Luxusprodukte Was Delikatessenhändler Dallmayr anders macht

Dallmayr verkauft Millionen Kaffeepackungen, betreibt Tausende Snackautomaten – und gilt trotzdem als Delikatessenparadies. Ein Besuch im Tempel der Gourmets.

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Eingangsbereich: 2,8 Millionen Menschen pilgern jährlich in das Delikatessenhaus Quelle: Andreas Pohlmann für WirtschaftsWoche

Alles ist an seinem Platz. Draußen, an der weiß-gelb getünchten Fassade, prangt das Dallmayr-Emblem. Drinnen stehen die Nymphenburger Kaffeevasen mit den exotischen Vögeln. Die Verkäuferinnen tragen blaue Blusen und weiße Schürzen. Es riecht nach frisch gemahlenen Bohnen, und mancher Kunde raunt ergriffen: „Wie in der Reklame.“ Nur die Musik, die fehle beim echten Dallmayr.

Jahrelang klimperte sich die süßliche Klavierkomposition durch die Fernsehspots des Traditionshauses – mitten hinein in die Heimelig-Areale der Zuschauerhirne. Die Dauerbeschallung zeigt Wirkung. In den kommenden Tagen dürften wieder Hunderttausende Kaffeekäufer in Deutschlands Supermärkten zur Pfund-packung Prodomo greifen, um gans- und tortenschwere Weihnachtsrunden mit kännchenweise „vollendet veredeltem Spitzenkaffee“ zu überstehen. Zwischen 40 und 50 Millionen Packungen Prodomo verkaufen die Münchner jedes Jahr, allein sechs Millionen davon im Dezember.

Nur Albrecht-Kaffee von Aldi und Jacobs Krönung werden laut Kundenbefragungen öfter getrunken. Doch anders als beim Führungsduo steckt hinter Dallmayr kein milliardenschwerer Konsumgüterriese oder Handelskonzern. Stattdessen dirigieren zwei Münchner Familien, die Randlkofers und die Willes, das Bohnenimperium, das – kaum einer merkt’s – zugleich einer von Deutschlands größten Delikatesshändlern ist.

Inszenierung als traditionsumwölktes Kaffeehaus

Die Inszenierung als traditionsumwölktes Kaffeehaus samt zart schmelzender Erkennungsmelodie ist Teil der Dallmayr- Strategie: Die Inhaber haben rund um Prodomo weitere Kaffeesorten etabliert, bekochen als Edel-Caterer Staatsgäste und verdienen gleichzeitig an Müsliriegeln aus Snackautomaten. Gewagter könnte der Spagat zwischen Edlem und Masse kaum sein.

Denn auch der wichtigste Artikel im Angebot, der Kaffee, ist, anders als die Werbung suggeriert, längst Allerweltsware. Die Pfundpackung Prodomo ziert zu Preisen um drei Euro die Faltblätter, auf denen auch Schnitzel und Leberwurst prangen und mit denen Handelsketten wie Lidl oder Edeka Kunden ködern. Aus weltweit rund 50 000 Kaffeeautomaten pröttert jeden Tag hektoliterweise Dallmayr. Und selbst die mobile Ausschanktruppe der Deutschen Bahn lässt Dallmayrs Bohnentrunk für 2,70 Euro in die Pappbecher der Reisenden schwappen. Genuss in vollen Zügen – eigentlich ein echter Markenkiller.

Doch seltsamerweise kratzt all dies nicht am Image: Viele Verbraucher nehmen Dallmayr im Vergleich zu anderen Herstellern als „hochwertiger“ und „edler“ wahr, hat der Nürnberger Markenspezialist Uwe Munzinger festgestellt. Und das liegt vor allem am Delikatessenhaus. Das Gewölbe in der Münchner Dienerstraße, direkt hinterm Rathaus, ist eine der meistbesuchten Firmenzentralen der Welt. 2,8 Millionen Menschen pilgern jedes Jahr in den Laden – je zur Hälfte Touristen und Einheimische. Damit sticht das Stammhaus selbst das Märchenschloss Neuschwanstein aus.

Zur Weihnachtszeit ist der Andrang in der Verkaufsstätte am größten. Fast ein Drittel des Jahresumsatzes verbucht Dallmayr zwischen November und Dezember. Alle paar Minuten tauchen Kameras die Hauptattraktion in Blitzlicht: Flusskrebse, die im marmorgefassten Lukullusbrunnen umherpaddeln. Nebenan ordern Damen unter Hütchen Kaviar und kalt geräucherte Flugentenbrust. Betuchte Münchner decken sich mit Wildlachs und hausgemachten Champagner-trüffeln ein. Oder mit Hummer-salat, Filet Wellington und Gänselebermousse. Dazu gibt es Brot von 15 verschiedenen Bäckern, 1500 Wein-, 150 Käse- und 50 Honigsorten. Allein die Confiserieliste füllt 20 Blatt Papier.

Der Herr über all die schlaraffische Pracht heißt Georg Randlkofer, 61, und wirkt eher wie ein passionierter Hobbykoch denn wie ein knallharter Händler. Stundenlang kann er über die Frische und Herkunft seiner Waren referieren. Neben ihm, im Besprechungszimmer in der vierten Etage, sitzt Wolfgang Wille, 69, und zeigt zu den Ausführungen seines Kompagnons sein Milde-Sorte-Gesicht. Er kennt den Vortrag. Seit Jahrzehnten arbeiten die beiden zusammen, die Rollenverteilung liegt fest: Langustenliga vs. Bohnentruppe.

Attraktion Lukullusbrunnen: Lebende Krebse paddeln im Wasser Quelle: Andreas Pohlmann für WirtschaftsWoche

Während Familie Randlkofer den feinen Shop samt Gourmetrestaurant und -Catering hütet, beackern die Willes die Kaffeesparte und das Automatengeschäft. Die Unterschiede sind eigentlich Dynamit für das Kaffeekränzchen der beiden Altvorderen: 37 Millionen Euro Edel-Umsatz stehen 573 Millionen Massen-Euro gegenüber, 300 Feinkostkräfte kommen auf 1900 Leute im Snack&Bohnen-Reich. Doch Randlkofer und Wille wiegeln ab: Die Familien seien gleichberechtigt, wichtige Entscheidungen würden gemeinsam getroffen, heißt es. Dabei ist Familie Wille gerade erst an Bord gekommen – zumindest nach dallmayrschen Maßstäben.

Ende des 19. Jahrhunderts hatten Anton und Therese Randlkofer in München einen kleinen Lebensmittelhandel von Alois Dallmayr übernommen, den Namen beibehalten und so den Grundstein der Delikatessendynastie gelegt. Nach dem Tod ihres Mannes verzückte Witwe Randlkofer die Schlossküchen des Reichs mit so exotischen Früchten wie Bananen und Lychees und heimste nach und nach 14 Hoflieferanten-Titel ein.

1933 heuerte dann der junge Bremer Kaufmann Konrad Werner Wille in -München an, um den Kaffeehandel aufzubauen. Doch es sollte bis Mitte der Achtzigerjahre dauern, ehe Dallmayr zum großen Sprung ansetzte: Alle Marketingausgaben wurden auf Prodomo konzentriert. Und der Kaffeehandel, bis dahin auf Bayern beschränkt, wurde aus dem Gesamtunternehmen herausgelöst, um mit dem Nestlé-Konzern als Vertriebspartner den gesamten deutschen Markt zu erobern.

Ruf des Feinkosthauses strahlt auf die Kaffeesparte ab

Tatsächlich scheint die bajuwarisch-hanseatische Melange einträglich zu harmonieren. Der Ruf des Feinkosthauses strahlt auf die Kaffeesparte ab, die sich in guten Zeiten mit hohen Erträgen revanchiert. Die Kaffeereklame wiederum, in der seit 30 Jahren das Dallmayr-Haus zu sehen ist, lockt Kundschaft nach München. Von dort geht’s oft zurück ans Supermarktregal. „Der Laden ist sicher auch ein Scharnier“, sagt Randlkofer. Beim Kaffeekauf würden sich die Kunden „ an den Besuch im Delikatessenhaus erinnern“. Falls sie je Volker Meyer-Lücke kennengelernt haben, ganz bestimmt. Der Mann taugt als James-Bond-Ersatz. Dezenter Anzug, smarter Auftritt, perfekte Manieren – wenn nur das Schlürfen nicht wäre.

Grafik: Umsätze der Dallmayr-Sparten

Meyer-Lücke greift in der Probierküche zu einer Kelle, saugt lautstark den lauwarmen Sud ein und spuckt das schwarze Destillat anschließend in einen Blechnapf. Ein Dutzend Tassen schafft er so in wenigen Minuten. Meyer-Lücke ist der Kaffee-Chefeinkäufer von Dallmayr. Mischungen, die der Experte für gut befindet, landen später im Handel.

Zugleich muss Meyer-Lücke die Märkte im Blick behalten. „Die Preise werden nicht mehr nur von Dürren oder Frost bestimmt”, sagt er. Heute investieren milliardenschwere Fonds in den Agrarrohstoff. Hinzu kommen politische Unwägbarkeiten. Dallmayr bezieht den Rohkaffee großteils aus dem Krisenland Äthiopien.

Vor einem halben Jahrhundert tourte Willes Vater auf Eselsrücken durch das ostafrikanische Land und brachte Kaffeebohnen mit in die Heimat. Heute ist Kaffee der wichtigste Exportartikel Äthiopiens und Dallmayr einer der wichtigsten Abnehmer. Eine Million Säcke Rohkaffee importierte das Haus im Geschäftsjahr 2008/09 und produzierte daraus 48 000 Tonnen Röstkaffee. Nicht nur Prodomo. Auch die Gastronomiemarken Azul und Heimbs gehören dazu. Dallmayr verkauft Kaffee-Pads und Espressobohnen, entkoffeinierte und naturmilde Sorten.

Grafik: Beliebtester Kaffee

Die Vielfalt scheint anzukommen. Im laufenden Jahr verzeichne Dallmayr eine „deutliche Absatzsteigerung“, teilt das Unternehmen mit. Allzu groß ist die Freude trotzdem nicht, denn Kaffee wird derzeit gnadenlos verramscht. Vom Durchschnittspreis von 3,46 Euro, die das Pfund Prodomo noch 2008 in Werbeaktionen kostete, ist der Preis zurzeit weit entfernt. Der Discounter Lidl etwa verlangte zuletzt 2,88 Euro pro Packung. Der Anstieg des Absatzes sei daher auch auf die Preiskämpfe im Lebensmittelhandel zurückzuführen, heißt es bei Dallmayr. Und Besserung ist nicht in Sicht: „Die Gespräche mit den Händlern werden von Jahr zu Jahr schwieriger“, klagt Mitinhaber Wille.

Ungemach droht aber nicht nur von der Handelsfront: Im Sommer 2008 durchsuchten Ermittler des Bundeskartellamts die Büros von Tchibo, Melitta und Dallmayr. Der Verdacht: unzulässige Preisabsprachen. Dallmayr will sich zwar nicht äußern. Klar ist aber, falls die Fahnder fündig wurden, dürften bald Bußgelder in Millionenhöhe drohen.

Bis vor Kurzem hätte das Automatengeschäft einiges abfangen können. In den Sechzigerjahren hatte Wille, damals noch Student, das Geschäftsfeld selbst aufgebaut. Heute ist Dallmayr Marktführer in Deutschland und betreibt insgesamt 50 000 Automaten in Europa und den Arabischen Emiraten – die meisten randvoll mit Snacks, Colaflaschen und Kaffee. Doch das Geschäft sei konjunkturanfällig. „Wenn weniger Mitarbeiter da sind, wird auch weniger Kaffee getrunken“, sagt Wille.

Ein paar Wachstumschancen werden ausgelotet

Lachs und Champagner sind dagegen gefragt wie eh und je. „Das Delikatessenhaus trotzt der Krise“, sagt Randlkofer, das Geschäft laufe „sehr stabil“. Doch wenn die Kasse stimmt, warum eröffnet er nicht Feinkostläden in ganz Deutschland? Oder verkauft unter eigenem Logo auch Dosensuppen und Pralinen im Einzelhandel? Michael Käfer, der andere Münchner Gourmetunternehmer, hat es schließlich vorgemacht. „Wir halten nichts von solchen Experimenten“, sagt Randlkofer. Die Qualität sei mit Filialsystem oder Lizenzprodukten kaum zu halten, und „das Schlimmste, was wir tun können, ist, unseren guten Namen aufs Spiel zu setzen“.

Nur in Japan, wo perfekte Imitate hoch im Kurs stehen, machen die Münchner eine Ausnahme. Dort betreibt der Kaufhauskonzern Takashimaya in Lizenz zwölf kleine Dallmayr-Shops, in denen Asiatinnen in blauen Blusen und weißen Schürzen deutsche Wurst und Marmeladen verkaufen. Ein paar Wachstumschancen versucht Dallmayr aber allen Qualitätsdünkeln zum Trotz auszuloten – den Online-Handel etwa. Oder den Catering-Bereich.

In der Küche ist die Hölle los. Aus dem Radio dröhnen Fetzen eines Songs der Brachialrocker Rammstein und vermischen sich mit Arbeitslärm. Geschirr klirrt, Spülmaschinen fauchen. Insgesamt 70 Köche hacken, schälen und putzen sich ihre Zutaten zurecht. Veranstaltungen mit bis zu 5000 Gästen seien kein Problem, sagt Catering-Chef Florian Hettler – egal, ob Staatsempfang oder Gala-Abend. 800 bis 1000 Veranstaltungen bekocht seine Crew jedes Jahr. Um den Nachschub muss sie sich keine Sorgen machen: Die Zutaten für all die Saiblingsröllchen und Lachs-türmchen holen sich die Köche „aus dem Erdgeschoss“, sagt Hettler.

Einzig der Sommelier des Hauses muss noch eine Etage tiefer. Über eine versteckte Treppe im Erdgeschoss geht es hinunter in den Weinkeller. Hinter einer schweren Holztür lagern die wahren Schätze: gut 1200 Flaschen. Darunter alte Bordeaux und Weine aus dem Burgund, ein Madeira Jahrgang 1830 oder ein Rüdesheimer Apostelwein aus dem Jahr 1729 – Millionenwerte. Viele Unternehmenschefs haben unter dem Kreuzgewölbe schon Weinproben genossen und Kenner echte Raritäten verkostet.

Nichts stört hier den Weingenuss, dem oft Bestellungen über mehrere Tausend Euro folgen. Kein Geschirr klappert wie in der Küche, keine Münzen klingen wie im Laden, kein Klavier klimpert wie in der Werbung. Der Rest ist Schwelgen.

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