Video-App aus China TikTok begeistert Jugendliche und bringt Häme

TikTok Quelle: imago images

Mit der Smartphone-App TikTok können Nutzer mit wenigen Display-Berührungen 15-sekündige Videos erstellen. Zugleich hat das soziale Netzwerk jede Menge Hass und Häme im Schlepptau.

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Die Lieblingsbeschäftigung von Jugendlichen und Twens sind Smartphone-Stories auf Instagram oder sich selbstständig löschende Schnappschüsse auf Snapchat?! Weit gefehlt – das sind für viele jüngere Nutzer bereits Plattformen von gestern. Sie werden zwar weiterhin genutzt, aber taugen kaum noch zur Abgrenzung von Älteren.

Das neue heiße Ding bei Teenagern heißt TikTok: Die aus China stammende App ist ein mobiles soziales Netzwerk, das es Nutzern ermöglicht, mit wenigen Display-Berührungen 15-sekündige Videos mit allerlei optischen Gimmicks zu erstellen.

Am bekanntesten ist TikTok dafür, dass User auf einfache Weise lippensynchrone Videos zu Charthits aufnehmen können – eine der beliebtesten Videoformen in dem Netzwerk. So ist TikTok beispielsweise voll mit Clips von Teenager-Mädchen – und manchmal auch -Jungs, die mit Inbrunst „Someone like you“ der britischen Popsängerin Adele in ihre Smartphone-Kamera schmachten.

Mit solchen Gimmicks hat sich TikTok bereits 2018 zu der am vierthäufigsten heruntergeladenen App des Jahres gemausert – noch vor dem Foto-Netzwerk Instagram und dem Messenger Snapchat. Und zwar auch in Deutschland: Laut PrioriData haben hiesige Nutzer TikTok rund 8,8 Millionen Mal heruntergeladen. Und wie kürzlich durchgesickerte interne TikTok-Zahlen belegen, nutzen 4,1 Millionen Deutsche die App im Monat – und verbringen im Schnitt 39 Minuten pro Tag mit ihr.

Die Kehrseite dieses Erfolgs: Mit dem Boom bei Jugendlichen hat TikTok eine Menge Hass und Häme mit im Schlepptau – ein Problem, das auch andere Internetportale mit vergleichbarer Zielgruppe plagt: Bei dem aus Deutschland stammenden Bewertungsportal etwa bringen Teenager im Schutz der Anonymität oft Hass und Hetze in Umlauf, wie die WirtschaftsWoche im Juni 2018 aufgedeckt hat.
Auf TikTok kann man ebenfalls ohne großen Aufwand Videos finden, in denen Rechtsradikale etwa gegen Schwarze oder Juden hetzen. Das amerikanische Internet-Magazin „Vice“ berichtet von Clips, in denen User von einer „Endlösung“ schwadronieren oder zum Rassenkrieg aufrufen.

Zudem häufen sich insbesondere unter Videos von sehr jungen Nutzerinnen Kommentare, die nach Nacktbildern fragen. Zwar ist die Nutzung von TikTok offiziell erst ab einem Alter von 15 Jahren erlaubt; aber ähnlich wie etwa bei den Facebook-Töchtern Instagram oder WhatsApp kann man die Altersangabe leicht fälschen, eine echte Kontrolle findet nicht statt.

„Bei TikTok filmen bereits Acht- und Neunjährige sich selbst, während sie in ihren Kinderzimmern singen und tanzen. Viele zeigen sich dabei in aufreizenden Posen“, kritisiert Inga Pöting vom Datenschutzportal Mobilsicher.de, das vom Justiz- und Verbraucherschutzministerium gefördert wird.

Laut ihrer Beobachtung erhalten vor allem Bauchfrei-Videos die meisten Herzen, das Pendant zu Facebooks Like-Button. „Und in den Kommentaren stacheln Zuschauer die Mädchen dazu an, noch mehr Haut zu zeigen und weitere Videos zu produzieren“, sagt Pöting.

Immerhin können sich Nutzer auf TikTok vor fremden Zuschauern schützen, indem sie ihr Profil in den Einstellungen von „Privatsphäre und Sicherheit“ auf „privat“ stellen und nur Freunden das Kommentieren von Videos erlauben. Ein Schritt, den vor allem Eltern von Minderjährigen ins Auge fassen sollten, um ihre Kinder zu schützen.

Mit missbräuchlichen Videos und Mobbing-Kommentaren tritt TikTok in die unrühmlichen Fußstapfen, die ihre ebenfalls bei Jugendlichen sehr populäre Vorgänger-App Musical.ly hinterlassen hat: „Dass Kinder anzügliche Tanzvideos von sich produzieren, war bei Musical.ly schon seit 2016 bekannt“, sagt Mobilsicher.de-Expertin Pöting. „Wirksame Gegenmaßnahmen des Anbieters fehlen aber bis heute.“

Der chinesische Internetkonzern Bytedance mit Sitz in Peking hat den ebenfalls aus China stammenden, aber auch in Europa und Amerika verbreiteten Rivalen Musical.ly im November 2017 für eine Milliarde Dollar geschluckt – und die App im August 2018 mit dem eigenen Angebot TikTok verschmolzen.
Durch den Schachzug haben die Chinesen die nächste soziale Mega-Plattform geschaffen: Weltweit hat TikTok inzwischen mehr als 500 Millionen aktive Nutzer; neben dem Heimatmarkt ist die App vor allem in Indien populär, wo sie allein 2018 fast 120 Millionen Mal heruntergeladen wurde.

Investoren reißen sich um eine Beteiligung an dem aufstrebenden Unternehmen: Seit einer Finanzierungsrunde in Höhe von drei Milliarden Dollar Ende des vergangenen Jahres ist TikTok-Betreiber Bytedance jetzt mit stolzen 75 Milliarden Dollar bewertet – und damit noch vor dem Fahrdienstvermittler Uber das wertvollste nicht börsennotierte Start-up der Welt. Zu den jüngsten Kapitalgebern gehörten unter anderem die renommierten US-Investoren Sequoia Capital, KKR und General Atlantic.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters könnte Bytedance bereits im Laufe dieses Jahres einen Börsengang in Hongkong anstreben; angeblich verhandelt das Unternehmen bereits mit mehreren Investmentbanken – es wäre der nächste Multimilliarden-Dollar-schwere Aktiengigant aus China nach Alibaba und Tencent.

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