliarden Dollar. Die Investorengruppe um Google-Mutter Alphabet erhöhte ihre Investitionssumme in Start-up Lyft auf 1,5 Milliarden.
Angesichts solcher Summen werden Börsengänge für Start-ups immer unattraktiver. Nur jene wagen den Schritt, die kaum noch anders können. Zu ihnen zählt der US-Datenspeicherdienst Dropbox aus San Francisco, der laut der am Freitag bei der SEC eingereichten Unterlagen mit einem Börsengang 500 Millionen Dollar erlösen will. Der genaue Zeitpunkt steht allerdings noch nicht fest.
Gründer Drew Houston braucht dringend Geld, um das Überleben der Firma zu sichern. Alphabet oder Amazon haben mit ihren kostenlosen Cloud-Anwendungen das klassische Erlösmodell des Start-ups zerstört. Die Verluste summieren sich auf 111,7 Millionen Dollar. Dropbox wächst immer weniger und scheiterte bislang daran, ein neues tragfähiges Zukunftsgeschäft zu entwickeln. Die meisten der 500 Millionen Kunden zahlen nicht für den Service.
Auch Spotify steht vor großen Herausforderungen. Die Firma verbuchte zuletzt operativen Verluste in Höhe von 461 Millionen Dollar. 2016 lag der Wert noch bei 425,7 Millionen Dollar. Am meisten Geld gibt das Unternehmen für Musikrechte aus.
Der Anteil der lizenzpflichtigen Songs im Netzwerk liegt bei 85 Prozent. Nach wie vor ist unklar, wie Gründer Ek die Kosten senken kann. Anders als bei Netflix, das einmalig für Film- und TV-Inhalte zahlt und sie dann immer wieder abspielen kann, fallen bei Spotify jedes Mal Gebühren an.
Doch der Abstand zur Konkurrenz ist komfortabel. Spotify schlägt selbst Apple. Das Musikangebot des wertvollsten Unternehmens der Welt nutzen gerade einmal 36 Millionen Musikfan. Bislang hat sich Spotifys Strategie vom Fokus auf Wachstum statt Rendite bei den Schweden ausgezahlt.