
WirtschaftsWoche: Herr Rorsted, Sie stehen erst seit April an der Spitze von Henkel, schon ranken sich Mythen um Sie. Zum Beispiel, dass Sie jeden Morgen um 5.00 Uhr aufstehen und eine Stunde joggen.
Rorsted: Ertappt. Ich bin heute erst um 5.50 Uhr aufgestanden, aber ich bin wirklich knapp eine Stunde gelaufen. Wenn ich in Düsseldorf bin, mache ich das eigentlich immer. Zumindest versuche ich es, ich fühle mich dann einfach besser, denn ich sitze ja tagsüber die meiste Zeit.
Klingt diszipliniert.
Na ja, ich könnte auch abends joggen, aber dann nimmt diese Art von Disziplin doch etwas ab. Am Abend finde ich zu viele Ausreden, nicht mehr zu laufen.
Schon Ihr Vorgänger Ulrich Lehner hatte ein Faible für Marathon. Ist Laufen eine Grundvoraussetzung um an die Henkel-Spitze zu kommen?
Sicher nicht, aber es ist schwer, jemanden zu finden, mit dem man Sport treiben kann – um sechs Uhr in der Früh. Selbst mein Hund steht nicht gern so früh auf. Laufen kann ich alleine, immer und überall, ohne große Ausrüstung. Auch wenn ich geschäftlich unterwegs bin. Im Fitnessraum des Hotels, in Parks oder wo auch immer. Das ist ein pragmatischer Sport.
Einen langen Atem und eine Portion Pragmatismus brauchen Sie wohl auch im Job: Immerhin muss Henkel gerade den größten Zukauf der Firmengeschichte verkraften. Knapp zwei Milliarden Euro Umsatz sind hinzugekommen – wie weit sind Sie mit der Integration des amerikanischen Klebstoffherstellers National Starch.
Wir haben die National-Starch-Geschäfte am 3. April übernommen, vor gerade mal zweieinhalb Monaten. Was für uns wichtig war: Wir wollten vom ersten Tag an Klarheit darüber, wer die führenden Manager in den neuen Strukturen und Hierarchien unserer Klebstoffsparte sind. Und es ist uns gelungen, am Tag eins die oberen 120 Führungskräfte zu benennen. Jetzt treffen wir uns alle 14 Tage im Steuerungskomitee und diskutieren dort mehrere Stunden die nächsten Schritte.
Wie muss man sich so einen Auswahlprozess vorstellen? So eine Führungsmannschaft zusammenzustellen kann Jahre dauern.
Ende 2007 haben wir begonnen, uns 180 Kandidaten anzuschauen und sie durch ein Auswahlverfahren geschickt, das ein externer Dienstleister so organisiert hat, dass alle kartellrechtlichen Vorgaben gewahrt wurden. Wir wollten eine objektive Einschätzung über die Fähigkeiten vermittelt bekommen. Nicht nur die Kollegen von National Starch, sondern auch die Henkel-Kandidaten mussten durch den Auswahlprozess. Ergänzt um persönliche Gespräche hat dieser Vorgang rund 90 Tage gedauert. Zeitgleich haben wir die neuen Führungsstrukturen und die einzelnen Hierarchieebenen geplant, sodass wir am Tag eins voll handlungsfähig waren. Parallel haben wir auch in einer Art Bewertungsverfahren versucht, ein Verständnis für die Unternehmenskultur von National Starch zu bekommen. Schließlich scheitert bei vielen Unternehmen die Integration am Faktor Mensch. Vor allem, wenn man Wettbewerber war. Gestern Feind, heute Freund, das geht oft schief.
Wie setzt sich das Führungsteam zusammen?
Es sind ungefähr zur Hälfte Henkel- und National-Starch-Mitarbeiter, was jedoch keine Vorgabe war. Kompetenz zählte, nicht die Quote. Wir konnten dadurch auch sicherstellen, dass die Kunden von Tag zwei an genau wussten, von wem sie fortan betreut werden und wer ihre Ansprechpartner sind. Und ganz nebenbei haben wir natürlich unsere Position als Weltmarktführer bei Klebstoffen und Oberflächentechnologie ausgebaut.
Warum ist Größe und Marktführerschaft bei dieser Übernahme so wichtig?
Weil auch die Kunden sehr groß sind. Das sind durch die Bank globale Konzerne aus den Industriezweigen Automobil, Luftfahrt und Elektronik, darunter bekannte Namen wie Toyota, Volkswagen, Airbus, Boeing, Sony oder Motorola. Wenn so ein Kunde in der Zentrale eine Entscheidung trifft, dann hat das sofort auch globale Auswirkungen. In der Elektronikindustrie werden 80 Prozent der Entscheidungen in Kalifornien gefällt, produziert wird dagegen zu 95 Prozent in Asien. Wir brauchen also die Größe, um unsere Dienstleistungen in den USA anbieten zu können und gleichzeitig auch in Asien umfassend präsent zu sein.
Kamen mit National Starch auch neue Technologien zu Henkel?
Ja, besonders im Elektronikbereich haben wir viel Wissen und neue Technologien bekommen. National Starch bietet einen Spezial-Klebstoff, mit dem elektronische Chips auf Bankkarten geklebt werden. Henkel bietet Lösungen zum Schutz dieser sensiblen Chips vor schädlichen Umwelteinflüssen wie Hitze oder Sonneneinstrahlung. Die Kombination beider Geschäfte erlaubt es nun, den Kunden beide Lösungen aus einer Hand anzubieten.
Und wie hoch sind die Überschneidungen?
Die Überlappungen liegen bei 20 bis 30 Prozent des gesamten Produktangebotes. Die müssen wir mittelfristig reduzieren, was jedoch ohne Umsatzeinbußen machbar sein wird. Theoretisch könnten wir morgen sagen: Dieses Produkt haben wir nicht mehr im Sortiment...
...praktisch würden Sie damit aber Ihre Kunden vergraulen.
Das ist der Punkt. Daher ist es wichtig, den Kunden immer eine gute Alternative anzubieten. Unsere Industrieklebstoffe spielen oft eine wichtige Rolle im Fertigungsprozess unserer Kunden. Deshalb müssen wird exakt den richtigen Zeitpunkt finden, wann wir welches Produkt ersetzen.
Eine solche Situation müsste Ihnen vertraut sein. Sie waren als Europachef von Hewlett- Packard mitverantwortlich für die Integration des Computerherstellers Compaq. Auch deren Kunden wollten ja nicht über Nacht von Compaq-Rechnern auf HP-Geräte wechseln.
Das ist wirklich sehr ähnlich. Es beschränkt sich bei Kundengesprächen auf immer die gleichen Faktoren: Lösungen, das Verhältnis von zusätzlichem Nutzen und Preis, Liefersicherheit, Dienstleistung – ob Sie nun Industrieklebstoff oder Großrechner verkaufen.
Im Henkel-Vorstand sitzen nun mit Ihnen und dem für das Klebstoffgeschäft zuständigen Thomas Geitner zwei Manager aus der High-Tech-Branche. Zufall oder Kalkül?
Zufall. Wir wollten die besten Leute. Was jedoch kein Zufall ist: Die Mitarbeiter, die wir jetzt suchen, müssen internationale Erfahrung haben und im Ausland gearbeitet haben. Und es gibt nun mal Branchen, die globaler sind als andere Branchen. Dabei ist mir die Nationalität völlig egal.
Wandelt sich also die Anforderung im Top-Management von der fachlichen hin zur Kompetenz in internationaler Erfahrung?
Natürlich muss man das Geschäft verstehen. Aber eben auch die Globalität und die kulturellen Unterschiede. Jeden Tag wechseln die Spielregeln, abhängig davon, ob ich in Moskau, New York oder Peking unterwegs bin. Die Regeln kann man aber nur verstehen und einhalten, wenn man auch im Ausland lebt oder gearbeitet hat. Ich würde keinen Manager für einen internationalen Posten einstellen, der mir sagt: Ich habe einen internationalen Job nur von Kopenhagen aus gemacht.