Lebensmittel Die süßen Wunder aus Halle

Sie prosperieren ausgerechnet in der ostdeutschen Chemiehochburg Halle – das Schokoladenwunder Halloren und das Kuchenwunder Kathi.

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Deutschlands älteste Schokoladenfabrik Halloren in Halle/Saale Quelle: dpa/dpaweb

Wenn in Halle die Straßenbahn Nummer neun vom Bahnhof in Richtung Halle-Neustadt fährt, schwingt immer ein Stück Geschichte mit. „Haltestelle Saline. Einziges salzproduzierendes Museum in Deutschland“, sagt die Frauenstimme aus dem elektronischen Ansagekasten vorn beim Fahrer.

Denn ohne Salz gäbe es in Halle wohl auch die Halloren-Schokoladenfabrik nicht, Deutschlands älteste Produktionsstätte dieser Art. Und ohne die Fabrik gäbe es auch keine Halloren-Kugeln, jene braunen, kaum zehn Zentimeter großen Kugeln mit der Betonung auf dem „o“, deren Aussehen an winzig kleine Schokoküsse erinnert. Halloren, so hießen einst die Bewohner, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts im „Thale zu Halle“ an der Saale siedelten und von der Salzgewinnung lebten. Die klunkerhaften Silberknöpfe auf den Trachten der Salzleute wurden irgendwann zum Vorbild für die Schokobällchen, die heute mal mit Frucht oder Likör, mal mit Kakaocreme oder Diätmischung gefüllt und laut Halloren die einzigen „vertikal geteilten Pralinen der Welt“ sind.

Gut einen Kilometer Luftlinie von der Halloren-Fabrik entfernt, im östlichen Stadtteil Diemitz, inmitten von Industriebrachen und Fabrikruinen residiert Kathi. Die Kathi Rainer Thiele GmbH, wie das Unternehmen offiziell heißt, brachte schon 1953 ein fertiges Tortenmehl auf den Markt, lange vor Dr. Oetker oder Kraft. Heute produziert das mittelständische Unternehmen, das seit der Wende wieder in Familienhand ist, Dutzende Kuchen-, Plätzchen- und Pizzabackmischungen und ist klarer Marktführer in Ostdeutschland.

Halloren und Kathi sind zwei Ost-Ikonen, die in den neuen Bundesländern eine Bekanntheit genießen, die an die Wahlergebnisse der Sozialistischen Einheitspartei zu DDR-Zeiten, der SED, erinnert. Beide sind sie zwei typische Mittelständler, die zu Halle gehören wie das Salz aus den Hallenser Salinen. Sie haben den Faschismus und den DDR-Sozialismus überdauert, beide verkaufen sie im Bahnhof von Halle einträchtig nebeneinander ihre Leckereien. Im Kathi Halloren-Dessert steckt sogar von beiden etwas.

Nur wenige Ostprodukte und -Unternehmen haben die Wende so gut überstanden und bis heute ihre Selbstständigkeit bewahrt. Viele Unternehmen wurden nach der Wende privatisiert und von westdeutschen Konzernen geschluckt. Rotkäppchen-Sekt aus dem sächsischen Freyburg etwa wurde von der westdeutschen Fruchtsaft-Dynastie Eckes aufgepäppelt. Das sächsische Radeberger Pils landete unter dem Dach der Oetker-Unternehmensgruppe. Früher typische Ost-Marken wie Nudossi-Brotaufstrich, Rondo-Kaffee, Burger-Knäckebrot oder Bodeta-Bonbons scheiterten beim Versuch, in den Westen zu gehen, und versanken in der Bedeutungslosigkeit.

Halloren und Kathi ist es besser ergangen, beide haben durchgehalten, jeder auf seine Weise. Halloren ist heute börsennotiert, hat zwei westdeutsche Wettbewerber übernommen und richtet sich an den Bedürfnissen der großen Handelskonzerne aus. Produziert einerseits hochwertige Pralinen unter dem eigenen Namen oder Lizenzprodukte für die gehobenen Marken von Mövenpick und Käfer. In Ostdeutschland führt Aldi Halloren sogar als eines von wenigen Markenprodukten, weil die Kugeln dort hinter Mon Chéri von Ferrero und vor Toffifee von Storck die zweitbeliebteste Schokonascherei sind. Daneben produziert Halloren aber auch billige Handelsmarken für Ketten wie Penny oder Plus und kann so seine Kapazitäten besser auslasten.

Kathi hingegen schwört auf die eigene Marke, die Produktion von namenloser Massenware sind für den Familienbetrieb tabu. Im Gegensatz zum Nachbarn Halloren fällt es Kathi jedoch nach wie vor schwer, die hohe Bekanntheit im Osten auch in die neuen Bundesländer zu tragen. Und so unterschiedlich wie die Strategien der Unternehmen sind auch ihre beiden Chefs. Familienunternehmer Rainer Thiele ist ein kleiner untersetzter Mann mit Schnäuzer, bei dem der dunkelgraue Zweireiher immer ein wenig zu groß geraten wirkt. Der 65-Jährige trägt einen goldenen Siegelring und eine goldene Uhr und kann sich vor Ehrenämtern kaum retten. Und wenn der Patriarch von der Vergangenheit erzählt, dann ist er nicht mehr zu bremsen. Halloren-Chef Klaus Lellé ist Pfälzer, eher etwas wortkarg, schlank und sportlich, trotz der ungezügelten Vorliebe für die eigenen Leckereien. Zweimal im Jahr trifft sich der Ex-Banker mit befreundeten Managern aus der Ernährungsindustrie irgendwo in Deutschland zum gemeinsamen Kochen und Klönen. Der 48-jährige Manager, der seit über zehn Jahren in Halle wohnt, spielt in einer Band Posaune.

Halloren, das klingt, zumindest für ostdeutsche Ohren, nach Nostalgie. Der Bekanntheitsgrad zwischen Stralsund und Plauen, Frankfurt an der Oder und Halberstadt liegt bei sagenhaften 98 Prozent. Nicht zuletzt weil die Nascherei zu DDR-Zeiten heiß begehrt und oft nur als sogenannte Bückware zu bekommen war. Ware also, die nicht in ausreichender Menge verfügbar war und nur auf Nachfrage oder an Bekannte verkauft wurde und unterhalb der Ladentheke gelagert wurde. Auch Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher drückte sich als Knirps die Nase am Fabriktor der Schokofabrik platt.

Mit seiner jüngeren Geschichte und seinen 250.000 Einwohnern ist Halle nicht gerade die Stadt, die für ihre Leckereien und Naschereien in die Geschichte einging. Im Mittelalter ließen Abbau und Handel von Salz die Stadt aufblühen, in den Kriegsjahren die Rüstungs- und Chemieindustrie. Heute welkt die graue Diva zwischen Schmutz, Häuserruinen und Arbeitertristesse vor sich hin. Nach der Wende ging der Kampf um den Titel Landeshauptstadt gegen das spröde Magdeburg verloren. Über 100.000 Menschen haben die Stadt an der Saale seitdem verlassen – Rekord in Ostdeutschland. Von denen, die blieben, sind 15 Prozent arbeitslos. 30.000 Hallenser beziehen Hartz IV, hinzu kommen fast 10.000 Sozialgeld-Empfänger. Viele traditionsreiche Betriebe haben dichtgemacht, zuletzt die Waggonbau Ammendorf mit rund 600 Mitarbeitern.

Die Backwarenfirma

Halb zerfallene Häuserzüge und tiefe Schlaglöcher begleiten den Weg in die Berliner Straße 216. Im krassen Gegensatz zur tristen Umgebung erstrahlt der Kathi-Firmensitz in neuem Glanz, den Unternehmensfarben Rot und Weiß. Hochmodern sind die Mischtröge, Rühranlagen und Verpackungsmaschinen, auf denen 90 Mitarbeiter Dutzende von Backmischungen herstellen, von der regionalbewussten Händel-Torte über die Klassiker Erdbeer- und Nusskuchen bis hin zu Pizzateig, Muffins und Bio-Zitronenkuchen.

Kathi, 1951 von Käthe und Kurt Thiele gegründet, wurde 1972 enteignet und nach der Wende von Rainer Thiele, dem Sohn der Firmengründer, langwierig und kräftezehrend zurückerkämpft. Am Jahresende übergibt der Vorzeigeunternehmer und Bundesverdienstkreuzträger Kathi an seinen Sohn Marco.

Was bei Kathi die Familienbande, ist bei Halloren das westdeutsche Kapital. Das von Friedrich August Miethe 1804 als Kakao- und Schokoladenfabrik in Halle gegründete Unternehmen wurde 1934 von den Nazis und 1950 von der DDR-Staatsführung enteignet. Nach der Wende drohte dem ehemaligen Volkseigenen Betrieb, kurz: VEB, das Aus. Die westdeutsche Konkurrenz schien übermächtig, die Suche nach einem Käufer aussichtslos. Doch dann kaufte 1992 der Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und ehemalige Aufsichtsratschef des Großkinobetreibers Cinemaxx, Paul Morzynski aus Hannover, der damaligen Treuhand, die alle DDR-Betriebe verwaltete, Halloren für umgerechnet gut 200.000 Euro ab.

Der eigentliche Aufstieg des Unternehmens beginnt 1997, als Klaus Lellé als geschäftsführender Gesellschafter einsteigt. Der gelernte Bankfachwirt, der bei der Commerzbank mittelständische Kunden betreute, ist zunächst schockiert. Die Firma ist nur auf ein Produkt – Halloren-Kugeln – und auf einen Absatzmarkt – Ostdeutschland – ausgerichtet, Produktionsanlagen und Arbeitsabläufe sind veraltet.

Kathi ist bundesweit Nummer drei

Lellé erkennt, dass Halloren in dieser Verfassung nicht überleben kann. Also erweitert er das Sortiment, investiert in ein neues Logistikzentrum, moderne Produktionsanlagen und kauft die westdeutschen Chocolaterie-Firmen Weibler im niedersächsischen Cremlingen und Dreher im bayrischen Bad Reichenhall. Dann expandiert er auch im Vertrieb nach Westen. Während im Osten seit jeher fast jedes Einzelhandelsgeschäft Süßes aus Halle führt, waren es im Westen lange Zeit weniger als 10 Prozent. Das hat sich grundlegend geändert. 2006 und 2007 verdoppelte Lellé jeweils die Präsenz der Ostleckereien in den Regalen. Weil Rewe, Edeka, oder Kaufland die Ostware in ihr Sortiment aufnahmen, liegt der Wert heute bei fast 40 Prozent.

Bisheriger Höhepunkt bei Halloren war der Gang an die Börse im Mai 2007. Seitdem ist das Unternehmen mit einem Umsatz von 35 Millionen Euro und seinen gut 400 Mitarbeitern an der Frankfurter Wertpapierbörse im Entry Standard, einem Segment für kleine und mittlere Unternehmen, notiert.

Von solchen Höhenflügen kann Kathi-Chef Rainer Thiele nur träumen. 15 Jahre lang legte sein Umsatz mit Backmischungen für Donau-Wellen, Donuts und Nusskuchen, Händel-Torte und Schoko-Birnen-Zauber zwar kontinuierlich zu. „Seit dem Neustart stets zweistellig, von 1,9 auf gut 17 Millionen Euro“, betont Thiele. Und über die Jahre habe sich Kathi bundesweit zur Nummer drei unter den Anbietern von Backmischungen hochgearbeitet, hinter Dr. Oetker und dem niedersächsischen Konkurrenten Ruf Lebensmittelwerk. Doch die Bemühungen, Kathi als nationale Marke zu etablieren, hatten bisher nicht den gewünschten Erfolg. Noch immer verkauft der Oetker des Ostens gut 80 Prozent seiner Produkte in den neuen Bundesländern. Seit drei Jahren stagniert der Umsatz bei mehr oder weniger 17 Millionen Euro.

Das liegt nicht nur daran, dass dem kleinen Mittelständler die finanziellen Mittel für deutschlandweite Fernsehwerbung oder für hohe Beträge fehlen, die die Handelskonzerne für die Aufnahme in ihr Sortiment verlangen. Thiele weigert sich auch, Billigmarken für die Handelskonzerne zu produzieren. „Nur da, wo Kathi draufsteht, ist auch Kathi drin“, lautet sein Credo. Viele Wettbewerber sehen das anders und lasten ihre Kapazitäten durch die Produktion von Handelsmarken aus – auch Halloren. Wo beim Rewe-Discounter Penny „van d’Or“ auf den Pralinen oder bei Plus „Choco Edition“ auf den Mozartkugeln steht, da steckt oftmals Halloren-Schokolade drin.

Trotzdem weiß Halloren-Chef Lellé, dass immer mehr Verbraucher nach höherwertigen Naschereien verlangen, sogenannter Premiumware. Dafür hat Halloren in einer neuen Halle Anlagen installiert, von denen es in Deutschlands insgesamt nur zwei gibt. Sie erlauben die Herstellung besonders dünnwandiger Edelpralinen. Mit ihnen produziert Lellé Pralinenmischungen wie Zarte Verführung und Dessert Träume oder Lizenzprodukte für die gehobenen Marken von Mövenpick und Käfer. Gleichzeitig baut Lellé das Geschäft mit den Handelsmarken aus, die er an Billigheimer wie Penny, Plus & Co. liefert.

Gleichzeitig ist Lellé vor wenigen Wochen ein wichtiger Coup gelungen: die Übernahme der insolventen Delitzscher Schokoladen GmbH, die zwischenzeitlich zum Handelsriesen Tengelmann gehörte. Das Sortiment des 1894 gegründeten Billigproduzenten soll gestrafft werden und 2009 rund 20 Millionen Euro zum Umsatz beisteuern. „Delitzscher ist ein Glücksgriff“, sagt Lellé. Der Betrieb sei nur rund 30 Kilometer vom Halloren-Stammhaus entfernt und technisch auf dem neuesten Stand. Das Unternehmen sei der einzige deutsche Hersteller, der das Pfefferminz-Produkt After Eigth von Nestlé kopieren könne, schwärmt Lellé. Darüber hinaus sei Delitzscher stark in der Produktion von Weinbrandbohnen und habe einen hohen Exportanteil von 37 Prozent; zu den Kunden zählten der britische Handelsriese Tesco sowie Aldi UK. Auf längere Sicht will Lellé mit der Halloren AG im Westen Deutschlands eben so viel verkaufen wie im Osten.

Davon ist Kathi weit entfernt. Dafür kommt der 65-jährige Vollblutunternehmer Rainer Thiele einem anderen großen Ziel immer näher. „Ich möchte meinen Kindern das Unternehmen mit warmen Händen übergeben“, sagt Thiele. In wenigen Wochen ist es so weit. Zum Jahreswechsel soll sein 39-jähriger Sohn Marco das operative Geschäft übernehmen. Der Vater will sich dann in einen neugegründeten Beirat mit zwei externen Managern zurückziehen.

Paradebeispiel für gelungenen Neustart

Der Kathi-Slogan „Die Familie feiner Backideen“ ist auch im Unternehmen Programm. Denn die Familie dominiert die Firma. Der künftige Chef Marco ist bereits seit 17 Jahren im Unternehmen. Sein Bruder Thomas Wilhelm, ebenfalls 1991 in den elterlichen Betrieb eingetreten, verantwortet Produktion und Technik. Bis vor knapp vier Jahren leitete Thieles Frau Margret das Marketing. Dann übernahm Tochter Ulrike Petermann das Ressort, eine Theologin und vierfache Mutter, die einmal im Monat am Wochenende in kleinen Gemeinden Südbrandenburgs predigt.

Wenn Thiele senior von der Vergangenheit redet, dann ist er kaum zu stoppen. Denn die Geschichte von Kathi ist ein Paradebeispiel für den erfolgreichen Neustart eines mittelständischen Familienunternehmens nach dem Kollaps der DDR. Dabei begann alles bei Kathi bereits 1949, vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In diesen Jahren des Mangels kommt Thieles Mutter Käthe auf die Idee, Leberwurst zu strecken und daraus einen schmackhaften Aufstrich zu fertigen. Ein anderes Mal sucht sie sich in den Geschäften die Zutaten für einen einfachen Rührkuchen zusammen, zur damaligen Zeit reine Glückssache. Dabei kommt ihr die zündende Idee, die schließlich den Durchbruch bringt: ein fertiges Tortenmehl.

20 Jahre vor Oetker und 19 Jahre vor Kraft bringt die Käthi-Nährmittelfabrik Kurt Thiele, wie das Unternehmen seinerzeit heißt, das Produkt auf den Markt. Suppen, Saucen und Kartoffelklöße runden das Angebot ab. Schon bald folgen die ersten Rückschläge. Die Staatsführung zwingt die Thieles, sich für nur eine Produktgattung zu entscheiden – es werden die Backmischungen. 1958 greift sich der Staat 67 Prozent am Unternehmen. Dennoch wagt Thiele den Einstieg in den elterlichen Betrieb. Doch er muss miterleben, wie die Familie 1972 zu 85 Prozent enteignet wird. Der Name Kathi, zusammengesetzt aus dem Vor- und Nachnamen der Mutter, verschwindet, weil er bürgerlich-kapitalistisch ist. Das Betriebsvermögen geht entschädigungslos auf die DDR über. Fortan heißt das Unternehmen Volkseigener Betrieb (VEB) Backmehlwerk Halle. „VEB – Vatis ehemaliger Betrieb“ buchstabiert Thiele mit einem bitteren Lächeln.

Trotzdem verliert die Familie nie die Bindung zum Unternehmen. Einzelkind Thiele, gerade mal Ende 20, wird als sozialistischer Werksdirektor eingesetzt, obwohl er kein SED-Parteibuch besitzt und dieses Amt daher gar nicht ausüben darf. Daraufhin wird er vor die Partei zitiert. „Kollege Thiele, Sie sind gar kein Genosse“, muss er sich vorhalten lassen. Die Partei stellt ihm ein Ultimatum einzutreten. Thiele weigert sich und wird zum Reservistendienst der Nationalen Volksarmee nach Schwerin abkommandiert. Nach sechs Monaten kehrt er zurück: Sein Name ist aus dem Handelsregister gestrichen, sein Auto konfisziert, sein Büro geräumt und ein neuer Geschäftsführer eingesetzt, der von der Sache überhaupt keine Ahnung hat. Thiele verlässt das Unternehmen und kommt im VVB Süß- und Dauerbackwaren Halle unter. Sein Vater stirbt 1985, die Mutter 1989, nur wenige Monate vor der Maueröffnung. Am Vorabend ihres Todes mahnt sie ihren Sohn: „Rainer, das System hat abgewirtschaftet, bitte versuche, das Unternehmen zurückzubekommen.“

Rainer Thiele versucht es, muss sich mit alten Funktionären in neuen Würden herumschlagen, die schon 1972 an der Enteignung des Betriebs beteiligt gewesen waren. Immer wieder verschwinden wichtige Akten, wird die Rückerstattung verschleppt. Thiele ist mit seinen Kräften am Ende, erleidet einen Herzinfarkt. Im Juni 1991 scheint alles geschafft, Thiele erhält sein Unternehmen zurück. Doch zum Neustart im wiedervereinigten Deutschland laufen Kathi die Kunden weg. Über 80 Prozent der Umsätze brechen weg, von den 110 Mitarbeitern können nur 32 gehalten werden. Die Ostdeutschen wollen West-Marke. Überleben kann Kathi nur, indem das Unternehmen westdeutsche Ware abpackt und in den neuen Bundesländern vertreibt. Aber nach und nach bekommen die Kunden wieder Appetit auf die Backmischungen aus ihrer Jugend.

Halloren setzt auf Prominenz

Ob Kathi oder Halloren, Ostalgie ist bis heute ein wichtiger Umsatzbringer für beide Unternehmen. Über Tausend Busse karren jährlich rund 130.000 Besucher in ein rund 700 Quadratmeter großes Schokoladenmuseum mit gläserner Produktion auf dem Firmengelände von Halloren. Der Biedermeier-Salon besteht fast nur aus Schokolade und Süßigkeiten. Das Museum dient Halloren zur Werbung. Geld für teure Spots im Fernsehen ist trotz des Börsengangs, der 9,5 Millionen Euro in die Kasse spülte, nicht vorhanden. „Ich habe es mit Milliardenkonzernen wie Mars, Ferrero oder Lindt zu tun. Ferrero steckt über 200 Millionen Euro in TV-Werbung, unser gesamter Marketing-Etat beträgt 3,5 Millionen Euro“, sagt Lellé.

Da bleibt dem Halloren-Chef nur, auf Prominenz aus Politik, Sport und Wirtschaft zu setzen, die als Schokoladenbotschafter mit Autogrammstunden die Marke bekannter machen sollen. Uwe Seeler gehört zum auserwählten Kreis ebenso wie Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer. Und natürlich Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, der Ehrenbürger Halles, der sogar 1995 symbolisch einen Schlüssel für die Schokoladenfabrik erhielt.

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