Twitter-Übernahme Elon Musk, der selbsternannte Komiker

Elon Musk nennt sich nun „Chief Twit“ auf Twitter. Quelle: imago images

Multi-Unternehmer Musk verspricht, Twitter zu einem „warmen und einladenden Ort“ zu machen, der nicht nur Nutzern, sondern auch Anzeigenkunden gefällt. Drei Aufgaben stehen nun an.

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An Elon Musk ist ein Komiker verloren gegangen. Glaubt er zumindest. Seinen Einzug ins Twitter-Hauptquartier feierte der Multiunternehmer mit einem Wortspiel. Grinsend schleppte er ein Spülbecken mit sich, ließ sich dabei filmen und betitelte den Gag auf Twitter mit: „Let that sink in.“ Spülbecken heißt auf Englisch „sink“. Als Verb bedeutet es, etwas auf sich wirken zu lassen, sich dessen bewusst zu werden: Dass Musk jetzt nach halbjährigen Gerangel endlich in den heiligen Hallen von Twitter ist – nicht als Gast, sondern als Besitzer und Herrscher über den sozialen Kurznachrichtendienst. Mit 44 Milliarden Dollar ist es eine große Investition. Mit Sinken lässt sich auch die aktuelle Geschäftssituation beschreiben. Derzeit sinken die Werbeumsätze nicht mehr nur bei klassischen Medien, sondern auch online.

Im zweiten Quartal verlor Twitter 270 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 1,1 Milliarden Dollar. Das ist ein bisschen besser als Wettbewerber Snap. Und kein Vergleich zu TikTok, das Milliarden von Dollar verbrennt. Aber TikTok ist der neue Liebling der sozialen Medien, die derzeit angesagteste Plattform, von der großes Wachstum erwartet wird und irgendwann milliardenschwere Profite wie bei Facebook. Da sieht man das nach. Twitter ist eher in den Medien, vor allem wegen Musk.

Sein neuer Eigentümer will den immerhin 16 Jahre alten Dienst besser aufstellen und neu erfinden. In seinem Twitter-Profil bezeichnet er sich schon mal als „Chief Twit“. Ob Musk auch als CEO antritt, ist noch offen. Aber die Verlockung ist sehr groß. Neben Tesla und SpaceX wäre Musk dann Vorstandschef von gleich drei Milliarden-Konzernen. Das hat bislang noch niemand auf die Reihe gebracht. Zudem wird erwartet, dass Musk selbst Hand anlegt, als Chefmotivator vom Dienst. So führt er auch seine beiden anderen Unternehmen, mit Furcht als Waffe. Seine Investoren erwarten Präsenz.



Die Zeit drängt. Twitter ist durch die Grabenkämpfe schwer beschädigt, wichtige Mitarbeiter haben das Unternehmen verlassen. Twitter-Chef Parag Agrawal soll schon seit Wochen nicht mehr im Hauptquartier in San Francisco gesichtet worden sein. Am Donnerstag soll er und weitere hochrangige Mitarbeiter laut Wall Street Journal von Musk gefeuert worden sein.

Über allem hängen die von Musk selbst aufgeworfene Fragen, wie viele der Twitter-Nutzer überhaupt reale Personen sind und wie viele gefälschte Profile sind, sowie ob die Werbekunden jahrelang überbezahlt haben und eigentlich Geld zurückerhalten müssten.

Jeder, wie er kann: Sieben Führungsstile

Erstens muss Musk nun dafür sorgen, dass seine Anzeigenkunden nicht im großen Stil von der Stange gehen. Damit der Service läuft und umgebaut werden kann, muss er wichtige Entwickler im Haus behalten und neue Talente anlocken. An Twitters Café-Bar zeigte er sich am Mittwoch schon mal munter plaudernd mit seinen Mitarbeitern, an seiner Seite seinen Begleiter Walter Isaacson, dem Biographen von Steve Jobs. Das Lächeln im Gesicht der Teilnehmer deutete nicht auf Massenentlassungen hin, zumindest für jene, die ins Büro kommen, wo Musk seine Leute haben will.

Schließlich muss er die Geschäftsgrundlage von Twitter – seine angeblich 450 Millionen monatlichen Nutzer – dazu bewegen, weiterhin treu zu bleiben. Vor allem die ein bis zwei Prozent, die mit ihren Beiträgen Twitter am Laufen halten.

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von Nina Jerzy

In seinem ersten Tweet als offizieller Twitter-Eigentümer wandte sich Musk deshalb nicht von ungefähr an die „lieben Twitter-Anzeigenkunden“. Er will den Service so umbauen, dass statt Polarisierung ein gesunder Dialog entsteht, damit nicht noch mehr Hass die Gesellschaft spaltet. Aber das gleichzeitig so, dass „nicht alles einfach gesagt werden kann, ohne Konsequenzen“. Um Twitter zu „einer warmen und einladenden Plattform zu machen“, müsse auch die Werbung relevant sein, als Inhalt empfunden werden. Sein Ziel sei, Twitter zur „renommiertesten Werbeplattform der Welt“ zu machen.

Große, wohlklingende Versprechen. Ausgerechnet von jemanden, der gern mal seine Mitmenschen über Twitter als Idioten oder Schlimmeres beschimpfte. Selbst wenn Musk seine verbalen Ausbrüche in den Griff kriegen könnte und mit gutem Vorbild vorangeht: Das Umsetzen wird schwierig. Noch nicht mal Mark Zuckerberg, geschweige denn den Gründern von Twitter kann man unterstellen, dass sie aufgebrochen sind, um Hass, Hetze und Desinformation in sozialen Medien zu etablieren. Aber sie haben trotz Milliarden-Investitionen auch kein Rezept dagegen gefunden, abseits von Zensur durch Maschinen und Menschen. Was wiederum für neuen Ärger sorgt und ebenfalls die Demokratie untergräbt.

Polarisierende Inhalte ziehen Menschen an, führen zu weiteren Klicks. Solange die Aktivität der Nutzer ein wichtiger Gradmesser für die Werbebranche ist, wird sich das nicht ändern. Auf der anderen Seite bieten soziale Netzwerke Vorteile, geben vielen Stimmen ein Sprachrohr, helfen beim Entdecken von interessanten Inhalten, transportieren Neuigkeiten. Die meisten Menschen sind sehr hilfsbereit, geben gern ihre Erfahrungen weiter.

Kann Musk eine Formel finden, wo diese Vorzüge in den Vordergrund treten und wo konstruktive Beiträge sich lohnen, nicht nur in Form von Aufmerksamkeit und Respekt? Wo die Nutzer auch Teilhaber sind, wie so oft für die dritte Welle des Internets versprochen wird? Zudem will er wohl den Nutzen von Twitter erhöhen, es zu einer Universal App ähnlich Wechat umbauen.

44 Milliarden Dollar lässt sich Elon Musk die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter kosten, einschließlich Kosten für die Abwicklung musste er 46,5 Milliarden Dollar nachweisen. Doch woher nimmt er das Geld?

Ein Plan von Musk ist angeblich, dass noch mehr Nutzer sich identifizieren sollen, also nicht mehr hinter falschen Identitäten verstecken können. In Demokratien mag das ein gangbarer Weg sein, aber was ist mit den anderen Ländern? Kann Twitter dort eine Art Akkreditierung vornehmen, die auch Pseudonyme möglich macht? Und nehmen Klarnamen wirklich Beleidigungen und Drohungen aus der Debatte? Bislang ist es noch niemanden gelungen, ein soziales Netzwerk im laufenden Betrieb umzubauen.

All das geschieht vor dem Hintergrund, dass die Gesellschaft sich immer mehr spaltet. In den USA finden übernächste Woche die Zwischenwahlen statt, deren Klima jetzt schon vergiftet wird. Das wird sich unabhängig vom Wahlausgang nach dem 8. November nicht ändern. Dann beginnt schon wieder das Gerangel um das Weiße Haus.



Musk wird sich dem nicht entziehen können. Schon seine Entscheidung, ob er Donald Trump wieder auf Twitter zulässt und zu welchen Bedingungen, wird die Gemüter spalten.

Nach der Wahl von Trump zum Präsidenten kündigten etliche seiner Gegner öffentlich an, auswandern zu wollen. Ähnlich klang es bei Twitter in den vergangenen Wochen, wo Kritiker von Musk drohten, ihre Konten zu kündigen, falls er den Dienst übernimmt. Nun ist letzteres viel leichter, als nach Kanada zu ziehen. Aber es ist auch töricht, wenn man sich so freiwillig seiner Stimme beraubt.

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Musk setzt sich mit Twitter mächtig in die Nesseln. Nicht aus Profitstreben wie er beharrt, sondern weil er die „Menschheit liebt“. Wie lange dieser Honeymoon anhält, muss sich zeigen. Selbst Musk ist sich bewusst, dass ein Scheitern „eine reale Möglichkeit ist.“ Aber ganz nach Silicon Valley Manier versucht er es trotzdem. Noch nicht mal, wie sonst üblich, nur mit dem Geld anderer Leute, sondern auch mit seinem eigenen Vermögen. Lassen sich soziale Medien zu einem heimeligen Ort umbauen? Und sind sie dann noch interessant? Musk wird sich dran versuchen. An die Wand fahren wird er Twitter nicht. Dafür war der Kauf zu kostspielig.

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