Kampf dem Herrschaftswissen

Organisationstraining kann lohnen: 20 Prozent Effizienzgewinn sind bei Management- und Routinearbeiten erreichbar.

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Wohin man in Ulrich Masuchs Büro blickt, türmen sich überall Papierberge. Auf dem Schreibtisch, in den Fächern der langen Regalwand, auf dem Besprechungstisch, in den Ablagefächern aus Kunststoff. Die sauber beschrifteten Ordner im Regal dagegen sind fast leer. Das Büro sieht nach harter Arbeit aus – und nach schwerem Chaos. Bis zu zwölf Stunden täglich arbeitet Masuch in diesem Tohuwabohu. Er ist Betriebsleiter der Essener NGT GmbH, einem bundesweit agierenden Dienstleister für Energieversorger. In seinem Büro steuert Masuch den Außendienst auf den Baustellen in ganz Deutschland – und sucht Unterlagen. Dass er nicht effizient arbeitet, ist ihm schon lange aufgegangen. „Ich verliere jeden Tag mindestens zwei Stunden mit dem Ordnen meiner Papierberge", gibt Masuch unumwunden zu. Nur ändern konnte er das bisher nicht. Um Masuchs Chaos ein für alle Mal ein Ende zu bereiten, hatte NGT-Chef Hartmut Henning die Organisations-Trainerin Katharina Dietze engagiert. Die Geschäftsführerin der Schwelmer IBT soll allen 26 Mitarbeitern in der Essener Zentrale des Unternehmens – einschließlich der Geschäftsführung – die Grundregeln des effizienten Arbeitens einbläuen, die Teams untereinander kompatibel machen und damit die täglichen Arbeitsabläufe effizienter gestalten. Auch vor schweren Fällen wie Masuch kapituliert Dietze nicht. Nachdem sie sich kurz in Masuchs Büro umgeschaut hat, legt die Trainerin los. Wahllos hebt sie Papier aus dem Regal und stapelt es vor Masuch. Ganz oben liegt eine Ausgabe der Zeitschrift „Energie Wasser Praxis“. „Was müssen Sie damit noch machen?“ fragt Dietze. „Nur einmal durchblättern, ob etwas interessantes drin steht“, antwortet Masuch. „Dann machen Sie das sofort und schmeißen sie es weg“, antwortet Dietz. Und nach einer Minute ist das Heft im Papierkorb. Nach einer knappen Stunde haben Dietze und Masuch mehrere Papierstapel abgetragen. Das meiste kommt in den Müll, übrig bleiben Büromaterial und Unterlagen, die Masuch an Kollegen weiterreichen will. Immer wieder hat Dietze eine ihrer zentralen Botschaften zitiert: das Sofort-Prinzip. „Fragen Sie sich bei jeder Unterlage: Was muss ich damit tun, was ist zu entscheiden? Und dann handeln Sie sofort, ohne Papierberge anzulegen.“ NGT-Chef Hartmut Henning ist mit seinem Bestreben nach mehr Ordnung in den Büros seiner Mitarbeiter nicht allein. In der Konjunkturkrise entdecken viele Unternehmen im Chaos ihrer Mitarbeiter ein riesiges Einsparpotenzial und versuchen Büro-Vermüllern und Aktensammlern ihren ineffizienten Arbeitsstil auszutreiben. „Nachdem der Traum vom papierlosen Büro heute ausgeträumt ist, wollen die Unternehmen jetzt systematisch Ordnung in die Papierablagen bringen“, urteilt Reinhold Weiß, Weiterbildungsspezialist vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Trainerinnen wie Katharina Dietze versprechen ihren Kunden dabei einen besonders hohen Effizienzgewinn, wenn sie nicht nur einzelne Mitarbeiter, sondern gleich ganze Teams trainieren und die einzelnen Ordnungssysteme aufeinander abstimmt . Die Ordnung im eigenen Büro ist dabei nur der erste Schritt. Noch wichtiger ist die Einführung eines gemeinsamen Ablagesystems, sowohl bei Hängeregistern für Papier als auch beim elektronischen Datenspeichern. Das Ziel: Jeder Mitarbeiter soll jedes Dokument sofort finden können, auch in den Büros und auf den Festplatten der Kollegen. „So lässt sich die Produktivität um bis zu 20 Prozent erhöhen“, verspricht Trainerin Dietze. Das ehrgeizige Ziel ist nur zu erreichen, wenn alle Mitarbeiter ihren persönlichen Arbeitsstil ablegen und sich gemeinsamen Standards unterordnen. Dass dabei Individualität und vermeintlich kreatives Chaos auf der Strecke bleiben, lässt Dietze nicht gelten: „Individualität ist in unserem Arbeitsalltag ein völlig überhöhter Wert“, schimpft die Trainerin und verweist auf die Vorteile der drei zentralen Ziele. Zeitgewinn durch weniger Suche. Durch das Abtragen und Vermeiden von Papierbergen sowie das standardisierte Ablagesystem sind Informationen schneller auffindbar. Um den Umfang der Ablage übersichtlich zu halten, werden nur solche Informationen aufbewahrt, die bei Bedarf nicht kurzfristig wieder beschafft werden können. Bessere Planung und effizientere Entscheidungen. Wer kürzer suchen muss, dem bleibt mehr Zeit für Planung und kreative Tätigkeiten. Ein wichtiger Nebeneffekt: Das Sofort-Prinzip bringt schnelle Entscheidungen – und die sind für Unternehmen heute wichtiger als langes Aussitzen. Bessere Kommunikation im Team. Die gemeinsame Ablage sowie das Sofort-Prinzip führen zu einem effizienteren Informationsfluss. Die Folge ist, dass weniger Herrschaftswissen gebunkert werden kann und gibt allen Kollegen den Überblick über die Arbeit der anderen Team-Mitglieder. Diese Grundregeln vermittelt Trainerin Dietze den Mitarbeitern ihrer Kunden an vier Übungs-Tagen im Unternehmen vor Ort. Zuerst geht es dabei um die Papier-Ablage und das Sofort-Prinzip, danach um die EDV und eine gemeinsame Besprechungskultur. Kostenpunkt bei einem 6-Mann-Team: 7 400 Euro. NGT-Geschäftsführer Henning wähnt das Geld gut angelegt. Nach der Einführung eines elektronischen Abrechnungssystems peilt er jetzt eine direktere interne Kommunikation und den schnelleren Informationsfluss zwischen seinen Mitarbeitern an. „Wenn wir durch das Training die Effizienz der Arbeitsabläufe nur um zehn Prozent steigern können, bringt uns das bereits einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz“, rechnet er vor. Organisations-Trainer bauen ihre Systeme für ganze Abteilungen oft mit verschiedenen Farben zur besseren und schnelleren Orientierung auf. Doch der Schuss kann nach hinten losgehen, insbesondere wenn eher Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes denn Mut regiert. So erzählt ein Mannheimer Rechtsanwalt von einem Mitarbeiter, der farbenblind war – und dieser sich nicht traute, es zuzugeben. Die Folge: Das ganze schöne System erschloss sich ihm nie und die Kette wurde bei ihm immer unterbrochen. Und lange verstand keiner, warum. Und dass Unordnung zuweilen sogar nützlich ist, beweist einer der berühmtesten Chaoten, Albert Einstein. Im Grunde hatte auch er ein Ordnungssystem, das nur anders funktionierte: Er fand sich in seinen Papierstapeln gut zu recht – er konnte sie zeitlich zuordnen. Nur eben kein anderer.

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