Kino Filme ohne Geschichte

Die Regisseurin Caroline Link erklärt, warum gute Filme ohne Geschichte auskommen.

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Bill Murray und Scarlett Quelle: AP

"Um Gottes Willen, wer will das denn schon sehen?“ Diese Frage muss ich mir fast jedes Mal gefallen lassen, wenn ich ein neues Drehbuch vorlege. Wie oft haben Geldgeber da schon die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen! Daran hat nicht mal mein Oscar etwas geändert. Natürlich weiß ich: Um Menschen dazu zu bringen, überhaupt ins Kino zu gehen, brauchen Filme eine gute Geschichte. Aber der äußere Handlungsrahmen ist nicht alles. Gute Filme funktionieren nicht nur dank ihrer Story. Es sind die Figuren, die Menschen in der Geschichte, die glaubhaft und faszinierend sein müssen. Ich gehe meinen Weg also von innen nach außen: Mich treibt beim Drehen die Suche nach dem emotionalen Kern – so etwas wie der kleine Film im großen. Eine Rahmenhandlung brauche ich nur, um diese extreme Verdichtung zwischenmenschlicher Konstellationen zum Zuschauer zu transportieren. So entsteht im besten Fall ein Film, dessen Konflikte nicht künstlich konstruiert sind und dessen Figuren sich der Story nicht unterordnen, sondern diese selbst tragen. Auch, weil sie etwas mit mir zu tun haben. Sowohl was das soziale Milieu angeht, in dem sie leben, als auch, was sie in ihrem Innersten umtreibt.

Oft geht es in meinen Filmen um Menschen, die sich, in unterschiedlichen Variationen, in ihrer eigenen Familie verlassen, einsam, nicht wahrgenommen fühlen. Und dann Trost bei Fremden suchen und finden – wie ein Licht am Ende des Tunnels, für das ich auch die Zuschauer sensibilisieren möchte: dass das Leben zwar kompliziert sein kann, aber trotzdem immer auch ein Geschenk ist. So wie für die beiden Haupfiguren in „Im Winter ein Jahr“.

Auch in Lost in Translation geht es um die Konstellation „jüngeres Mädchen – älterer Mann“. Sie kommen zwar nicht zusammen, geben sich aber gegenseitig Trost, obwohl sie nie über die eigentlichen Probleme sprechen. Sie spüren sich – das hat mir wahnsinnig gut gefallen. Glücklicherweise gibt es solche komplexen, erwachsenen Figuren mittlerweile auch im deutschen Kino wieder häufiger. Wie jüngst in Anonyma von Max Färberböck. Ein Film, der es sich nicht leicht macht – über eine Gruppe von Frauen, die in Berlin im April 1945 den Einmarsch der russischen Armee erleben. Und sich – für mich der entscheidende Konflikt – mit dem Teufel arrangieren müssen, während die Welt um sie herum im Chaos versinkt. Sehr schätze ich auch die eindringlichen, verschachtelten Filme von Atom Egoyan, den ich als Filmstudentin mal auf den Hofer Filmtagen betreut habe. Besonders mag ich „Das süße Jenseits“: Nach dem Unfall eines Schulbusses versinkt ein ganzes Dorf in kollektiver Schockstarre.

In bester Erinnerung habe ich auch den ersten Teil der Trilogie Heimat. Edgar Reitz hat damals für Monate mit einer faszinierenden Mischung aus Schauspielern und Laien aus dieser Region gedreht, das war dann irgendwann wie eine Familie: Man ist über’n Zaun gesprungen, um zum Drehen zu gehen. Und es war das erste Mal in dieser Zeit, dass explizit Wert auf lebendigen Dialekt gelegt wurde. Reitz und sein Autor Peter Steinbach haben sehr an den Details gearbeitet – eine Einstellung, an die ich auch selbst fest glaube: komplexe politische und soziale Zusammenhänge – in diesem Fall die Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg – zu erklären durch den genauen Blick auf die Details. Was die Kinder in dieser Zeit gespielt haben, was man gegessen und angezogen, womit man sich beschäftigt hat – um dem Zuschauer die damalige Realität und die Region sinnlich spürbar als auch rational begreifbar zu machen.

Caroline Link

Sehr nahe gegangen ist mir im vergangenen Jahr Into the Wild von Sean Penn. Ein Film über einen jungen Mann aus wohlhabender Familie, der von zuhause weggeht, weil er den Leistungsdruck nicht mehr aushält und nach einem echten, tiefen Sinn im Leben sucht. Besonders bewegend ist der Moment kurz vor seinem Tod, als er aufschreibt, was er nach dieser langen Odyssee des Alleinseins und Kämpfens in der Natur begriffen hat: Dass alles nichts wert ist, wenn man es nicht teilen kann. Obwohl oberflächlich gesehen kaum etwas passiert in dem Film, war ich nachher vollkommen aufgelöst.

Gemeinsam mit meinem Mann zu drehen, kann ich mir übrigens nicht vorstellen. Wie auch? Regie zu führen ist kein demokratisches Unternehmen. Einer muss der Boss sein. Und mich von meinem Mann durch die Gegend scheuchen zu lassen – das ging noch, als ich vor Jahren seine Assistentin war, jetzt muss das nicht mehr sein. Überhaupt, man muss ja nicht pausenlos Filme drehen. Das echte Leben ist aufregend genug.

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