Twitter verliert Nutzer Jack Dorsey bläst zum letzten Gefecht

Twitter verliert nicht nur weiter an Börsenwert, sondern auch an Bedeutung: Kann Mitgründer Jack Dorsey kraft seiner Ausstrahlung das weitere Abrutschen stoppen?

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Twitter kämpft mit einem Rückgang der Nutzerzahlen Quelle: REUTERS

Die Telefonkonferenzen zu den Quartalsberichten großer US-Unternehmen laufen normalerweise nach einem vorgegebenen Muster ab. Zuerst wird gewarnt, dass die Diskussion Zukunftsprognosen enthalten könne, die nicht unbedingt eintreffen müssen. Dann verliest das Management einen vorbereiteten Text zum Geschäftsverlauf, der selbst schlechten Zahlen noch einen positiven Anstrich gibt.

Im Anschluss dürfen Analysten Fragen stellen, die mitunter bis in die Niederungen der Buchhaltung gehen. Oft präsentiert der Finanzchef sogar allein. Bei Amazons Quartalsberichten etwa nimmt Unternehmenschef Jeff Bezos, ehemals Wall Street Analyst, seit Jahren nicht teil.

Bei Twitter war am Mittwochabend alles anders. Nicht nur hatte Twitter-Chef Jack Dorsey sein Topleute aufgeboten, neben ihm Finanzchef Anthony Noto, Verwaltungsratsvorsitzender Omid Kordestani und Operativchef Adam Bain. Doch statt die Zahlen des vierten Quartals zu präsentieren und nach allen Regeln der Kunst zu beschönigen, verwies Dorsey auf seinen Brief an die Aktionäre auf der Webseite und stieg sofort in die Diskussion ein. An der nicht nur Analysten, sondern auch Nutzer von Twitter teilnehmen durften. Sein Motto: Lasst uns in die Zukunft schauen.

Twitter verliert Nutzer

Es wurde auch schnell klar, warum. Die Twitter-Zahlen sind durchwachsen. Zwar legt der Umsatz weiter zu. Doch nicht mehr die Nutzerzahlen des Kurznachrichtendienst. Noch schlimmer: Er verliert Nutzer. Das legt nahe, dass Twitter von seiner Substanz zehrt.

Fürs vierte Quartal meldete Twitter 305 Millionen aktive Nutzer, zwei Millionen weniger als im Quartal zuvor. Eigentlich hatten Analysten mit einem Zuwachs von zwei Millionen Nutzern gerechnet. Zwar kommen weitere 15 Millionen dazu, die Twitters Service über SMS konsumieren und dabei keine Werbung sehen.

Doch selbst Stagnation täuscht nicht darüber hinweg: Twitter verliert an Relevanz. Was schlecht für sein Geschäftsmodell ist, dem Verkaufen von Werbung. Dem Dienst ergeht es so wie seinem Konkurrenten Yahoo, der auch seit Jahren an Bedeutung verliert und dessen Umsatzwachstum in einem an sich boomenden Geschäft stagniert.

Zwar legt Twitter beim Umsatz zu, im Vergleich zum Vorjahresquartal sogar um sagenhafte 90 Prozent. Doch mit einem großen Unterschied: Während Yahoo trotz seiner prekären Situation Gewinne schreibt, blutet Twitter weiter Verluste – immerhin zehn Jahre nach Gründung.

Die Stimmung der Twitter-Anleger hat sich gedreht

Im vergangenen Jahr waren es 521 Millionen Dollar Minus, wobei das vierte Quartal 90 Millionen Dollar beitrug. Immerhin wurde weniger Geld verbrannt als 2014 – damals waren es sogar 577 Millionen Dollar Miese. Twitter hat allerdings im Gegensatz zu Yahoo keine Schatztruhe wie dessen milliardenschwere Beteiligung am chinesischen Online-Konzern Alibaba.

Noch vor zwei Jahren wären der Umsatzzuwachs von Twitter gefeiert worden und die Nutzerzahlen als Ausrutscher erklärt. Doch die Stimmung hat sich gedreht.

An der Wall Street, die laut Goldman Sachs Operativchef Gary Cohn vom Silicon Valley inzwischen nachhaltige Geschäftsmodelle und Profit erwartet, sind Twitters rote Zahlen nun ein rotes Tuch. Hinzu kommt, dass – bis auf Snapchat – alle um Online-Werbung buhlenden, Twitter-Konkurrenten Profite schreiben, allen voran der wichtigste Herausforderer Facebook.

Dorsey muss Vertrauen wiederherstellen

Die Twitter-Aktie ist deshalb auf einen historischen Tiefstand gestürzt. Twitters Börsenwert liegt nur noch bei zehn Milliarden Dollar. Im Dezember 2013 waren es in der Spitze 46 Milliarden Dollar. Damals verlor Twitter zwar auch jede Menge Geld, doch galt als großer Hoffnungsträger.

An Dorsey liegt es nun, den Glauben an eine glänzende Zukunft von Twitter wiederherzustellen. Nicht nur bei dessen Nutzern, auch bei seinen Anzeigenkunden.

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Er will das vor allem mittels seiner Autorität erreichen. Denn Dorsey ist immerhin einer der Gründer von Twitter. Und hat mit dem Online-Zahlungsdienst Square ein weiteres bedeutendes Silicon Valley Unternehmen aus der Taufe gehoben, das er parallel führt. Der 39-Jährige will sein Image als Startup-Wunderkind nun hauptsächlich dafür einsetzen, „um Talente an Bord zu holen.“ Besonders in den Bereichen Produkt, Design und Marketing. Er will Twitter wieder auf den rechten Weg führen, „was wir sind und wo wir hinwollen.“

Der Fokus ist zumindest für Dorsey glasklar. „Twitter ist das, was gerade geschieht, live Ereignisse und die Unterhaltung darüber“. Das ist „die Kraft von Twitter“.

Was Jack Dorsey mit Twitter vorhat

Das alles ist nicht neu. Aber in den vergangenen Jahren untergegangen, weshalb Dorsey jüngst vier Spitzenmanager feuerte, darunter die Kommunikationschefin. Fünf große Ziele hat er ausgegeben. Der Dienst soll intuitiver zu bedienen sein, der Videobereich wird massiv ausgebaut, verbesserte Werkzeuge sollen den Gebrauch erleichtern, alles soll sicherer werden und die Entwicklergemeinde stärker umworben werden.

Dorsey weiß, dass das nicht einfach wird. Die Entwicklergemeinde beispielsweise wird seit Jahren gezielt vor den Kopf gestoßen. Auch weil Twitter meinte, dass man die Benutzerführung lieber selber festlegen wolle. Eingefleischte Nutzer wiederum lieben die Macken von Twitter und seinen Kult um den Hashtag. Dass die Tweets künftig nicht mehr alle chronologisch angezeigt werden, sondern nach via Nutzerinteressen vermeintlicher Wichtigkeit sortiert, löste ein kleines Erdbeben unter den Twitter-Eliten aus.

Investoren wetten auf Alphabets Übernahme

Hinzu kommt, dass Facebook-Chef Mark Zuckerberg massiv den zugekauften Kurznachrichtendienst Whatsapp, den Fotoservice Instagram und seinen eigenen Messenger ausbaut und bei Twitter Talente abwirbt. Was umso leichter ist, da im Silicon Valley wieder die Schreckensszenarien die Runde machten, wo Mitarbeiter sich für ihre Optionen jahrelang abrackerten, um dann beim Verkauf ihres Unternehmens leer oder gar mit Verlusten auszugehen, wie jüngst bei der von Blackberry erworbenen Softwareschmiede Good Technology.

Dorsey und Kordestani – der erste Verkaufschef von Google – taten am Mittwochabend ihr Bestes, um Optimismus zu verbreiten, warben um Vertrauen und Zuversicht. „Erfolg kommt vom langfristigen Fokus, der wiederum langfristige Werte bringe“, appellierte Kordestani an die enttäuschten Twitter-Investoren. Noch ist Twitter zehn Milliarden Dollar wert. Doch jeder weiß, dass dies nur daran liegt, weil Investoren darauf wetten, dass Larry Pages Alphabet Holding sich den Kurznachrichtendienst doch noch einverleibt.

Facebook kann es nicht mehr tun, ohne Kartellbehörden auf den Plan zu rufen. Und bei Microsoft hat sich das Interesse am Mediengeschäft weiter abgekühlt. Die Spekulation um eine Übernahme von Twitter ähnelt der Hoffnung der Investoren um Yahoos Goldmine Alibaba. Sie trug jahrelang die Yahoo-Aktie. Doch das half dem Unternehmen im Kerngeschäft auch nicht weiter.

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