Tobias Groten ist der Typ Gründer, dem es schnell langweilig wird. Eigentlich verdient er sein Geld mit Kommunikationssoftware für Unternehmen. Das Geschäft läuft seit 27 Jahren, und es läuft offenbar gut, bedeutet der Chef von Tobit, einer IT-Schmiede mit 250 Beschäftigten in Ahaus an der niederländische Grenze.
Doch offenkundig reicht das dem 47-jährigen Münsterländern nicht. Erst baute er auf dem Firmengelände am Ortseingang von Ahaus den Prototypen eines vernetzten Hauses, um dort die neuesten High-Tech-Ideen auszuprobieren. Dann ließ er einen Mini-Flughafentower samt Hangar errichten, um darin einen Flugsimulator zu installieren. Noch heute erinnert daran der Hubschrauber auf dem Dach des Gebäudes, in dem Groten inzwischen eine Bar mit Beach Club für die Landjugend betreibt.
Waren solche Projekte bisher eher Spielereien, hat Groten nun viel Größeres vor, das die Welt auch außerhalb der 40.000-Einwohner-Gemeinde im Westmünsterland verändern soll. Der Mittelständler plant den Einstieg ins Geschäft mit den Apps für Smartphones und will nicht weniger als jedermann zu einer App verhelfen.
„Bisher kostet eine App den Auftraggeber einen fünfstelligen Betrag“, sagt Groten. Denn jede App ist ein besonderes Computerprogramm, das aufwendig von Agenturen oder Softwarehäusern programmiert werden muss. Das können sich viele kleine Unternehmen oder Gewerbetreibende nicht leisten, weswegen sich viele mit einen Eintrag auf Facebook oder einem anderen sozialen Netzwerk zufrieden geben, um Kontakt zu Kunden und Geschäftspartnern zu halten.
So wichtig wie eine Homepage
Um dies zu ändern, hat Groten eine Software namens Chayns entwickelt, die allen Finanzschwachen in der Social-Media-Welt zunächst kostenlos zur eigenen App verhelfen soll. „In dem jetzt beginnenden mobilen Zeitalter ist eine App irgendwann genauso wichtig wie heute eine Unternehmens-Homepage“, wirbt Groten für seine Idee.
Die neue Software des Münsterländers macht die individuelle App-Programmierung überflüssig. Stattdessen verwandelt Chayns mit wenigen Mausklicks eine Facebook-Fanseite in eine Smartphone-App – und zwar für alle vier großen Mobilplattformen Apple, Android, Windows Phone sowie Blackberry gleichzeitig. Dadurch erscheint jedes Posting auf der Facebook-Fanseite eines Unternehmens, Gewerbetreibenden oder Selbstständigen, ob Fotos, Videos oder Links zu Webseiten, automatisch auch auf der App.
Dank Chayns kann fortan jedermann mit einer Fanseite, vom Friseur über den Restaurantbesitzer bis zum Arzt und Sportverein, seine eine eigene App bauen. Er muss dazu nur Chayns über die Tobit-Homepage installieren, ein Logo sowie einen möglichst kurzen Namen für die App auswählen – alles weitere inklusive der Anmeldung der Apps in den vier Stores übernimmt die Software.
Der Vorteil für die neuen App-Besitzer liegt im ersten Schritt darin, dass sie auf diese Weise einen direkten Draht zu ihren Kunden, Patienten, Mandanten oder Mitgliedern aufbauen können, ohne dass diese dazu über Facebook oder ein anderes Netzwerk gehen müssen. Die App auf dem Display erspart den Nutzern, also den Fans, unnötiges Suchen, Antippen und Scrollen - nach dem Motto: Wisch und schon da.
Superlativen
„Der Ansatz von Tobit, mittels Facebook eine App zu bauen, klingt vielversprechend“, sagt Nicole Dufft, Senior-Analystin mit Fokus auf das Mobilgeschäft beim Marktbeobachter PAC in Berlin.
Geld verdienen will Groten weniger mit Chayns, sondern viel mehr mit Zusatzfunktionen in der App, die Tobit in einem eigenen Online-Store anbietet. So kann beispielsweise ein Restaurantbetreiber seine App mit wenigen Klicks um ein mobiles Tisch-Reservierungs-Modul erweitern oder ein Kino den Ticket-Verkauf per App anbieten. Für solche Erweiterungen verlangt Tobit bis zu 8,50 Euro im Monat.
Groten gibt sich jedenfalls kämpferisch. „Unser Ziel ist, dass innerhalb von 24 Monaten 100.000 Firmen und Vereine mit Hilfe von Chayn eine eigene App auf den Markt bringen“, sagt Groten. Geht seine Rechnung auf, würde Tobit einen Rekord aufstellen und binnen zweier Jahre indirekt zum größten App-Hersteller der Welt aufsteigen.
Groten schweigt zu seinen Geschäftszahlen. Den Hauptumsatz macht Tobit mit mit David, einem Softwarepaket für die integrierte Telefon-, E-Mail-, Fax- und SMS-Kommunikation in Unternehmens. Laut Bundesanzeiger setzte Tobit 2011 knapp 16 Millionen Euro um und erzielte einen Nettogewinn von fast zwei Millionen Euro.
Der Endvierziger scheint zu spüren, dass Chayns sein größter Coup werden könnte. Sein Büro im Tobit-Hauptgebäude direkt gegenüber dem firmeneigenen Beach Club ist seine Steuerzentrale. Die äußere Glas- und Aluminiumverkleidung gibt dem Unterfangen die passende futuristische Aussehen Fassade. An der Wand in Grotens Büro hängt ein riesiger Flachbildmonitor mit 2,5 Meter Diagonale, der eine Deutschland-Karte zeigt, auf der die neuesten Zahlen für seine Apps auflaufen.
Und es sind Superlativen. In der vergangenen Woche, nur gut acht Wochen nach der Freigabe der Software Anfang Oktober, hat Tobit die Marke von 10.000 Apps überschritten, die mit Hilfe von Chayns erzeugt und in den App-Stores der Konzerne Apple, Google (Android), Microsoft (Windows Phone) sowie Blackberry angemeldet wurden. In der Spitze kommen inzwischen 250 App-Anmeldungen am Tag hinzu.
Groten ist zuversichtlich, mit seinen Apps in gigantische Größenordnungen vorstoßen zu können. In Jeans und Sneaker sitzt er vor seinem Flachbildschirm und erläutert das Potenzial für seine Erfindung. Allein in Deutschland gibt es aktuell rund 750.000 Facebook-Fanseiten. Die großen Marken darunter wie VW oder Adidas, die bereits eine eigene App haben, seien jedoch in der Minderheit. Der ganz große Rest stehe jedoch ohne da.
Digitale Werbemittel
Den großen Run auf Chayns verspricht sich Groten von einer besonderen Fähigkeit seiner Umwandlungssoftware. Bisherige, individuell programmierte Smartphone-Anwendungen leiden darunter, dass sie bei jeder Änderung des mobilen Betriebssystems angepasst werden müssen. Für die Betreiber der Apps ist das ein enormer Aufwand, vor allem wenn sie eine App für alle vier Plattformen Apple, Android, Windows Phone und Blackberry im Programm haben. Diese Anpassungen entfielen bei Tobit, verspricht Groten. Chayns sei eine Art Standardsoftware: „Notwenige Änderungen programmieren wir, somit sind alle Apps automatisch auf dem neuesten Stand.“
Einzige Voraussetzung, die der Betreiber einer Facebook-Fanseite zu erfüllen hat, um mit Hilfe von Chayns eine eigene App generieren zu können: Er muss mindestens 100 „gefällt mir“-Buttons auf der Facebook-Seite sowie jeweils drei veröffentlichte Bilder und Statusmeldungen vorweisen können. Mit solchen Vorgaben will Groten deine Inflationierung der Apps verhindern, „damit nicht jeder eine Spaß-App baut“.
Werbemittel für Heineken
Groten ist nicht darauf angewiesen, schnell viel Geld mit seiner App-Maschine zu verdienen. Als Hauptanteilseigner – er hält laut Handelsregisterauszug knapp 83 Prozent der Firmenanteile – hat er keine Aktionäre im Nacken, die ständig nach neuen Erlösquellen und mehr Einnahmen verlangen. „Es begeistert mich, Dinge zu machen, die noch nicht da waren“, sagt Groten entspannt.
So kann sich der Tobit-Chef leisten, statt auf Einnahmen zunächst massiv auf Reichweite zu setzen, also auf eine möglichst hohe Zahl verschiedener Apps, die per Chayns erzeugt werden. Um zum Erfolg zu kommen, schaltet Groten gezielt auch namhafte Unternehmen wie den niederländischen Bierbrauer Heineken oder den französischen ein, um Chayns unter die Leute zu bringen.
Das funktioniert so: Groten verkaufte Heineken unlängst für einen fünfstelligen Betrag Lizenzen einer Version von Chains, in die eine Art trojanisches Pferd einprogrammiert hat. Heineken verschenkt nun Lizenzen dieser Chayns-Version schick verpackt an Clubs und DJs. Basteln die daraus ihre App, erscheint in dieser das Heineken-Logo. Ebenso kann Heineken auf diesen Apps zum Beispiel Werbebotschaften oder Gewinnspiele schalten. Wenn in kurzer Zeit 1.500 Clubs und DJs eine eigene App bauen und jede dieser Apps 50 Smartphone-Nutzer findet, erreicht Heineken auf einen Schlag 75.000 Leute. „Diese Apps sind für Heinken also eine Art digitales Werbemittel“, sagt Groten.
Ähnliche Partnerschaften ist Tobit mit L’Oreal und Schalke 04 eingegangen. Anders als Heineken zahlt L’Oreal pro installierter App, nach Angaben von Groten einen hohen zweistelligen Betrag.
Auch die Internationalisierung hat der Tobit-Chef bereits im Blick. In den nächsten Wochen erscheint eine englische und eine niederländische Version von Chayns. „Damit“, sagt Groten, „ fahren wir das Tempo weiter hoch.“