Werbesprech

Die Werbung will in unser Gehirn

Facebook will unsere Gedanken lesen und kann traurige Jugendliche für Werbezwecke identifizieren: Neuromarketing verspricht, unser Unterbewusstsein zu beeinflussen, um uns der Werbung auszuliefern. Werden wir zu willenlosen Puppen der Werbeindustrie?

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Bei Facebooks Entwicklerkonferenz F8 im April wurde das Projekt, Menschen mit Hilfe von Sensoren Worte direkt aus ihrem Gehirn in Computer eingeben zu lassen, präsentiert. Quelle: dpa

Wenn es nach den jüngsten Entwicklungen und Innovationen geht, wird unsere Zukunft gespenstisch. Unsere Gehirne schreiben Social-Media-Posts, ohne dass wir sie tippen müssen. Die Werbung greift tief in unser Unterbewusstsein ein, kennt unsere Wünsche und Bedürfnisse und steuert unsere Käufe, ohne dass wir einen Finger rühren müssen. Ist das die Zukunft, von der wir träumen?

Auf seiner jüngsten F8-Entwicklerkonferenz stellte Facebook ein neues, faszinierendes Konzept vor: Das weltweit führende Online-Netzwerk will Menschen direkt aus dem Gehirn Worte in ihre Computer schreiben lassen. Nicht weniger als 60 Forscher sind auf das visionäre Projekt angesetzt. Das klingt nach Science Fiction - und bleibt es womöglich auch.

In den Adern gefriert das Blut

Facebook betont, dass man keinesfalls beabsichtige, wahllos die Gedanken der Nutzer zu lesen. Nur die Gedanken, die an das Sprachzentrum weitergeleitet würden, seien angeblich gemeint. Wie man diese von anderen Gedanken zu trennen beabsichtigt, darüber schweigt sich Facebook aus. Dennoch dürfte schon die Ankündigung Datenschützer, Politiker und User aufschrecken. Denn Facebook verdient Milliarden mit Werbung, die individuell auf die Nutzer zugeschnitten wird. Alleine die Vorstellung, dass diese Werbung künftig sogar an unsere Gedanken angepasst werden könnte, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.

Dem Mediaexperten Ralf Schwartz hat das keine Ruhe gelassen. Er testete aus, wie das Ergebnis aussähe, wenn unser Gehirn direkt postet. Er verfasste einen lesenswerten Blogpost konsequenterweise bei Facebook („Wow! F*** this works!“) und schließt mit den Worten: „Denn wir sind alle ein bisschen Tourette.“

In eine ähnliche Kerbe schlägt eine andere Meldung, in der es ebenfalls um Facebook geht. Die australische Zeitung „The Australian“ veröffentlichte ein geheimes Dokument, in dem beschrieben wird, wie Werbungtreibende durch Facebook-Beiträge von Jugendlichen auf deren Stimmung schließen können, um dann gezielt Anzeigen zu schalten.

Facebook überschreitet den Rubikon

Dem Bericht zufolge ist es Facebook möglich, Informationen zur Psyche der Nutzer zu sammeln, um damit Geschäfte zu machen. Das Netzwerk „nutze diese Daten, um Werbekunden den passenden Rahmen für ihre Werbeschaltungen zu bieten“.

Mit dieser neuartigen Form der Überwachung mitsamt der Schlussfolgerung auf die Stimmung der User überschreitet Facebook in den Augen vieler den Rubikon des Erlaubten. In einem ersten Statement entschuldigte sich Facebook zwar. Doch es wird den Konzern wohl nicht davon abhalten, solche Datenanalysen weiter zu betreiben. In einer zweiten Erklärung bezeichnete Facebook den Artikel als „irreführend“ und stritt alles ab.

Dagegen erscheint Amazons Alexa und die Verbindung von Sprachassistent, Smart Home und Supermarkt fast wie ein Kinderspielzeug.

Kaum sind Alexa und Google Home auf dem Markt, herrscht in der Werbung Goldgräberstimmung. Doch egal, ob die Verbraucher Werbung in ihren Wohnzimmern zulassen: Amazon verfolgt mit Alexa einen ganz anderen Plan.
von Thomas Koch

Der Blick ins Unterbewusstsein

Es stellt sich unweigerlich die Frage, ob die Werbung in Zukunft unsere intimsten Gedanken und Gefühle für ihre Zwecke nutzen wird. Die noch junge Disziplin des Neuromarketings behauptet, genau das zu können. Es geht dabei um die Optimierung von Marketingprozessen. Unsere Kaufentscheidungen sind nun einmal erheblich stärker durch Emotionen als durch rationale Überlegungen geprägt. Da wir Konsumenten uns aber nicht all unserer Motive bewusst sind und demzufolge keine verlässliche Auskunft darüber geben können, erhofft man sich durch den Einsatz neurokognitiver Methoden den direkten Zugriff auf unser Gehirn.

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