Keine Panik Leute, wir hier in der Kommandozentrale haben alles im Griff. Wir wissen ganz genau, woran das liegt: „Wir haben festgestellt, dass diese quartalsmäßigen Abweichungen nichts anderes sind als Nebengeräusche, als Lärm im langfristigem Wachstumstrend und der Annahme des Internet-Fernsehens.“ Schaut mal, sagt Onkel Reed, es läuft doch alles nach Plan. Und übrigens: Im ersten Halbjahr werden wir halt 8,15 Millionen neue Abonnenten hinzugewinnen statt 8,42 Millionen im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Aber das, sagt Käpt’n Hastings, ist ja auch nicht schlimm, es gibt auch dafür eine Erklärung: Vergangenes Jahr haben wir halt die ganze Welt für Netflix erschlossen und sind jetzt in 130 Märkten aktiv, darum sind wir 2016 auch schneller gewachsen. Jetzt sind wir – bis auf China – eben schon überall, da geht das nicht mehr so fix.
Tatsächlich hatten Analysten außerhalb des Netflix-Heimmarktes mit 3,68 Millionen neuen Abonnenten im ersten Quartal gerechnet. Neu gewonnen hat der Streaming-Anbieter dagegen „nur“ 3,53 Neukunden. In den USA waren es statt erwarteter 1,5 am Ende 1,42 Millionen Zahler – glaubt man Hastings, dann ist das alles nur „Lärm“, ein paar Kieselsteinchen auf der breiten Autobahn in die digitale TV-Zukunft.
Hat er recht damit? Kann sich der Mitgründer und CEO die betont entspannte Haltung tatsächlich leisten? Fest steht, dass Hastings und seine Truppe talentierte Pokerspieler sind. Sie haben in der Tat ein paar gute Karten auf der Hand. Serien wie „House of Cards“, bei der sie gerade einige der führenden Köpfe und Erfinder ausgetauscht haben; Überraschungserfolge wie die schräg-faszinierende Mystery-Reihe „Stranger Things“, die bald fortgesetzt wird; oder auch große Stars wie Brad Pitt und Will Smith, deren jüngste Filme bald im Programm des Bezahlanbieters Weltpremieren feiern werden.
Bücher, TV, Streaming? Diese Medien finden die Deutschen unverzichtbar
Nur wenige Erwachsene in Deutschland können sich ein Leben ohne Bücher oder Fernsehen vorstellen. Das ergab eine repräsentative Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur aus dem Januar 2016. Andere Unterhaltungsmedien hielten die Befragten dagegen eher für entbehrlich.
Nur eine Minderheit von 13 Prozent der Befragten findet gedruckte Bücher verzichtbar. Elektronische Bücher (zum Beispiel Kindle oder Tolino) halten 41 Prozent für verzichtbar.
14 Prozent der Befragten können sich ein Leben ohne das klassische Fernsehen vorstellen.
Schon wesentlich mehr können sich vorstellen, auf Musik-CDs zu verzichten: Rund ein Fünftel (21 Prozent) der Befragten fand CDs verzichtbar. Hörbücher auf physischen Tonträgern wie CDs spielen für 46 Prozent keine allzu wichtige Rolle.
Ein Leben ohne Kinobesuche ist für 23 Prozent vorstellbar.
Auf Spielfilme oder Serien von DVD würden 24 Prozent der Befragten verzichten.
Weniger wichtig finden die Erwachsene laut der YouGov-Umfrage Online-Videotheken. 38 Prozent könnten ohne das Streaming von Serien und Filmen (etwa via Netflix, Amazon, Maxdome, Watchever) leben, 40 Prozent ohne Musik-Streaming (zum Beispiel via Spotify oder Apple).
Eindeutig ist die Tendenz, wenn man nach den Altersgruppen schaut: So finden bei den 18- bis 24-Jährigen immerhin 21 Prozent das Fernsehen verzichtbar, bei den Menschen über 55 sind es dagegen nur 10 Prozent.
Film-Streaming finden dagegen die Leute ab 55 kaum relevant: 50 Prozent können darauf verzichten, wie sie angaben. Bei den Jüngeren (zwischen 18 und 24 Jahren) sind es dagegen nur 27 Prozent, die es missen könnten. In der Altersgruppe 25 bis 34 Jahre sind es sogar nur 24 Prozent
Mit diesem Stoff können sie tatsächlich ein großes Publikum finden und, wenn der Nachschub weiter stimmt, auch binden. Doch die Inhalte verschlingen eine Menge Geld: Sechs Milliarden Dollar will Netflix allein in diesem Jahr in Eigenproduktionen investieren, Streifen und Serien, von denen niemand voraussagen kann, ob sie ihr Publikum finden. Ob sie die erzählerische Kraft und die Star-Power haben, Portemonnaies zu öffnen und zahlende Zuschauer auf Dauer an den Video-Strom anzuschließen.
Die kaufmännische Logik aus Sicht von Hastings ist klar: Kauft er Lizenzen ein, um Hollywoodstreifen auch bei Netflix oder exklusiv bei Netflix zeigen zu dürfen, finanziert er einerseits die Konkurrenz und schafft wenig Werte für das eigene Unternehmen. Gelingen ihm eigene Erfolge, kann er sie auf Jahre hinaus im eigenen Angebot halten und als Werte in der Bilanz führen.
Doch wie unabhängig kann er sich dabei machen von den Erwartungen der Zuschauer? Was suchen die Couch-Potatoes wirklich bei einem Streaming-Anbieter wie Netflix? Suchen sie gängige und für teuer Geld beworbene Kinoware? Wollen sie „James Bond“ und die „Tribute von Panem“, die es beide nicht (mehr) auf Netflix gibt?
Oder sehen sie sich als Teil der Netflix-Gemeinde, eine Art Avantgarde, die keine Lust hat auf das übliche und die Programmfarben liebt, die Kalifornier ihnen zu bieten hat? Sind sie zufrieden mit dem, was Inhalte-Chef Ted Sarandos für sie aussucht und in Auftrag gibt?
Die Netflix-Bosse haben sich entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen und versuchen, sich ihre eigene Inhaltewelt und ihr eigenes Video-Imperium zu schaffen. Das ist ihre milliardenschwere Wette auf die TV-Zukunft. Doch bei aller demonstrativen kalifornischen Entspanntheit – niemand kann Hastings und Sarandos garantieren, dass sie bis zum Schluss das beste Blatt auf der Hand haben werden oder es nicht doch die immer weiter wachsende Konkurrenz durch Amazon und Co. sein wird, die mit Serien und Filmen, die sie durch andere Angebote querfinanzieren können, den entscheidenden Trumpf im Ärmel haben. Das Spiel läuft, und es wird länger dauern als ein paar Quartale.