Verkauf der Chipsparte Toshiba beginnt Endspurt im Überlebensmarathon

Japans Traditionskonzern hat ein Delisting von der Börse vorerst abgewendet. Nun kann sich das Management auf die Rettung konzentrieren – den Verkauf der Chipsparte. Doch Chaos herrscht, während die Zeit davon läuft.

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Konzernchef Satoshi Tsunakawa läuft die Zeit davon. Quelle: Reuters

Tokio Toshiba hat in seinem Überlebensmarathon eine wichtige Hürde gemeistert. In einem schwierigen Kompromiss genehmigte Toshibas Buchprüfer PricewaterhouseCoopers Aarata nach mehrmaliger Verzögerung am letztmöglichen Abgabetag, dem 10. August, endlich Toshibas Jahresbilanz. Die Auditoren taten dies zwar unter Vorbehalt. Denn bis zuletzt konnten sie sich nicht mit Toshiba darüber einigen, ob die Japaner Milliardenverluste ihrer Atomsparte nicht früher hätten buchen müssen.

Für den Konzern und seine Anleger war dies eine sehr gute Nachricht. Denn nun können sie sich Hoffnung machen, dass Toshiba nicht von der Börse fliegt und sich damit ungestört auf seine schwerste Wegstrecke konzentrieren kann: den heftig umkämpften Verkauf seiner lukrativen Halbleitersparte. Denn der 141 Jahre alte Traditionskonzern hat einen Verkaufserlös von rund 16 Milliarden Euro fest eingeplant, um sich aus seiner tiefsten Krise zu befreien.

Mit dem frischen Kapital will Toshiba vor allem die finanziellen Löcher stopfen, die die Pleite seiner US-Atomkraftwerkstochter Westinghouse im März in die Bilanz geschlagen hat. Laut der nun anerkannten Bilanz macht Toshiba zwar im operativen Geschäft im Ende März abgelaufenen Bilanzjahr 2016 einen Gewinn von 270 Milliarden Yen (etwas mehr als zwei Milliarden Euro). Aber unter dem Strich drückte der finanzielle Fallout von der Westinghouse-Pleite die Bilanz 965 Milliarden Yen in die Verlustzone.

Noch schlimmer ist es das Eigenkapital bestellt, das satte 552 Milliarden Yen im Minus war. Schafft Toshiba es nicht, diese Kapitallücke bis März 2018 zu schließen, würde Toshibas Aktien im kommenden Jahr vom Handel ausgesetzt. Denn nach den Regeln der Börse dürfen Firmen nicht nur ein Jahr mit negativem Eigenkapital abschließen. Und ein Verlust der Notierung würde die Sanierung extrem erschweren.

Doch Toshiba hat dabei ein Problem: Dem Konzern läuft die Zeit davon. Selbst Konzernchef Satoshi Tsunakawa ist sich bewusst, dass der Verkauf innerhalb des engen Zeitplans „nicht einfach“ werden würde. Denn jeder Deal müsste in den kommenden achteinhalb Monaten Kartellbehörden in mehreren Ländern abgesegnet werden. Dies an sich wäre schon knapp. Doch zu allem Überfluss kommen die Verkaufsverhandlungen seit Monaten nicht voran, weil sich Toshiba in einem Dickicht widerstreitenden Interessen verfangen hat.

Terry Gou, Chef vom potentesten Bieter Hon Hai (Foxconn) aus Taiwan hat sich bitter beklagt, dass Japans Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie sein Gebot hintertreibe. Und er liegt damit nicht einmal falsch. Japans Regierung sähe es nach Aussage von Beamten gerne, dass japanisches Kapital die Mehrheit an der inzwischen ausgegründeten Chipsparte übernimmt, um Arbeitsplätze und Technologie in Japan zu halten.

Toshiba hat sich daher Ende Juni für ein eilig zusammengezimmertes Konsortium aus Japans halbstaatlichem Rettungsfonds INCJ, der japanischen Entwicklungsbank, dem amerikanischen Investmentfonds Bain Capital und dem südkoreanischen Chiphersteller SK Hynix als bevorzugten Verhandlungspartner entschieden.

Nur konnten konkrete Gespräche nicht wirklich beginnen. Denn der amerikanische Chiphersteller Western Digital, dessen Tochter SanDisk in einem Joint-Venture-Partner gemeinsam mit Toshiba NAND-Speicherchips herstellt, wehrt sich mit allen rechtlichen Mitteln gegen den Verkauf von Toshibas Tafelsilber an eine anderes Unternehmen als Western Digital selbst. Damit wollen die Amerikaner den Abfluss eigenen Knowhows an Rivalen verhindern.

Erst beantragten die Amerikaner ein Schiedsverfahren bei der internationalen Handelskammer in Paris. Und als Toshiba dennoch an dem halbjapanischen Konsortium festhielt, schoben sie eine einstweilige Verfügung nach. Die endete Ende Juli zwar in einem Kompromiss, der Toshiba weiter verhandeln ließe. „Aber die Verkaufspläne sind trüber geworden“, urteilt die Nikkei Asian Review in einer am Sonntag veröffentlichten Analyse.

In dem Bericht machen die Autoren vor allem eine schwache Führung bei Toshiba dafür verantwortlich, dass die Verhandlungen chaotisch erscheinen. So soll sich der Chef von Toshibas Chipsparte in der frühen Phase des Streits gegen Verhandlungen mit Western-Digital-Chef Steve Milligan mit den Worten gesträubt haben, dass der Amerikaner Finanzfachmann sei und von der Chipindustrie keine Ahnung habe.

Regierungsbeamte dürfen sich beschweren, dass Toshiba sie im Dunkeln lasse. Auch die Banken befänden sich demnach „in Verwirrung“, weil sie mit Kreditlinien kurzfristig Toshibas Überleben sichern müssen, ohne zu wissen wie es mittelfristig weitergeht.

Selbst das ausgewählte Bieterkonsortium kommt schlecht weg. Denn es stellte sich später heraus, dass SK Hynix seine Beteiligung von immerhin 400 Milliarden Yen nicht wie kolportiert als Kredit zur Verfügung stellen wollte, sondern dafür in Aktienanteile umtauschbare Vorzugsanleihen haben wollte.

In diesem Fall machen die Autoren eine nicht genannte Investmentbank für Misskommunikation verantwortlich, die Bain als Vermittler mit den Koreanern eingeschaltet hatte. Doch unabhängig von den medialen Schuldzuweisungen stockten damit auch diese Verhandlungen. Schließlich würden die Koreaner als Großaktionär Einblick in die Technik gewinnen, was wiederum der Absicht der japanischen Investoren widerspricht.

Wieviel Verantwortung Toshibas Management für das Verhandlungschaos letztlich wirklich trifft, werden wahrscheinlich erst spätere Analysen genauer zeigen. Denn in Japan gilt mehr noch als in anderen Ländern, dass in der heißen Phase von Skandalen alle anderen Beteiligten zuerst auf die Firma zeigen, die sich kaum verteidigen kann. Aber das aktuelle Bild sieht nicht schmeichelhaft aus.

Einerseits ist noch immer nicht klar, wie Toshiba mit seinen verbleibenden Sparten in eine schlüssige Wachstumsstrategie formulieren will. Einige Analysten plädieren daher dafür, das Toshiba seine Chipsparte behält und andere Teile verkauft, um die Kapitallücke zu schließen. Andererseits ist der Verkaufsprozess wieder da ankommen ist, wo er vor Monaten begann.

Toshiba bestätigte am Donnerstag, dass das Unternehmen wieder mit allen drei Bietern verhandele. Einen neuen Zeitplan blieb das Unternehmen allerdings schuldig. Konzernchef Tsunakawa versprach lediglich, sich zu spurten: „Wir sind uns bewusst, dass der Zeitplan eng wird, aber wir werden unser Bestes geben, den Deal bis März kommenden Jahres abzuschließen.“ Nun muss Tsunakawa zeigen, dass er letztlich liefern kann.

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