Luftfahrtbranche Airbus-Sanierungsprogramm Power8 wird zur Überlebensfrage

In wenigen Tagen startet die Pariser Flugshow. Doch für Airbus ist der Erfolg des Sanierungsprogramms Power8 wichtiger als das Ergattern neuer Aufträge. Ein exklusiver Blick hinter die Kulissen des weltgrößten Flugzeugherstellers.

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Power8-Progammleiter Boto

Der Kasten aus Sperrholz hat die Grundfläche eines größeren Briefumschlags. In der Mitte steckt nach vorne geneigt ein schwarzes Töpfchen. Hier in Halle 1 des Hamburger Airbus-Werks, wo die Mittelstreckenflugzeuge der A320-Familie montiert werden, wirkt das Kästchen auf dem Arbeitstisch neben den Flugzeugrümpfen und den High-Tech-Werkzeugen fremd wie eine Kinderzeichnung im Museum für mittelalterliche Kunst.

Der Kasten ist keine vergessene Laubsägearbeit, ihn hat die Airbus-Hausschreinerei gebaut. Er soll die Arbeit der Monteure erleichtern, die hier Löcher in die Rümpfe bohren, mit denen die Seitenschalen verbunden werden. Nach jedem fünften Bohren tauchen die Arbeiter den Bohrstab in ein Schmiermittel. Weil das Kästchen die Dose schräg hält, können die Monteure das tun, ohne die Hand vom Gerät zu nehmen. „Das spart drei, vier Sekunden“, sagt Mathias Kruse, Meister in der Rumpffertigung. Bei bis zu 200.000 Löchern summiert sich das auf rund sieben Arbeitstage pro Flieger. Airbus spart so bei rund 400 ausgelieferten Maschinen insgesamt gut 20.000 Stunden im Jahr.

Die Hamburger Fetthalterung ist ein kleiner Baustein zur Erneuerung von Airbus und des Mutterkonzerns EADS: Airbus erwirtschaftet fast zwei Drittel des EADS-Umsatzes. Unter der Marke Power8 und einer Reihe von Nachfolgeprogrammen hat der Konzern 2006 ein Fitnessregime gestartet. Es soll ein zentral geführtes Unternehmen schaffen, das schneller arbeitet, bessere Qualität liefert und mehr Geld verdient.

Power8 ist für die Zukunft des Unternehmens wichtiger als die Pariser Luftfahrtmesse, die kommende Woche startet: „Neue Aufträge sind gut, aber mehr Effizienz ist noch wichtiger“, sagt Airbus-Vizechef Fabrice Brégier. „EADS will global pro Jahr Kostenreduzierungen von gut drei Milliarden Euro erreichen.“ Das ist bitter nötig: „Ein Erfolg von Power8 & Co. ist die Überlebensfrage des Konzerns“, sagt Jobst Kamenik von der Beratung PA Consulting.

Zwar erscheint Airbus jetzt in der Krise gesünder als etwa die Autobranche, weil das Unternehmen Gewinne schreibt und mit seinen Bestellungen seine Werke rechnerisch sieben Jahre auslasten könnte. Doch das täuscht. Laut einer Studie der Investmentbank Credit Suisse sinkt der Airbus-Umsatz bis 2010 um gut 20 Prozent und der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen sogar um drei Viertel auf 500 Millionen Euro.

Weniger Einnahmen durch sinkenden Dollar

„Airbus steckt in einem Mix von Problemen, die das Unternehmen mit der Unerbittlichkeit eines Schraubstocks zu erdrücken drohen“, sagt Denis Gönner, Luftfahrtexperte der Unternehmensberatung Celerant. Mit dem Dollar sinken die Einnahmen des vorwiegend in Europa tätigen Konzerns. Die Entwicklung neuer Modelle wie dem A350 und Pannen wie beim Militärtransporter A400M treiben die Kosten um rund zehn Milliarden Euro hoch. Und weil in der aktuellen Krise immer mehr Fluglinien bestellte Maschinen später oder gar nicht mehr haben, sinken die Auslieferungen laut der Credit-Suisse Studie bis 2011 um ein Viertel.

Trotzdem ist Power8 kaum bekannt. Und, was Brégier besonders wurmt, es wird missverstanden als Sparprogramm: „Dabei ist es nicht weniger als die Neuerfindung von Airbus.“

Wer das Phantom Power8 erleben will, muss den Programmleiter Jordi Boto durch die Airbus-Zentrale in Toulouse begleiten. Der gebürtige Spanier verkörpert die neue Kultur wie kein Zweiter. Geboren in Spanien, mit einer Deutschen verheiratet, arbeitet er in Frankreich, spricht einen großen Teil des Tages Englisch – und lebt so das Ende der nationalen Gegensätze, die Airbus immer wieder Zerreißproben bescherten. Mit seiner kraftvollen Art, der eine Mischung aus Ironie und Nachdenklichkeit die Schwere nimmt, verkörpert er Aufbruchsstimmung pur. „Ja, das Programm wirkt.“ Er macht eine Pause und vergewissert sich, dass ihm die Zuhörer folgen, und lächelt. „Sonst müssten wir jetzt loslegen und könnten in der Krise nur reagieren, statt zu agieren. Nicht auszudenken.“

Erster Stopp ist der Flur vor Botos Büro. Hier steht ein Wald neonbunter Plastikleinwände, die im Holzwände-Auslegteppich-Einerlei so auffallen wie der handgebaute Fettdosen-Halter in der High-Tech-Halle. Jeder der gut zwei Meter hohen Aufsteller stellt ein Power8-Modul vor mit den einzelnen Maßnahmen. Wer den Kopf senkt, entdeckt eine Handbreit über dem Fußboden die Erfolge in blanken Zahlen: geplant, erreicht, gespart, zusätzliche Einnahmen. Auf den Stellwänden ist von den rund drei Milliarden Euro Ergebnisbeitrag schon gut die Hälfte erreicht.

Botos Lieblingsprojekt ist derzeit die Lean genannte schlanke Fertigung, die Mechaniker von unnützen Arbeiten entlastet, wie das Holzkästchen den Griff zum Schmierfettdöschen erspart. Die Zukunft der Fertigung zeigt Boto am liebsten in der Fabrik St. Eloi in Toulouse, wo Charlotte Tregan arbeitet.

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