VW-Dieselgate Volkswagen steckt im Wirtschaftskrieg

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Das Krisenpotenzial für VW

Wie klassische Kriege brechen auch Wirtschaftskriege nicht einfach so aus. Jeder Konflikt braucht eine Ursache, einen Anlass – und ein Ziel. Mangelt es an einem Element, bleibt es in der Regel friedlich. Liegen sie vor, ist der Konflikt im Normalfall nicht aufzuhalten. Im Fall VW sind alle drei Elemente gegeben – und aus ihrer Zusammenschau ergibt sich erhebliches Krisenpotential:

1) Ursache des aktuellen Konflikts ist zweifellos die Dominanz der deutschen Industrie im Maschinenbausektor und hier insbesondere in der Automobilbranche. Die Volkswagengruppe allein beherrscht nach Verkaufszahlen ein Achtel des Weltmarkts. Rechnet man die anderen Autobauer hinzu, wird die Frustration anderer Nationen, insbesondere der USA und Frankreichs, leicht verständlich. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise wecken deutsche Exporte, deutsches Finanzgebaren und deutsches Wirtschaftswachstum zwangsläufig Begehrlichkeiten.

Das ist die Streichliste von Volkswagen
VW-Logo Quelle: dpa
MarketingFeierlichkeiten waren bei Volkswagen bislang vom Allerfeinsten: Robbie Williams (r., hier neben Stephan Grühsem, ehemaliger Leiter Kommunikation beim VW-Konzern), Lenny Kravitz, Mark Knopfler, Lang Lang oder die Pet Shop Boys. Und im Publikum tummelten sich Hollywood-Hüne Ralf Moeller oder Sport-Ikonen wie Günter Netzer und Hans-Joachim Stuck. Die Musik für die üppigen Inszenierungen kam von Produzent Leslie Mandoki. Und der Kabarettist Django Asül sorgte die für die gute Laune. All das wird künftig genauso wenig passend erscheinen wie die Konzernabende im Vorfeld großer Automessen. Weit über tausend Gästen wurde dabei stets ein anderthalbstündiges Happening mit Licht und Showeffekten präsentiert, in dem alle Marken des Konzerns ihre Innovation präsentierten. Quelle: imago images
Die Party ist zu EndeKein anderer Hersteller betreibt nur annähernd einen solchen Aufwand der Selbstinszenierung. So kann Volkswagen auch getrost darauf verzichten. Genauso wie auf die Mini-Autoshows zur Hauptversammlung und zur Bilanzpressekonferenz. Eine zweite Halle im Stil einer Mini-IAA wird angesichts der Sparzwänge sicher kein Aktionär oder Journalist vermissen. Quelle: dpa
GehälterDer Aufschrei kam prompt: Die zu erwartenden Einschnitte dürfen nicht zulasten des kleinen Mannes gehen. Dass der kleine wie der große Mann bei VW künftig weniger in der Tasche haben wird, ist realistisch. Auffallen wird dies bei den Vorständen, die zuletzt ein Festgehalt zwischen einer und zwei Millionen Euro pro Jahr hatten. Durch eine variable Vergütung kam Ex-Chef Martin Winterkorn 2014 auf ein Gesamtsalär von 15,8 Millionen Euro. Andere Mitglieder im Vorstand verdienten um die sieben Millionen Euro. Bei allem dürfte in diesem Jahr mangels Erfolg weit weniger herauskommen. Quelle: dpa
Das große und das kleine LeidenAuch das Gros der Belegschaft wird leiden müssen. Eine Ergebnisbeteiligung von 5900 Euro bekam jeder Mitarbeiter für das vergangene Jahr bei VW, dazu zwölf Gehälter und ein kleines Urlaubsgeld. Da ein Verlust droht, gibt es die gewohnte Ergebnisbeteiligung quasi nur als Goodwill. Die 1545 Euro, die es immer im November gab, sollen jedoch gezahlt werden. Einsparungen in Milliardenhöhe sind möglich. Quelle: dpa
SponsoringBeim Pokalfinale 2015 demonstrierte der Volkswagen-Konzern seine ganze Fußballmacht: Nicht nur, weil der Werksclub VfL Wolfsburg am Ende den Titel gewann, sondern auch weil selbst der Gegner Borussia Dortmund mit einen VW-Logo auf dem Ärmel auflaufen musste. Der Konzern ist nämlich auch Sponsor des gesamten Wettbewerbs. Mit dem Ausbruch des Abgasskandals soll das Pokal-Sponsoring nun auf den Prüfstand gestellt werden. Der VfL Wolfsburg hat den angedachten Neubau des Nachwuchsleistungszentrums vorerst gestoppt. „Ich denke, es ist zu verstehen, dass man das jetzt zumindest erstmal aussetzt“, bestätigte VfL-Geschäftsführer Klaus Allofs. Bis zu 40 Millionen Euro sollte das Projekt an der Wolfsburger Dieselstraße kosten. „Wir waren noch lange nicht soweit, dass man hätte sagen können, das Projekt wird umgesetzt. Aber natürlich ist das derzeit nicht der Moment zu investieren. Da muss man Vernunft walten lassen“, erläuterte Allofs die Entscheidung, die die VfL-Geschäftsführung gemeinsam mit dem Aufsichtsrat des Clubs getroffen hatte. In dem Kontrollgremium sitzen auch hochrangige Manager des VW-Konzerns. Quelle: dpa
Das Zittern der FußballerFür die Bundesliga ist das Volkswagen-Desaster indes ein Problem. Immerhin unterstützt der Konzern 21 von 36 Bundesligavereinen. Am VfL Wolfsburg, dem FC Bayern und dem FC Ingolstadt ist Volkswagen sogar direkt beteiligt. Wie stark der Sparkurs ausfallen wird, ist allerdings noch nicht klar. Die Verträge, die unter dem zurückgetretenen VW-Chef Martin Winterkorn geschlossen wurden, sind unabhängig von der Krise weiterhin gültig. Quelle: dpa

2) Anlass ist der aktuelle Skandal. Durch die offensichtliche und vorsätzliche Manipulation der Steuerungssoftware hat die Volkswagengruppe Kunden, Behörden, die Politik und die Konkurrenz gründlich vor den Kopf gestoßen. Die Ablehnung dieser Vorgehensweise ist daher breit und wird in Teilen sogar von deutschen Verbrauchern getragen. Aus Sicht eines Angreifers ist diese Kombination ideal.

3) Ziel des aktuellen Konflikts ist es, die Dominanz der deutschen Industrie zu reduzieren und die deutsche Wirtschaft zu Gunsten der eigenen Wirtschaft etwas zurechtzustutzen. Angesichts der andauernden Krisen in Detroit und Sochaux erscheint das Straucheln der Volkswagengruppe wie ein Geschenk des Himmels. Ein weiteres Ziel, insbesondere aus Sicht der amerikanischen Politik, könnte es sein, die Bundesrepublik Deutschland zu einer nachgiebigeren Haltung in den TTIP-Verhandlungen zu bewegen.

Wie Schweiz, Frankreich und USA Volkswagen in die Zange nehmen

Erste Maßnahmen ausländischer Regierungen können als Hinweise auf den potentiellen Umfang des begonnen Wirtschaftskrieg gewertet werden. Sollte der Sturm endgültig losbrechen, könnten sich Neid, Gier und Frust nachhaltig an deutscher Ingenieurkunst, Reputation und Strahlwirkung von „Made in Germany“ abarbeiten. Die Schweiz, Frankreich und die USA haben verstärkte Kontrollen von Fahrzeugen der Volkswagengruppe angekündigt und denken über den Entzug von Neu-Zulassungen nach. Das passt insoweit ins Bild, als sich die „begründete“ Anpassung und Veränderung von staatlichen Normen seit jeher als probates Mittel im Wirtschaftskrieg bewährt haben.

Die neue VW-Konzernstruktur

In der internationalen Fachpresse regt sich Gegrummel. Und Blogger und Journalisten haben angefangen, teilweise sehr unappetitliche Vergleiche zwischen dem aktuellen Fehlverhalten und historischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzustellen. Die ersten Klagen sind zudem bereits in Deutschland und den USA eingereicht und der US-Kongress hat Ermittlungen aufgenommen.

Wenn sich die Reaktionen derzeit trotzdem noch in Grenzen halten, dann hauptsächlich aus drei Gründen:

1) Zunächst einmal kam die Krise plötzlich und unvermittelt. Mangels eines erkennbaren Vorlaufs, profitiert Volkswagen deshalb nach wie vor von seinem in Jahrzehnten erarbeiteten guten Ruf wie dem der deutschen Industrie. Hinzu kommen langjährige intelligente Werbekampagnen mit Sympathieträgern in den USA, unter anderem während des Super Bowls, die VW ein hervorragendes Image verschafft haben.

2) Des Weiteren müssen die potentiellen Hauptnutznießer des Imageschadens - die Konkurrenzunternehmen der Automobilindustrie - befürchten, in den Sog der Krise hineingezogen zu werden. Zum jetzigen Zeitpunkt kann kein Unternehmen die Anwendung vergleichbarer Praktiken ausschließen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die bevorstehenden Untersuchungen branchenweit ähnliche Fehlleistungen aufdecken werden.

3) Zuletzt hat Volkswagen die Flucht nach vorne angetreten und kooperiert national wie international auf allen Ebenen mit den Behörden und Institutionen. Der Verzicht auf eine Verschleierungstaktik erhöht massiv die Glaubwürdigkeit des Konzerns und macht das Unternehmen schwieriger angreifbar.

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