Twitter Ist Musk charakterlich geeignet, Twitter zu führen? Die Frage erübrigt sich

Am Anfang schien Elon Musks Übernahmeattacke bei Twitter ein nahezu aussichtsloses Unterfangen Quelle: imago images

Er krempelte die Autobranche um, wird Menschen vielleicht zum Mars befördern. Aber ist ein so ungestümer und nachtragender Mensch geeignet, ein global so einflussreiches Unternehmen wie Twitter zu verantworten?

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Das High Noon in San Francisco ist entschieden. Twitters Aufsichtsrat hatte zum Schluss keine Wahl, außer sich Elon Musk zu ergeben. Der wollte das Duell nicht beenden, was das Unternehmen schon in den vergangenen Wochen ins Trudeln versetzt hatte. Dann kam noch das Abrutschen der Tech-Werte hinzu. Der Kaufpreis von knapp 44 Milliarden Dollar ist zu wenig für eins der bekanntesten Medienunternehmen der Welt. Aber es bot niemand mit. Trotz der einmaligen Chance, eine Weltmarke übernehmen zu können.

Was nicht verwundert. Jeder, der sich in einer polarisierten Welt wie unserer an die Spitze eines weithin sichtbaren und einflussreichen Unternehmens setzt oder ein öffentliches Amt übernimmt, macht sich persönlich zur Zielscheibe.

Schließlich fühlt sich in der Aufmerksamkeitsgesellschaft nahezu jeder angesprochen. Oder gegängelt, sei es beim Streichen von Fördergeldern oder dem Zugang zu sozialen Medien.

Meta-Gründer Mark Zuckerberg bekommt schon seit Jahren im Wochentakt Morddrohungen und ist zum Prügelknaben der Politik avanciert. Musk fürchtet nicht, an diesem Schicksal teilzuhaben. Zumal er als Chef des Elektroautopioniers Tesla das Wechselbad von Hass und Fanatismus gewohnt ist. Dafür reizt ihn die Aufgabe zu sehr, sein Freizeit-Steckenpferd Twitter auch professionell zu reiten und die Zügel zu dirigieren. Und, soviel Eigennutz muss sein, auch um sein Sprachrohr nicht zu verlieren. Dass dies keine graue Theorie ist, zeigt der Twitter und Facebook-Bann von Donald Trump. Tesla, so prahlt Musk gern, ist zum wertvollsten Autokonzern der Welt aufgestiegen, ohne in Werbung investieren und – zumindest seit drei Jahren – keine PR-Abteilung unterhalten zu müssen. Die – zugegeben unterhaltsamen – Tweets des Herrn reichen aus.

Ist ein ungestümer und nachtragender Mensch wie Musk charakterlich geeignet, um ein global so einflussreiches Unternehmen wie Twitter zu führen? Jemand, der Journalisten aussperrt, die ihm nicht passen oder kritische Analysten beleidigt?

Die Frage erübrigt sich. Anders als beim Erlangen der US-Staatsbürgerschaft gibt es keinen Leumund-Nachweis beim Kauf eines Unternehmens. Sofern nicht die nationale Sicherheit gefährdet ist. Ob ein soziales Netzwerk vom Rang Twitters so einen Status haben sollte, ist eine andere Debatte.

Auch wenn es einigen nicht gefallen mag, Musk wird der neue Besitzer von Twitter, sofern dessen Aktionäre es abnicken. Was sie trotz des moderaten Kaufpreises wahrscheinlich tun werden. Twitter ist unprofitabel, verlor im vergangenen Jahr 221 Millionen Dollar. Facebook scheffelt hingegen selbst unter Druck Milliarden und ist profitabler als Apple.

Musk wird aktiv involviert sein. Schließlich hat er bereits angekündigt, das soziale Netzwerk attraktiver zu machen und dessen Geschäftsmodell zu verändern. Um das ohne protestierende Analysten oder Aktionäre tun zu können, wird er Twitter von der Börse nehmen.

Haben Milliardäre nicht schon zu viel Einfluss? Noch dazu, wo es in den USA gerade Pläne gibt, die Macht von Tech-Konzernen zu begrenzen? Ja, aber es ist eben nicht nur Musk. Die meisten Medien sind in privater Hand. Jeff Bezos hat sich bei der Washington Post eingekauft. Die Sulzberger Familie steht hinter der New York Times. Rupert Murdoch hinter Fox News und Wall Street Journal. Der frühere New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg hinter seinem gleichnamigen Wirtschaftsnachrichten-Imperium. Weil Medien nicht nur ein Wirtschaftsbetrieb sind, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung haben oder haben sollten, gilt das ungeschriebene Gesetz, dass die Eigentümer sich nicht in redaktionelle Entscheidungen einmischen. Schon weil das die Glaubwürdigkeit unterminiert und damit wirtschaftlich schadet. Sie können allerdings die Tendenz des Mediums vorgeben.

Dieses Recht will Musk wahrnehmen. Er verspricht, die Meinungsfreiheit hochzuhalten, will statt langfristigen Sperren mehr mit Auszeiten bei kontroversen Meinungen agieren. Es gibt viele Gründe, warum das wahrscheinlich nicht funktioniert. Vor allem bei professionellen Trollen, die von feindlichen Mächten bezahlt werden, siehe Facebook. Aber es hat auch vor einem Jahrzehnt niemand geglaubt, dass Elektroautos sinnvoll sind oder ein Privatunternehmer Menschen ins All befördert. Vielleicht macht Musk es ja tatsächlich besser als Zuckerberg. Die Chance sollte man ihm lassen. Andere Milliardäre wie der ehemalige Microsoft-Chef Steve Ballmer kaufen sich Basketball-Teams und erfreuen sich daran. Musk kauft sich eine Menge Ärger und mögliche Klagen. Schon allein, weil es bei ihm als reichstem Mann der Welt etwas zu holen gibt.

Der erste Test wird sein, ob Musk den Twitter-Bann von Donald Trump aufhebt, dessen soziales Netzwerk Truth Social nicht vom Fleck kommt. Es spricht einiges dafür. „Ich hoffe, dass selbst meine schlimmsten Kritiker auf Twitter bleiben, weil genau das Meinungsfreiheit bedeutet“, twitterte Musk kurz vor der Bekanntgabe der Übernahme. „Oh, endlich kann ich mit dem Twittern richtig anfangen“, kündigte der Wagnisfinanzierer Keith Rabois an. Der ehemalige Studienfreund von Peter Thiel ist im Silicon Valley berüchtigt, weil er in den achtziger Jahren einen Stanford Professor homophob beleidigte und dies unter Meinungsfreiheit verbuchte.

Ja, es wird nicht einfach. Aber es sollte zu denken geben, dass Wladimir Putin und Xi Jinping Twitter blockieren. Demokratie funktioniert nicht ohne Meinungsfreiheit, so unbequem diese manchmal sein mag.

Falls Twitter jedoch zum Schlaraffenland von Verschwörungstheoretikern verkommt, müssen Politiker ihrer Pflicht als Gesetzgeber nachkommen. In den USA wird bereits diskutiert, den Paragrafen 230 des Telekommunikationsgesetzes zu streichen. Er bestimmt, dass die Betreiber von Online-Plattformen nicht für die Inhalte haften müssen, die dort veröffentlicht werden. Im Gegensatz zu professionellen Medien sind sie so gegen Schadenersatzklagen gefeit. Dieses Privileg könnte fallen. Barack Obama, der ehemalige Präsident der USA, will zwar nicht so weit gehen. Aber er setzt sich für mehr Transparenz ein, beispielsweise warum Konten gesperrt werden. Er schlägt Schiedsleute vor, ohne dass Unternehmen zwangsläufig ihre Geschäftsgeheimnisse offenlegen müssen. Es hat nichts mit Diktatur zu tun, wenn Hasser oder Lügner, die gegen Gesetze verstoßen, dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Und schließlich können die Politiker bei zu viel Machtkonzentration zurück in die Zeit vor Ronald Reagan schauen. Damals gab es Auflagen, wieviel und welche Art von Medien Business-Tycoons besitzen durften.

Wer nun Angst hat, dass Musk sich demnächst als US-Präsident aufschwingt, darf beruhigt sein. Medienunternehmer sind nicht gleich Medienpersönlichkeiten, wie der gescheiterte Versuch von Bloomberg um die US-Präsidentschaft zeigt. Auch Zuckerberg zeigt dort keine Ambitionen mehr. Bei Musk kommt noch eine doppelte Sicherung hinzu, die schon bei Arnold Schwarzenegger höchste Ambitionen vereitelte. Er ist außerhalb der USA geboren, was ihm den Weg ins Weiße Haus versperrt.

Die wahre Tragik bei Twitter könnte jedoch darin liegen, dass Musk sich verzettelt, den Fokus bei Tesla und vielleicht sogar die Kontrolle verliert, weil er dessen Aktien für seinen Twitter-Kauf verpfänden muss.

Oder aber Space X leidet. Der Weltraum ist das nächste Internet, voller Chancen für Wertschöpfung und Fortschritt. Es wäre fatal, wenn Musk sich in Tweets verliert, während die Chinesen eine Station auf dem Mond etablieren.

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