Japan Shimano bricht alle Rekorde

Der japanische Fahrradausstatter Shimano bricht alle Absatzrekorde. Doch erste Abnehmer klagen über die Arroganz des Quasi-Monopolisten.

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Shimano-Mitarbeiter auf dem Fahrrad vor der Zentrale in Sakai Quelle: Robert Gilhooly für WirtschaftsWoche

Fremde können es kaum fassen. Vor den Werkstoren kurven Frauen, Angestellte in dunklen Anzügen bahnen sich den Weg ins Büro – die meisten auf uralten klapprigen Fahrrädern, manche mit Einkaufskorb, aber ohne Klingel, ohne Schutzblech, ohne Licht.

Doch kaum treten die vermeintlichen Steinzeitradler hinter die Fassade des schlichten Fabrikgebäudes, gibt es nur vom Feinsten, herrschen Überfluss und High Tech – seit 87 Jahren produziert das japanische Unternehmen Shimano hier in Sakai, einer Industriestadt im Zentrum des Landes, Komponenten für Fahrräder. Und immer wenn Gäste kommen, tritt Marketing-Chef Masahiko Jimbo auf die hauseigene Teststrecke und präsentiert den letzten Schrei auf zwei Rädern.

Die Saint-Gruppe zum Beispiel, fein aufeinander abgestimmte Komponenten zum Schalten und Bremsen, die in diesen Tagen zu den Kunden kommen. Sie sollen Mountainbiker noch besser die Berge hinunterbrettern lassen. Oder die elektronisch gesteuerte Schalt- und Bremsanlage Dura Ace Di2: Halsbrecherisch rast Jimbo mit einem Rennrad über die Testbahn, bremst abrupt und beschleunigt extrem. Di2 steht für digital. Durch die fest einprogrammierten Gänge schaltet das Rad faktisch im Alleingang immer sauber und selbst unter hoher Pedalkraft.

„Wir haben die gesamte Schaltung über Chips elektronisch verbunden“, sagt Jimbo. Mithilfe der Elektronik sollen Profis noch schneller die Alpenetappen fahren und selbst im Sprint schalten können, schwärmt der Ex-Amateur-Rennfahrer, der seit 24 Jahren bei Shimano arbeitet. Was für den einen Schnickschnack und den anderen der technische Durchbruch sein mag, hat für Shimano stets besondere Bedeutung. Jede Innovation hilft dem Familienunternehmen aus Zentral-Japan, seine inzwischen monopolartige Stellung im Geschäft rund ums Fahrrad zu festigen und auszubauen.

Anders als bei Autos oder Kühlschränken fragen Käufer im Fahrradgeschäft immer weniger nach dem Hersteller des Velos, sondern von wem die Komponenten stammen – sprich: nach Shimano. Geschafft hat so etwas allenfalls der US-Chiphersteller Intel, dessen Label „Intel inside“ erst manchen Verbraucher zum PC oder Laptop greifen lässt. Qualitätszulieferer wie der Stuttgarter Bosch-Konzern können davon nur träumen. Anders als beim Fahrrad würde niemand ein Auto kaufen, weil das Antiblockiersystem von Bosch stammt.

Shimano-Marketing-Chef Masahiko Jimbo Quelle: Robert Gilhooly für WirtschaftsWoche

Die marktbeherrschende Akzeptanz haben sich die Japaner hart erarbeitet. Noch bis in die Achtzigerjahre war es beim Fahrrad wie beim Auto: für die Komponenten interessierten sich höchstens Spezialisten. Die Bremsen, Pedale, Zahnräder, Naben und Schaltungen stammten zumeist von verschiedenen Herstellern. Diesem Sammelsurium bereitete Shimano schrittweise ein Ende, indem das Unternehmen aus den Einzelteilen zusammenhängende Komponentensysteme schmiedete, die sogenannte Gruppe. Damit legten die Japaner den Grundstein zu ihrem künftigen Erfolg. Denn mit dem fein abgestimmten Komponentensystem beendeten sie nicht nur die unseligen Zeiten, in denen Komponenten unterschiedlicher Herseller mehr oder weniger exakt zueinander passten und Radfahrer wie Monteure nervten.

Für Shimano hatte die Strategie einen herausragenden zweiten Effekt. War die Gruppe aus einem Guss erst einmal montiert, passten fremde Teile nicht mehr so richtig dazwischen – eine Marktzutrittsbarriere für die bisherigen Teileproduzenten. Nur wer wie die italienische Edelkomponentenschmiede Campagnolo ebenfalls den Schritt in die Gruppentechnologie wagte, konnte streckenweise mithalten.

Schon jetzt dominiert Shimano mit einem Marktanteil von 80 Prozent den weltweiten Markt für Fahrradkomponenten derart, dass die Stellung mit Microsoft verglichen wird. Shimano behandle manche Fahrradproduzenten ähnlich arrogant wie der Softwareriese aus den USA, sagen Kritiker. Manche Komponenten gebe es nur en bloc zu kaufen. Sei ein Einzelteil defekt, müsste gleich das ganze System ausgetauscht werden. Zugleich schlachte Shimano seine Marktposition aus. Teure neue Komponentengruppen würden sich häufig nur durch aufwendigeres Design und unnötige Extras von vergleichbaren Varianten im mittleren Preissegment unterscheiden, beschweren sich immer mehr Fahrradfans in Internet-Foren. Shimano bestreitet solche Vorwürfe vehement. „Wir zwingen doch keinen, unsere Systeme zu verwenden“, sagt Finanzchef Yoshihiro Hirata. „Unsere Komponenten sind fast alle kompatibel“, versichert auch Europa-Manager Frank Peiffer. „Die Kunden können ganze Pakete kaufen oder einzelne Teile auswählen.“

Nicht ausdrücklich dementieren wollen die Shimano-Leute jedoch ihr geheimbündlerisches Selbstverständnis, dem sie zu einem guten Teil ihren Aufstieg vom einstigen Zahnradhersteller zum Champion der Fahrradkomponenten verdanken. Bis heute zählt Verschwiegenheit zur Unternehmenskultur wie der Lenker zum Fahrrad. Die Werkshallen, vor denen die Fahnen mit einem etwas verblassten Firmenlogo und dem orangefarbenen Slogan „Team Shimano“ wehen, sind für Fotografen gänzlich und für die meisten Betriebsfremden weitgehend geschlossen. Eine Besichtigungserlaubnis gibt es nur selten und wenn, dann geht es im Zickzackkurs durch die Produktion, der die Besucher mehr verwirrt als ihm ein Bild von den Abläufen zu ermöglichen.

Shimano-Europa-Manager Frank Peiffer Quelle: Robert Gilhooly für WirtschaftsWoche

„Professionelle Augen könnten unsere Kapazitäten und Kosten kalkulieren, sie könnten erkennen, wie wir die Produktion organisieren und vor allem sehen, wie die besonders ausgewählten Teile in der Kaltschmiede bearbeitet werden“, erklärt Manager Jimbo die Geheimniskrämerei.

In den so streng gehüteten Hallen von Sakai fabrizieren knapp 2500 Mitarbeiter zusammen mit Robotern rund 200.000 verschiedene Teile, die dann zusammengesetzt alle jene Komponenten und Systeme ergeben, die Fahrräder aller Klassen und Kategorien ausrüsten. Weltweit beschäftigt das Unternehmen 9000 Mitarbeiter, produziert in 14 Fabriken und acht Ländern.

Um Ideenklau vorzubeugen, konzentriert sich Shimano ganz auf das Heimatland. „Neue Entwicklungen kommen fast immer aus den japanischen Mutterfabriken“, sagt Marketingdirektor Jimbo. Er sieht die Möglichkeiten, ein Fahrrad hochzurüsten, lange nicht ausgereizt. Navigationssysteme und Geräte, die Gesundheit oder Fitness des Fahrers testen, sollen neue Käuferschichten anlocken – ohne allerdings die Preisgrenze für viele Verbraucher zu überschreiten, die Marketing-Mann Jimbo bei einem Preis von unter 2000 Euro ansetzt.

Das ist gemessen am Einkommen in vielen Ländern viel. Deshalb findet Shimano die besten Kunden in den wohlhabenden Industriestaaten. Insgesamt gehen 95 Prozent der Komponenten ins Ausland. Dabei sind nicht Japan oder die USA die Favoriten, sondern die Europäer, die 2007 für über 41 Prozent des Umsatzes sorgten. „Japaner benutzen ein Fahrrad nur als Kurzstrecken-Verkehrsmittel, Amerikaner fast ausschließlich aus sportlichen Motiven“, sagt Europa-Manager Peiffer. „Europäer jedoch radeln zu jeder Gelegenheit.“

Den Erfolg außer Landes verdankt Shimano Unternehmensgründer Shozaburo Shimano, einem der frühen Globalisierer der Industriegeschichte. Der Firmenpatriarch zählt zusammen mit den Gründern von Toyota und Honda sowie seinem persönlichen Freund Konosuke Matsushita, dem Erfinder der Unterhaltungselektronikmarke Panasonic, zu den Aushängeschildern des japanischen Wirtschaftswunders im vergangenen Jahrhundert. Schon 1921 soll der leidenschaftliche Techniker als Chef eines Zweimannbetriebes für Fahrradreparaturen beschlossen haben: „Ich möchte erreichen, dass Shimano-Produkte die besten in Kansai (in der Heimatregion um Osaka) sind, dann die besten in Japan und schließlich die besten in der ganzen Welt.“

Shimano: Mitarbeiter beim Mitagessen in der Kantine Quelle: Robert Gilhooly für WirtschaftsWoche

Der Firmengründer hatte seine Pläne kaum gefasst, da fertigte er auch schon Japans erste Freilaufzahnkränze für das Hinterrad eines Fahrrads – nach englischem Vorbild und mit einer geliehenen Drehmaschine. Die Ware lieferte er mit dem Handkarren aus. Zehn Jahre später exportierte der Kleinbetrieb die ersten Teile ins Ausland.

Noch immer halten die Shimanos zusammen, wie es ihnen Shozaburo, der 1958 im Alter von 64 Jahren starb, vorlebte. Die drei Söhne führten das Erbe fort, seit Shozo als Ältester mit 30 Jahren in den Chefsessel stieg. Tapfer wehrten die Junioren alle Übernahmeversuche japanischer Konkurrenten ab und gaben selbst dem Autobauer Honda einen Korb.

In fast genialer Voraussicht hatte der Vater die Talente seiner Sprösslinge gefördert. Shozo, der Älteste, gilt als Stratege und Manager, der mittlere Sohn, Keizo, als technisch hochbegabt, auf ihn gehen viele Erfindungen zurück. Und der jüngste Stammhalter, Yoshizo, macht als Verkäufer und Marketingmann von sich reden, der vor der Karriere im väterlichen Unternehmen als blutjunger Anfänger bei Nissan auf Anhieb bester Autoverkäufer wurde. Ihm gelang der internationale Durchbruch bei Shimano, indem er in die Phalanx der europäischen Komponentenhersteller einbrach, die 1970 mit ihren Zehn-Gang-Kettenschaltungen die Branche völlig beherrschten.

„Die Europäer hatten damals einen großen Vorsprung“, erinnert sich Yoshizo Shimano in seinem auf Englisch erschienenen Buch „This is my road“. Aber die Konkurrenten hätten strategische Fehler begangen, sich nur um ihren Heimatmarkt gekümmert. Yoshizo dagegen berichtete seinen Brüdern Anfang der Siebzigerjahre aus New York: „Die Zehn-Gang-Schaltung ist hier der absolute Hammer, jeder Amerikaner will das haben. Fahrt die Produktion hoch!“ Die Umsätze in den USA verdreifachten sich binnen weniger Jahre, und Shimano verkaufte 60 Prozent seiner Fahrradteile jenseits des Pazifiks.

Seitdem läuft das Geschäft rund. Mit gut einer Milliarde Euro und einem Plus von 27 Prozent stellte Shimano 2007 das zweite Jahr in Folge einen Umsatzrekord auf. „Das Rad bekommt in der Gesellschaft einen größeren Stellenwert als je zuvor“, freut sich Finanzchef Yoshihiro Hirata. „Das Gesundheitsbewusstsein nimmt ebenso zu wie die Sorge um die Umwelt.“ Hirata rechnet deshalb mit weiteren Steigerungen.

Mit Freude beobachten die Shimanos, wie Europas Politiker die Bürger zum Radfahren animieren und Städte wie Paris flächendeckend Ausleihstationen für den ökofreundlichen Umstieg vom Auto aufs Zweirad einrichten. Auch rasant steigende Benzinpreise sind gute Nachrichten. „Das Fahrrad als populärstes Nahverkehrsmittel – das wäre eine schöner Triumph für uns“, sagt Marketing-Profi Jimbo. „Dafür würden wir ihm sogar Fliegen beibringen.“

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