Vorstellung der neuen Modelle iPhone 12: Apples kluger 5G-Schachzug

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Das Saubermann-Image? Passt nicht zu Apple

Die Kamera ist noch immer das beste Argument, um auf eine neue Handy-Generation umzusteigen. Vor allem bei treuen iPhone-Besitzern. Denn der Markt für Premium-Smartphones ist mittlerweile so etabliert, dass langjährige Nutzer sich auf ein Betriebssystem festgelegt haben – entweder iOS oder Android. Die Umgewöhnung fällt schwer. Die Premium-Geräte von den Markenherstellern sind mittlerweile alle so verfeinert, dass die Unterschiede immer kleiner werden und ein Abheben schwieriger. Deshalb konnte Apple auch verkraften, dass seine Kamera bislang dem Wettbewerb hinterherhinkte. Die Unterschiede waren nur für Profis interessant. Wenn sich das jetzt geändert haben sollte, dürfte dies im Umkehrschluss allerdings Samsung nicht allzu sehr schaden.

Wie schnell das Upgrade auf eine neue Generation läuft, hängt auch vom Preis ab. Ausgenommen sind hier ganz eingefleischte Apple-Fans, die fast jeden Preis fürs Top-Gerät zahlen. Aber an der Preisfront hat sich Apple zumindest etwas diszipliniert, wohl auch wegen des wachsenden Preisdrucks durch den Wettbewerb. Vielleicht auch mit Rücksicht auf die Corona Wirtschaftskrise. Das günstigste iPhone - das iPhone SE für 399 Dollar - hat Apple vor allem im Frühjahr beim Absatz geholfen. „Dadurch sind viele iPhone 6 Nutzer oder Besitzer von sogar noch älteren Modellen bewegt worden, sich ein neues zuzulegen“, hat Gartner Analystin Zimmermann beobachtet. „Das iPhone 12 ist für diejenigen interessant, die ein iPhone 8, XR oder X haben“, sagt sie.

Trotzdem: Apple bleibt sich treu, Premium nicht nur für seine Geräte zu deklarieren, sondern auch bei den Preisen zu verlangen.


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Die iPhone 12 Reihe startet bei 779 Euro, das Flaggschiff iPhone 12 Pro bei 1120 Euro. Es ist ähnlich wie beim Vorjahr beim iPhone 11, obwohl Apple die Einstiegsvariante der Pro Linie mit 128GB statt knausriger 64GB ausgelegt hat. Dafür spart Apple bei den Ohrhörern und Ladesteckern, die nun extra erworben werden müssen. Ob das statthaft ist, da die Geräte ohne Laden nicht funktionsfähig sind, werden mit Sicherheit Anwälte austesten. Ein Ladekabel liegt zumindest bei.

Man kann das vernünftig nennen, schließlich haben die meisten iPhone Nutzer bereits mindestens einen Ladestecker und kaufen sich ohnehin bessere Ohrhörer. Oder als konsequentes Erschließen von neuen Einnahmequellen auf dem Rücken der Kunden kritisieren. Für die Ankündigung war Lisa Jackson, Apples Vizepräsidentin für Umwelt, Politik und soziale Initiativen, extra auf das Solardach des Apple Hauptquartiers gestiegen. „Unsere Kunden haben bereits über 700 Millionen Ohrhörer und viele sind auf drahtlose Kopfhörer umgestiegen“, argumentiert sie. Das neue iPhone, so ergänzt Jackson, wird zudem ausschließlich wiederaufgearbeitete Magneten nutzen. Ein Beitrag von Apple, um den Gebrauch von seltenen Metallen und Erden, deren Abbau Umweltschäden verursacht, zumindest etwas einzudämmen.

Das ist löblich. Aber so richtig passt das Saubermann-Image nicht zu Apple. Das Unternehmen designt seit Jahren seine Geräte so, dass diese sich nur von Apple selbst oder vom Konzern zugelassenen Spezialisten reparieren lassen. Weil dadurch der Wettbewerb eingeschränkt ist und etwa durch verklebte Komponenten die Arbeiten aufwändiger sind, verteuert das viele Reparaturen. Im Zweifelsfall macht der Kunde dann, was Apple bevorzugt: Ein neues Gerät kaufen. Für eine absolut reine Weste müsste Apple sein Geschäftsmodell nachhaltig ändern. Es ist nicht zu erkennen, dass der Konzern das tun möchte.

Da das iPhone 12 mindestens drei Wochen verspätet ist, wird das Weihnachtsquartal von Apple diesmal wahrscheinlich verhaltener ausfallen. Es sei denn, Dienstleistungen und andere Hardware machen das wett. Wie der Lautsprecher HomePod Mini, den Cook am Dienstag ebenfalls vorstellte. Es ist eine Mini-Version des im Juni 2017 eingeführten HomePod Lautsprechers, der wegen der starken und preisgünstigeren Konkurrenz von Amazon und Google unter den Absatzerwartungen blieb. Es ist der Versuch von Apple, bei dem Markt für Lautsprecher mit digitalen Assistenten endlich aufzuholen. Dort ist der Preiswettbewerb mittlerweile vor allem durch Amazon so aggressiv, dass die Lautsprecher mittlerweile zum Schubladen- oder gar Wegwerfartikel mutieren. In jeder Weihnachtssaison gibt es neue. Auch nicht gerade ein Beitrag für die Umwelt.

Enttäuschend ist bei der neuen iPhone 12 Generation, dass die erwartete Wiederkehr des Fingerabdruckscanner nicht stattfand, sondern die automatische Identifikation weiterhin nur über Gesichtserkennung funktioniert. Beim neuen iPad Air hatte Apple den Fingerabdruckscanner elegant in die Einschalttaste integriert.

Ein weiterer Wermutstropfen: Apple blieb am Dienstag seiner Tradition treu, bei unerprobten Innovationen den Wettbewerb den Boden bereiten zu lassen. Handys mit faltbaren Displays, wie sie Samsung oder LG offerieren, zeigte Cook nicht. Er wird das erst tun, wenn er diese glaubhaft mit Apple-Superlativen versehen kann. Und schließlich muss er sich für diese Dekade noch ein paar Upgrade-Argumente aufsparen – ein wesentlich besserer Akku wäre ein Kandidat.


Mehr zum Thema: Apple stellt mit dem iPhone 12 sein erstes 5G-fähiges Handy vor. Doch noch hat die Technik Tücken.

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