Watson IBMs Supercomputer stellt sich dumm an

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IBM hofft auf Versicherer

So verzichtete der Schweizer Rückversicherer Swiss Re, der vor zwei Jahren einen Watson-Einsatz startete, von vorneherein auf Cloud-Anwendungen, wie das Unternehmen betont. Ein gutes Dutzend Watson-Projekte ging die Swiss Re mit IBM an, unter anderem zur Bewertung von Cyberrisiken. Inzwischen ist auch in Zürich Ernüchterung eingekehrt. Bei einer Reihe von Projekten nutzt die Swiss Re nicht mehr Watson, sondern Konkurrenzangebote, berichtet ein Kenner. „Das Projekt bei Swiss Re ist längst gescheitert“, sagt ein anderer Insider. Watson, so der Insider, sei vor allem eines: „Ein Musterknabe für gelungenes Marketing.“

„Der Markt ist noch auf der Suche nach Anwendungsfeldern“, beschreibt Stephan Maier, Versicherungsexperte bei der Unternehmensberatung EY Innovalue. Dabei sind es, neben Anbietern von Medizintechnik, vor allem die Versicherer, von denen sich IBM das große Geschäft mit Watson erhofft. Bei der Zusammenarbeit mit der Assekuranz blickt IBM auf eine lange Historie zurück, denn viele Versicherer sind seit Jahrzehnten treue Nutzer der IBM-Großrechner. Umso schlimmer, wenn ausgerechnet diese treuen Altkunden frühzeitig von der Fahne gehen.

Auf Anfrage stellt IBM fest: „Weder IBM Deutschland noch die IBM Corporation haben jemals einen Vertrag zu Watson mit der Munich Re abgeschlossen. Wir haben jedoch eine gut funktionierende Geschäftsbeziehung mit der Munich Re, die wir an dieser Stelle nicht weiter kommentieren werden.“ Die Situation bei der Swiss Re kommentiert IBM wie folgt: „Es gibt keine Änderungen an unserer Zusammenarbeit mit Swiss Re zum Einsatz von Watson. Swiss Re arbeitet an einer branchenweiten Palette von Lösungen zur Unterstützung unterschiedlicher interner Prozesse und hat im Oktober 2015 in Zusammenarbeit mit IBM ein eigenes Kompetenzzentrum für kognitives Computing eingerichtet. Unsere bestehende Kundenbeziehung werden wir auch hier nicht weiter kommentieren.“ Zudem verweist IBM Deutschland auf ein erfolgreiches Projekt bei der Versicherungskammer Bayern (VKB): Die VKB habe an verschiedenen Stellen immer wieder betont, wie gut die Watson Technologie in diesem Projekt – bei dem es darum geht, Angebotswünsche, aber auch Unmutsäußerungen von Kunden in der schriftlichen Kommunikation zu erkennen – funktioniere. 

Die WirtschaftsWoche hält an ihren Rechercheergebnissen fest. Nicht nur Großkonzerne sind, so ergaben Gespräche mit Insidern, ernüchtert. Selbst die von IBM verbreitete Behauptung, Watson helfe wegen seiner enormen Datenauswertungsmöglichkeiten bei der Erkennung und damit Heilung von Krankheiten, hat sich als übertrieben herausgestellt.

Im Juli wurde publik, dass das Krebsforschungszentrum MD Anderson ein Watson-Projekt wegen Erfolglosigkeit beendet hat; Watson sei „weder bereit für den klinischen Einsatz noch die Forschung“. Zuvor hatte das an die University of Texas in Houston angeschlossene Institut 60 Millionen Dollar in die Watson-Technologie investiert. Und drei Jahre nachdem IBM begonnen hat, Watson als Wunderwaffe zur Auswahl der besten Krebstherapie zu verkaufen, haben nach Recherchen des US-Medizininformationsdienstes „Stat“ aus Boston gerade mal ein paar Dutzend Krankenhäuser bei der Technologie zugegriffen. Das ist weit entfernt vom IBM-Ziel, hier ein neues Milliardengeschäft aufzubauen.

Antonio Samaratini wäre eigentlich ein idealer Verbündeter Watsons. Der graumelierte Italiener hat eine bilderbuchartige Karriere in der IT-Industrie hingelegt, arbeitete unter anderem acht Jahre für IBM, bevor er vor zweieinhalb Jahren angeheuert wurde, Italien als Chef einer Digitalagentur am Sitz des Ministerpräsidenten ins digitale Zeitalter zu führen. Ein IBM-Manager an der Spitze einer staatlichen Einrichtung: Da gäbe es allerlei Projekte, um mithilfe der IBM-eigenen Superintelligenz so manches Datenchaos im italienischen Staatswesen zu ordnen. Und so machte sich Samaratini auch daran, Watson einzubinden. Doch nun, zweieinhalb Jahre nach Dienstantritt, ist Samaratinis Hoffnung gedämpft.

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Insgesamt sei es noch immer „übertrieben“, von einer realistischen Nutzung künstlicher Intelligenz im Behördenumfeld zu sprechen.

Wer sich aber eingehender mit Samaratinis Experimenten beschäftigt, ahnt: Womöglich liegen die Probleme bei Watson auch tiefer, als die Kosten- und Sicherheitsargumente der Versicherer vermuten lassen – und Watson ist einfach Opfer einer Über-Inszenierung, die mit einem Missverständnis über die Fähigkeiten künstlicher Intelligenz spielt. Darauf jedenfalls deutet eine Analyse hin, die Samaratinis Behörde angefertigt hat. Demnach funktioniert Watson, allerdings eher als eine Art Superrechner und weniger als Intelligenz-Instanz im herkömmlichen Sinne.

Die Digitalagentur hat bis Mai dieses Jahres den IT-Markt nach einer Software gesichtet, die aus digitalen Texten mögliche Gefährdungen durch Cyberterroristen herausfiltert. Langfristig sollen alle italienischen Sicherheitsbehörden mit einer solchen Software ausgestattet werden, die auch die Erkenntnisse der Fahnder untereinander vernetzt. Auf die entsprechende Ausschreibung für einen Test bewarben sich IBM mit der Watson-Anwendung Cyber-Security und Expert System mit seiner Software Cogito. Nun räumt selbst Samaratinis Behörde ein, dass IBM lediglich „wenig detaillierte“ Unterlagen zu den Fähigkeiten der Watson-Software eingesandt habe.

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Allerdings urteilen die Italiener: Watson erlaube, um Texte zu analysieren, nur den Blick in vorhandene Wörterbücher oder Listen mit feststehenden Begriffen, es benutze nur „statistische Modelle, aber keine semantischen“. Sprich: Die künstliche Intelligenz in Watson ist einfach ein superschneller Rechner und Datenauswerter, aber keine Intelligenz in dem Sinne, dass die Maschine sich selbst verbale Sachverhalte erschließt. Für die Textanalyse mit Blick auf Cyberterrorbedrohungen also sei Watson schlechter als das Konkurrenzprodukt Cogito. Das könne sich nämlich auch semantische Sachverhalte erschließen. Für Letzteres entschieden sich die Italiener dann auch für ihren Test. IBM wollte dies auf Anfrage nicht kommentieren.

Wie also geht es nun weiter mit dem vermeintlich so schlauen Watson? IBM-Finanzchef Martin Schroeter warb bei der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen im Juli erneut um Geduld: „Wir verzeichnen weiter eine weltweit steigende Watson-Nutzung.“

Das sehen Analysten kritisch: Die Investmentbank Jefferies hat in einer parallel veröffentlichten Studie untersucht, ob die Watson-Technologie den IBM-Investoren wenigstens mittelfristig einen höheren Unternehmenswert liefern werde. Das Ergebnis: „Unsere Analyse legt nahe, dass IBMs Erträge aus den Watson-Investitionen nicht über den Kapitalkosten liegen werden“, schreibt Analyst James Kisner in seiner Zusammenfassung. Das ernüchternde Fazit zur IBM-Aktie: „Underperform“ – zu Deutsch: hinter den Erwartungen zurückbleibend.

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