Wie klassische Kriege brechen auch Wirtschaftskriege nicht einfach so aus. Jeder Konflikt braucht eine Ursache, einen Anlass – und ein Ziel. Mangelt es an einem Element, bleibt es in der Regel friedlich. Liegen sie vor, ist der Konflikt im Normalfall nicht aufzuhalten. Im Fall VW sind alle drei Elemente gegeben – und aus ihrer Zusammenschau ergibt sich erhebliches Krisenpotential:
1) Ursache des aktuellen Konflikts ist zweifellos die Dominanz der deutschen Industrie im Maschinenbausektor und hier insbesondere in der Automobilbranche. Die Volkswagengruppe allein beherrscht nach Verkaufszahlen ein Achtel des Weltmarkts. Rechnet man die anderen Autobauer hinzu, wird die Frustration anderer Nationen, insbesondere der USA und Frankreichs, leicht verständlich. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise wecken deutsche Exporte, deutsches Finanzgebaren und deutsches Wirtschaftswachstum zwangsläufig Begehrlichkeiten.
2) Anlass ist der aktuelle Skandal. Durch die offensichtliche und vorsätzliche Manipulation der Steuerungssoftware hat die Volkswagengruppe Kunden, Behörden, die Politik und die Konkurrenz gründlich vor den Kopf gestoßen. Die Ablehnung dieser Vorgehensweise ist daher breit und wird in Teilen sogar von deutschen Verbrauchern getragen. Aus Sicht eines Angreifers ist diese Kombination ideal.
3) Ziel des aktuellen Konflikts ist es, die Dominanz der deutschen Industrie zu reduzieren und die deutsche Wirtschaft zu Gunsten der eigenen Wirtschaft etwas zurechtzustutzen. Angesichts der andauernden Krisen in Detroit und Sochaux erscheint das Straucheln der Volkswagengruppe wie ein Geschenk des Himmels. Ein weiteres Ziel, insbesondere aus Sicht der amerikanischen Politik, könnte es sein, die Bundesrepublik Deutschland zu einer nachgiebigeren Haltung in den TTIP-Verhandlungen zu bewegen.
Wie Schweiz, Frankreich und USA Volkswagen in die Zange nehmen
Erste Maßnahmen ausländischer Regierungen können als Hinweise auf den potentiellen Umfang des begonnen Wirtschaftskrieg gewertet werden. Sollte der Sturm endgültig losbrechen, könnten sich Neid, Gier und Frust nachhaltig an deutscher Ingenieurkunst, Reputation und Strahlwirkung von „Made in Germany“ abarbeiten. Die Schweiz, Frankreich und die USA haben verstärkte Kontrollen von Fahrzeugen der Volkswagengruppe angekündigt und denken über den Entzug von Neu-Zulassungen nach. Das passt insoweit ins Bild, als sich die „begründete“ Anpassung und Veränderung von staatlichen Normen seit jeher als probates Mittel im Wirtschaftskrieg bewährt haben.
Die neue VW-Konzernstruktur
Bestehend aus dem Vorstandschef, einem Finanzvorstand, Einkaufsvorstand und Personalvorstand. Das achtköpfige Gremium komplettieren die Vorstände der vier Marken-Holdings.
Die Marken Volkswagen, Skoda und Seat werden in eine Gruppe zusammengefasst. Geleitet wird sie von Herbert Diess, der von BMW kommt. Auf Holding-Ebene wird es weitere Bereichs-Vorstände geben, zum Beispiel für Forschung, Entwicklung und Vertrieb.
Bereits bekannt war, dass VW seine Lkw-Marken Scania, MAN und VW Nutzfahrzeuge in einer Holding unter dem ehemaligen Daimler-Manager Andreas Renschler bündeln wird.
Porsche-Chef Matthias Müller, seit kurzem auch Mitglied des aktuellen Konzernvorstands, soll auch die Verantwortung über die Luxusmarken Bugatti und Bentley übernehmen.
Bei Audi soll sich nichts ändern: Die Ingolstädter haben bereits heute die Kontrolle über den Sportwagenbauer Lamborghini und die Motorradmarke Ducati. Das soll auch so bleiben.
In der internationalen Fachpresse regt sich Gegrummel. Und Blogger und Journalisten haben angefangen, teilweise sehr unappetitliche Vergleiche zwischen dem aktuellen Fehlverhalten und historischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzustellen. Die ersten Klagen sind zudem bereits in Deutschland und den USA eingereicht und der US-Kongress hat Ermittlungen aufgenommen.
Wenn sich die Reaktionen derzeit trotzdem noch in Grenzen halten, dann hauptsächlich aus drei Gründen:
1) Zunächst einmal kam die Krise plötzlich und unvermittelt. Mangels eines erkennbaren Vorlaufs, profitiert Volkswagen deshalb nach wie vor von seinem in Jahrzehnten erarbeiteten guten Ruf wie dem der deutschen Industrie. Hinzu kommen langjährige intelligente Werbekampagnen mit Sympathieträgern in den USA, unter anderem während des Super Bowls, die VW ein hervorragendes Image verschafft haben.
2) Des Weiteren müssen die potentiellen Hauptnutznießer des Imageschadens - die Konkurrenzunternehmen der Automobilindustrie - befürchten, in den Sog der Krise hineingezogen zu werden. Zum jetzigen Zeitpunkt kann kein Unternehmen die Anwendung vergleichbarer Praktiken ausschließen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die bevorstehenden Untersuchungen branchenweit ähnliche Fehlleistungen aufdecken werden.
3) Zuletzt hat Volkswagen die Flucht nach vorne angetreten und kooperiert national wie international auf allen Ebenen mit den Behörden und Institutionen. Der Verzicht auf eine Verschleierungstaktik erhöht massiv die Glaubwürdigkeit des Konzerns und macht das Unternehmen schwieriger angreifbar.