
Eine wahre Wundermaschine, davon ist Virginia Rometty, Chefin des IT-Konzerns IBM, überzeugt, ist ihr Watson. Ein Supercomputer, der mithilfe künstlicher Intelligenz all die Aufgaben löse, an denen die Menschheit bisher gescheitert sei. Und so scheute die Vorstandsvorsitzende auch keinen noch so großen Marketingjubel: In einem TV-Werbespot parliert Watson mit Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan über Songtexte. Und beim Super Bowl, dem Finale der Football-Meisterschaft, pries Schauspieler Jon Hamm, bekannt als Don Draper aus der Serie „Mad Men“, die Vorzüge Watsons: „Er hilft Ärzten dabei, Krankheiten zu bekämpfen; er kann Muster im globalen Wetter vorhersagen – und die Bildung von Kindern verbessern“, schwärmte Hamm. „Watson ist eines der leistungsfähigsten Werkzeuge, das die Menschheit je gebaut hat.“
Und so euphorisch wie die Werbung klingen auch die Geschäftspläne, die Rometty mit Watson hegt. Die gesamte Zukunft des IT-Riesen soll auf dem Geschäft mit künstlicher Intelligenz ruhen. Und dessen zentraler Baustein ist Watson. Er soll helfen, die seit 21 Quartalen in Folge sinkenden Erlöse von Big Blue wieder zu steigern. „Watson wird der nächste Mondflug für IBM – vor allem im Gesundheitswesen“, sagt Rometty.
Doch nun bereitet der Hoffnungsträger der Konzernchefin Probleme. Nicht nur, dass das Geschäft mit künstlicher Intelligenz, Datenanalyse und Cloud Computing nach zuvor zweistelligen Wachstumsraten im zweiten Quartal dieses Jahres nur noch um fünf Prozent wuchs. Es mehren sich auch die Zweifel an Watsons Fähigkeiten. Zuerst fiel das Programm bei einer staatlichen Ausschreibung für den Kampf gegen Cyberterroristen in Italien durch. Dann sorgte ein Bericht in den USA für Aufsehen, dass Watson mit der Auswertung von Daten im Kampf gegen Krebs überfordert sei. Und nun rücken nach Informationen der WirtschaftsWoche große Unternehmenskunden vom IBM-Supercomputer ab.
Schneller schlau: So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab – es bremst etwa das Auto ab. Beim sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anpassen.
So haben die weltgrößten Rückversicherer Munich Re und Swiss Re laufende Watson-Projekte beendet oder reduziert. „IBM wird aktuell Opfer der Erwartungshaltung, die man selber durch aggressives Watson-Marketing bei den Kunden geschürt hat“, sagt Axel Oppermann vom IT-Analysehaus Avispador. Welche Zukunft also hat der Supercomputer?
Beim Münchner Rückversicherer Munich Re gehört der Umgang mit großen Datenmengen von jeher zum Geschäftsmodell. Wer auf Datengrundlage die Risiken dieser Welt richtig einschätzt, kann im Versicherungsgeschäft deutlich mehr Geld verdienen. Also waren sie in München wie elektrisiert, als IBM die gigantischen Datenverarbeitungsmöglichkeiten seines Watsons anpries. Und so starteten die Versicherer vor zwei Jahren den Einsatz Watsons. Auf drei Feldern, dem Schadensmanagement, der Risikoeinschätzung etwa bei Klimarisiken sowie der Absicherung von Lieferkettenunterbrechungen, sollte Watson helfen.
Doch mittlerweile hat die Munich Re den Einsatz beendet. Offiziell äußern will sich der Konzern dazu nicht. In Unternehmenskreisen heißt es, Watson habe keinen Mehrwert gebracht: „Der Funke ist einfach nicht übergesprungen.“ Insider berichten, ein Grund für den Abbruch der Kooperation seien die hohen Kosten gewesen. „Es gibt inzwischen kleinere Anbieter, die ähnliche Lösungen zum Teil deutlich günstiger anbieten“, sagt ein mit dem Projekt vertrauter Berater. Ein anderer Insider berichtet, Munich Re habe für Leistungen gezahlt, die IBM nie erbracht habe, und für Funktionalitäten, die es gar nicht gab.
Vorbehalte hatten die Münchner offenbar auch hinsichtlich der Sicherheit ihrer Daten. Bei vielen Watson-Modulen muss der Anwender Daten in die Cloud verschieben. Das habe die Munich Re nicht gewollt, sagt der Insider. „Dass viele Anwendungen nur über die Cloud laufen, ist noch immer ein großes Problem für viele Kunden – und somit auch für IBM und den Erfolg von Watson“, sagt auch Avispador-Analyst Oppermann.